Ein Technisches Auftragszentrum moderiert die Supply Chain

Erco beleuchtet den Weg zur Liefertreue

19.01.2001
MÜNCHEN (CW) - Die Erco Leuchten GmbH, Lüdenscheid, hat ihren internen Lieferprozess im Griff. Sie simuliert ihre Supply Chain in einem Auftragszentrum, so dass Engpässe erst gar nicht entstehen. Bald werden sich auch Lieferanten an dem Verfahren beteiligen.

Noch immer ziert sich Uwe Henning, Leiter des Technischen Auftragszentrums (Taz) bei Erco, von Supply-Chain-Management (SCM) zu sprechen. Der Modebegriff kommt ihm zu hochtrabend und zu nebulös vor. Er sieht sich und seine Abteilung lieber als Instanz, die zwischen Betrieb, Lieferanten und Vertrieb die Liefer- und Produktionstermine steuert und verantwortet. Die Abteilung Taz resultiert aus einer Umstrukturierung Mitte der 90er Jahre. Von der "Quadratur des Kreises" spricht Henning, wenn er die damaligen Ziele kommentiert: Steigerung der Produktqualität, Erhöhung der Output-Mengen, Verbesserung der Termintreue bei gleichzeitiger Senkung der Kosten.

Die Ziele schienen umso ferner, als die Ausgangslage chaotisch war. "Wir haben eine Bugwelle an Montageaufträgen vor uns hergeschoben, litten an einer Unterversorgung mit Material und unter Motivationsdefiziten", erinnert sich Henning. Denn die rund 600 Arbeitskräfte zählende Fertigung musste häufig auch an Samstagen Überstunden leisten. Um Liefertermine einhalten zu können, waren die Aufträge ständig zu überprüfen. Die Hälfte ihrer Zeit verbrachten die Disponenten und Produktionsplaner mit dem Verschieben von Terminen. Trotzdem ließ sich keine Terminsicherheit erzielen. Die Termintreue, die Erco damals in Kalenderwochen angab, lag bei 91 Prozent. Heute misst die Wahrscheinlichkeit einer taggenauen Lieferung 97,3 Prozent - bei einem Auftragsvolumen von täglich rund 1000 Lieferpositionen. Für das laufende Jahr haben sich die Betriebsangehörigen eine Liefergenauigkeit von 98,5 Prozent vorgenommen.

Zwischenzeitlich änderten sich die Rahmenbedingungen für die Produktion. So zog sich der Großhandel aus der Lagerhaltung zurück. Erco musste sich von der planbaren Massenfertigung verabschieden. Heute fertigt das Leuchtenhaus auftragsbezogen, in "homöopathischen Dosen", wie Henning die kleinen Losgrößen beschreibt. Rund 50 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Erco mit Auftragspositionen unter fünf Stück.

Außerdem stieg durch die internationale Geschäftstätigkeit die Variantenvielfalt. In Japan und den USA beispielsweise müssen etwa Kunststoffe, Kabel und Fassungen "UL"- beziehungsweise "Miti"-Approbationen haben, um nationale Vorschriften zu erfüllen. So gibt es neben der Standardausführung Spezialvarianten.

Aber auch Kunden wie die Filialkette Hennes & Mauritz bestehen auf Sonderausstattungen wie der Benutzung von PVC-freien Produkten. Elektroplaner und Architekten von Großprojekten wie dem Reichstag und dem Kanzleramt in Berlin, dem Guggenheim-Museum in Bilbao oder der Louvre-Glaspyramide in Paris beharren auf Spezialmodellen. Insgesamt fertigen die Sauerländer heute rund 3500 verschiedene Einzelleuchten plus Varianten und Sonderanfertigungen. Pro Jahr kommen etwa 300 neue Modelle hinzu.

Eines der Hauptprobleme bestand darin, dass die Produktionsplanung mit Rückständen arbeitete. In der Endmontage benötigen die Fertiger zirka 50 Einzelteile für eine Leuchte. Kam der Auftrag herein, rechneten die Produktionsplaner vom zugesagten Liefertermin aus zurück, wann welche Teile vorhanden beziehungsweise gefertigt sein mussten. Oft lagen der Produktionsbeginn und die Daten der Anlieferung von Bauteilen theoretisch in der Vergangenheit. Das führte zu erheblichem Druck in der Fertigung, da hier die Probleme durch fehlende Bauteile und gleichzeitigen Termindruck kumulierten.

Kurzfristige Versuche, die Situation beispielsweise durch eine Trennung unkritischer von kritischen Teilen, die immer vorgehalten werden müssen, zu entschärfen, schlugen fehl: Bald entstand ein chronischer Mangel an den weniger kritischen Komponenten.

Schließlich suchte Erco Hilfe bei der Wassermann AG. Die Münchner Unternehmensberatung schlug vor, eine mit Produktion und Vertrieb gleichberechtigte Organisationseinheit zu schaffen, die sowohl für die Termintreue als auch für kurze Durchlaufzeiten und marktgerechte Bestände verantwortlich ist. Dem Leuchtenhersteller gefiel die Idee, die drei Aufgaben in einer Abteilung zu konzentrieren. Und Henning, der zuvor in der Personalentwicklung des Unternehmens tätig war, konnte sich sein Team für das Taz zusammenstellen. Heute koordinieren acht Taz-Mitarbeiter die Erco-Supply-Chain.

Das Tool "Way", mit dem die einzelnen Prozessschritte geplant und aufeinander abgestimmt werden, stammt ebenfalls von Wassermann. Damit das Werkzeug Dispositionen auslösen, Materialstände überwachen und Ressourcen harmonisieren kann, muss es Zugriff auf die operativen Daten haben, die bei Erco seit 1996 ein R/3-System von SAP liefert.

Zunächst sollte die Standardsoftware auch die jetzigen Aufgaben von Way übernehmen, doch führten R/3-Tests zu unerwünschten Ergebnissen. Unmöglich waren beispielsweise selektive "What-if"-Betrachtungen, Engpässe wurden nicht transparent, und es gab keine Unterstützung für eine Prozesssynchronisation. So fehlte die grafische Auswertung einer bereinigten Kette, die Erco-Planer konnten schlichtweg nicht sehen, wie ein Schritt auf dem anderen aufbaut. Zudem waren harmlosere Engpasssituationen nicht von solchen zu unterscheiden, die einen Eingriff erforderten. Darüber hinaus ließ sich ein bereits freigegebener Auftrag mit fixem Termin vom Disponenten nur mit großem Aufwand ändern. Erco muss jedoch täglich ein Fünftel aller Ecktermine verschieben. Schließlich konnten Sonderprodukte nur mit großem Zeitaufwand und mit Hilfe von Stücklisten und Arbeitsplänen simuliert werden.

Seit fünf Jahren setzt Erco Way für die dispositive und kapazitive Verwaltung der internen Supply Chain ein. Bei rund 70000 Sachnummern, 5500 aktiven Fertigungsaufträgen, 35000 Kunden- und Auftragsnummern, 2000 aktiven Bestellungen, 21000 potenziellen Aufträgen und 2500 Umfertigungsaufträgen täglich mussten allerdings erst Schnittstellen zum SAP-System und zum Informationssystem "Tazkom" geschaffen werden.

Tazkom ist ein Erco-eigenes Informationssystem, das die für die Fertigung benötigten Informationen enthält: Stücklisten, Arbeitspapiere, Begleitunterlagen zur Qualitätssicherung und Arbeitsanweisungen. Dank des Informationssystems ist jeder Mitarbeiter für seinen Arbeitsvorrat, der in einer To-do-Liste steht, selbst verantwortlich. So wird bei der Überbelastung eines Einzelnen oder einer Gruppe das Auftragszentrum unverzüglich gewarnt. Umgekehrt kann jeder sehen, welche Arbeit bis wann zu erledigen ist, so dass viele ihre Arbeit selbst einteilen können. Das steigerte die Zufriedenheit der Arbeitnehmer. Zugleich konnte Erco die Mehrarbeit in der Produktion von durchschnittlich 10000 Stunden vor der Einführung von Way auf weniger als 4000 Stunden in diesem Jahr herunterschrauben.

Bis jetzt ist Tazkom eine eigenständige Anwendung. Sie ist jedoch so erfolgreich, dass sie im kommenden Jahr von Wassermann in ihr Produkt Way integriert wird. Tagsüber jonglieren die Taz-Mitarbeiter mit Ressourcen, planen neue Termine ein, ändern bestehende, verhandeln mit Vertrieb und Produktion. Nachts erfolgt der Abgleich: die Daten werden ausgetauscht und Fertigungsaufträge generiert sowie Prioritäten geändert. Zum Tagesbeginn stehen den einzelnen Fertigungskostenstellen im Tazkom neue Arbeitsvorratslisten zur Verfügung. Außerdem landen die generierten Bestellungen automatisch im R/3-System, so dass sie noch in der Nacht per Fax oder E-Mail an die Lieferanten rausgehen. Nur 20 Prozent der Bestellungen betrachtet der Erco-Einkauf gesondert.

Für die Tätigkeiten der Taz-Mitarbeiter an sich gibt es keine auf einem Regelwerk basierenden Automatismen wie in anderen SCM-Produkten. Henning ist hauptsächlich aus zwei Gründen gegen solche Optimierungsregeln. Bei Engpässen etwa gibt es häufig verschiedene Wege, das Problem zu lösen. Der Lagerbestand wird geplündert, zusätzliche Arbeitskräfte aus Fremdfirmen oder aus anderen Arbeitsgruppen werden eingesetzt, die Termine einer parallel laufenden Fertigung verschoben, einzelne Teilprozesse gestaucht oder Losgrößen gesplittet. Welche Problemlösung sich anbiete, stelle sich erst im Gespräch mit den Betroffenen heraus. Das könne ein Tool nicht abbilden.

Darüber hinaus haben Schwierigkeiten, die sich wiederholen, unter Umständen grundsätzliche aufbau- oder ablauforganisatorische Gründe. Ein Regelwerk würde die Fehler in der Prozesskette jeweils ausbügeln. Die Chance auf eine Beseitigung der Ursachen sei damit jedoch vertan, argumentiert der Taz-Leiter.

So reibungslos der Way-Betrieb heute läuft, so holprig gestaltete sich die Einführung. Das Tool setzt voraus, dass es keinen Auftragsrückstand gibt. Die Wassermann-Berater nahmen bei der Einführung an, dass sich der Verzug einfach abarbeiten und schließlich ganz ausräumen ließe.

Das funktionierte aber nicht. Den Abbau von Rückständen musste Erco künstlich auf einen Schlag herbeiführen. Etwa ein Jahr, nachdem Way in Betrieb genommen worden war, waren die Prozesse über alle Fertigungsstufen hinweg zu korrigieren und neue, realistische Termine zu setzen. Auf einige Kunden kamen erhebliche Terminverschiebungen zu. Nachdem die Rückstände beseitigt waren, konnte Erco diesen Zustand bis heute erhalten.

Von seinem Tool wünscht sich der Taz-Leiter heute lediglich eine bessere Dokumentation von Veränderungen, die mit Hilfe von Way vorgenommen werden. Das System sollte dokumentieren und auswerten können, wer was wann modifiziert, damit Entscheidungen nachvollziehbar werden.

Im laufenden Jahr will das Unternehmen zwei oder drei Lieferanten in seine Supply Chain einbinden. Um zu testen, wie das funktionieren kann, dehnte Erco den Way-Einsatz im vergangenen Jahr zunächst auf das Tochterunternehmen Fortis Metallverarbeitungs GmbH, Horn-Bad Meinberg, aus. Der 80 Mitarbeiter zählende Betrieb liefert Erco in Konkurrenz mit anderen Zulieferern Reflektoren. Er unterhält ein eigenes Way-Auftragszentrum, hat jedoch Einblick in die Bedarfsplanung der Muttergesellschaft.

Durch diese Transparenz kann Fortis seine Prozesse und Ressourcen besser planen. Die Firma erkennt, wenn sich der Bedarf bei Erco ändert, unter Umständen auch, welche Aufträge Wettbewerber beliefern und welche Wiederbeschaffungszeiten diese Hersteller haben - wenngleich die Konkurrenz anonym bleibt. Diese Transparenz ist laut Henning gewollt. Die Zulieferer müssen allerdings ebenso bereit sein, ihre Planungs- und Kapazitätsdaten offen zu legen.

Funktion und Design der IT-Architektur bei ErcoZur Zeit beschäftigen Edwin Saesen, Prokurist und IT-Manager bei Erco, drei IT-Aufgaben: die Überarbeitung des Local Area Network (LAN), ein R/3-Release-Wechsel von 3.1i auf 4.6c und die Zusammenführung vom Internet mit dem Extra- und Intranet.

Im Frühjahr dieses Jahres soll die Bandbreite im Backbone des Unternehmens 1000 Mbit/s beziehungsweise 100 Mbit/s bis zum Arbeitsplatzrechner betragen. Über das notwendige Glasfasernetz verfügt der Betrieb bereits. Erco tauscht derzeit die aktiven Netzkomponenten von Cisco und Alcatel gegen neue Geräte aus.

Die zweite Herausforderung, der sich Saesen stellt, ist das Update der SAP-Software auf die Version 4.6 c. Erco nutzt R/3-Module für die Finanzbuchhaltung (FI) und Kostenrechnung (CO), Produktionsplanung (PP), Vertrieb und Distribution (SD), Material (MM) und Anlagenwirtschaft (AM), Instandhaltung (PM) sowie Personalwesen (HR).

Die Zusammenführung von Internet-Applikationen mit Intra- und Extranet-Anwendungen ist Teil einer neuen Werbestrategie, die im Herbst des vergangenen Jahres auf fünf Jahre festgelegt wurde. Welcher User welche E-Lösungen letztlich nutzen kann, entscheidet sich über Zugriffsrechte.

Insgesamt benötigt Erco derzeit 28 Server für weltweit 700 Clients und 200 Laptops. Im R/3-Umfeld setzt das Unternehmen "N-4000"-Maschinen von Hewlett-Packard (HP) sowie ein Datenbank-Management-System von Informix ein. Die technischen Daten sammelt der "Work-Manager" von HP unter dem Unix-Derivat vom selben Hersteller. Darüber hinaus gibt es einen Mix aus Windows-NT- und Unix-Servern.

Im Office-Bereich verwendet Erco Netztechnik von Novell. Im Wide Area Network (WAN), in der Kommunikation mit inländischen Tochtergesellschaften, nutzt der Betrieb Frame-Relay-Verbindungen, ansonsten ISDN-Wähl- und Festverbindungen mit 64 beziehungsweise 128 Kbit/s.

Web-LichtUnter der Web-Adresse www.erco.com bietet die Erco Leuchten GmbH Teile ihres Produktprogramms auch als virtuelle Leuchten an. Architekten und Lichtplaner sind mit gängigen Visualisierungsprogrammen in der Lage, die Lichtquellen herunterzuladen und sie am Bildschirm in ihre Raumgestaltung einzubauen.