Windows hat erste Priorität

Entwicklungskooperation mit IBM von Microsoft aufgekündigt

16.08.1991

MÜNCHEN (CW) - Mit Microsofts nun auch "offizieller" Ausrichtung auf Windows als Betriebssystem-Umgebung für die gesamte PC-Bandweite vom Notebook bis zum Server warf der DOS-Entwickler praktisch auch das Handtuch, was sein OS/2-Engagement betrifft. Die OS/2-Entwicklungsmannschaft hat Gates bereits aus den IBM-Labors in Florida abgezogen.

Im Gegensatz zur IBM favorisiert Microsoft nach den Worten des britischen System Marketing Managers, David Smith, als Betriebssystem für High-end- und Serversysteme nicht mehr OS/2, sondern "Windows New Technology". Dabei handelt es sich grundsätzlich um OS/2, Version 3.0, allerdings nun mit neuem Namen und Windows-Benutzeroberfläche anstelle der Presentation-Manager-Schnittstelle.

Laut Steve Balmer, Senior Vice-President für Systemsoftware bei Microsoft, wird Windows NT keine volle OS/2-Unterstützung aufweisen. Microsoft wolle das OS/2-API aus dem 32-Bit-Kernel ausgliedern, und dieser werde nur DOS und Windows bedienen.

Mit der eindeutigen Entscheidung zugunsten von Windows beendet Microsoft auch die OS/2-Kooperation mit der IBM. Zwar bestehen nach wie vor gegenseitige Lizenzvereinbarungen, und Microsoft wird OS/2 nach den Worten von Balmer auch weiterhin an OEMs weitergeben. Eine konzertierte Entwicklungsarbeit beider Unternehmen gibt es aber nicht mehr. "Wir haben unser Programmiererteam schon aus IBMs Entwicklungslabor in Florida abgezogen", bestätigt Smith den Bruch mit Big Blue.

In diesem Zusammenhang meldeten Microsoft-Manager Zweifel an IBMs Fähigkeit an für die in den nächsten Monaten zu erwartende Version 2.0 von OS/2 Windows-Kompatibilität gewährleisten zu können. Ohne Microsofts Kooperation sei solch ein Versprechen nicht zu halten.

Die Verfasser eines IBM-Weißbuchs mit dem Titel "Überlegungen zu OS/2" sehen das anders: Version 2.0 wird danach nicht nur mehrere säuberlich voneinander getrennte DOS-Boxen verwalten, sondern zunächst auch Windows-Anwendungen ähnlich wie DOS-Tasks behandeln.

Zukünftig sollen Windows-3.0-Applikationen allerdings direkt aus der Presentation-Manager-Oberfläche "Workplace" gestartet werden können. Workplace ist die neugestaltete Oberfläche des PM, die sich an das Macintosh-Interface anlehnt und bewußt nicht wie Windows aussehen soll. Außerdem produziert Big Blue ein Softwaremigrations-Kit (SMK) zur Portierung von Windows-Applikationen auf OS/2.

Den Vorwurf, Anwendern eine unklare Konzeption zuzumuten, richtete Smith an die Adresse von Big Blue: "Die IBM weiß doch selbst nicht, was nach OS/2, Version 2.0, kommen wird." Zumindest ist sich Big Blue aber über die Zuordnung von Hardware und Betriebssystemen im klaren: OS/2, Version 2.0, positionieren die Armonker als Serversystem in LAN-Umgebungen.

Balmer beeilte sich mittlerweile, die Schärfe früherer Aussagen etwas abzuschwächen, indem er richtigstellte, Microsoft werde OS/2 nicht völlig aufgeben. Dies könnte nach Ansicht von Szenekennern auch daran liegen, daß man sich in Redmond des Popularitätszuwachses von OS/2 als Serversystem bewußt wird.

Eine Studie der Gartner Group Inc. stützt zudem die zunehmend rosigeren Aussichten für OS/2: Danach werden bis 1995 rund 21 Prozent aller Desktop-Rechner das bislang so geschmähte Betriebssystem auf ihren Rechnern nutzen. Bis heute beträgt der Marktanteil lediglich ein Prozent.

Vornehmlich Großkunden haben die Erfahrung gemacht daß OS/2 besonders wegen seines systemverwalteten Speicher-Managements und der davon abhängigen preemptiven Multitasking-Fähigkeit Windows vor allem als Serversystem klar überlegen ist. Möglicherweise wegen dieser Erkenntnis "gibt es auch in Zukunft Versionen von SQL Server, LAN Manager und Comm Server", so Balmer, der allerdings einschränkt, "diese würden nicht mit jedem neuen Release von OS/2 2.X Schritt halten" .

Kunden, die sich selbst OS/2-Anwendungen geschneidert haben, versprach Balmer einen "transparenten Weg" zur Migration auf NT. Allerdings könne das noch zwei Jahre dauern. Über die Kompatibilität von existierenden zu NT-basierten Applikationen äußerte sich Mike Maples, Senior Vice-President für Applikationssoftware bei Microsoft, indirekt: "Das wird sich entscheiden, wenn die IBM mit ihren OS/2-Plänen herausrückt."

Als ersten Schritt der Migration auf den New-Technology-Kernel unter Windows entwickelt die Gates-Company für OS/2-Kunden mit den Versionen 1.3 und 2.0 ein OS/2- und Presentation-Manager-Subsystem. Damit ist es Anwendern, so Balmer, möglich, den Code ihrer Applikationen zu migrieren und auf Windows NT ablauffähig zu machen.

In der zweiten Migrationsphase könnte Microsoft die Anwender allerdings ermutigen, ihre Applikationen auf das Windows-API umzuschreiben, äußerte Balmer weiter.

Für die ACE-Gruppe hat Microsoft eine unliebsame Überraschung in petto: Die Gates-Betriebssystem-Plattform soll gemäß den ACE-Standardisierungsvorschlägen auch auf RlSC-Rechnern lauffähig sein.

Microsofts Entwickler denken aber bei ihren Zukunftsplänen nicht nur an die vom ACE-Konsortium abgesegnete Mips-RISC-Hardwareplattform. Genauso hohe Priorität habe Suns Sparc-Implementation.

Bereits anläßlich der Gründungsveranstaltung in Brüssel kamen kritische Stimmen auf, die Microsofts ACE-Engagement als durchaus ambivalent beurteilten. Auf die Frage, ob man denn neben der Mips-Architektur nicht auch mit dem Konkurrenzprodukt von Sun liebäugele, zog sich Paul Maritz, Vice-President für Advanced Operating Systems bei Microsoft, damals sibyllinisch aus der Affäre. Per definitionem sei OS/2, Version 3.0, portabel. Das heiße, prinzipiell könne es auf jede Plattform portiert werden. "Aber wenn meine Entwickler nicht hinter meinem Rücken etwas produzieren, wovon ich selbst nichts weiß, dann ist nichts dran an den Gerüchten um eine Sparc-lmplementation für OS/2 3.0".