Entwickler kritisieren Microsofts NT-Strategie WUG spuert Konsumterror auf Betriebssystem-Ebene Von CW-Mitarbeiter Stefan Ueberhorst

19.11.1993

DUESSELDORF - Client-Server-Computing und Windows NT hatte sich die Windows User Group (WUG) Deutschland fuer ihre Duesseldorfer Tagung auf die Fahnen geschrieben. Besonders den Auftritt von Microsoft nahmen einige Software-Entwickler zum Anlass, ihren Unmut ueber die ihrer Meinung nach teilweise undurchsichtige Windows-Strategie der Gates-Company zu aeussern.

Microsofts Plaene bezueglich Windows haben mittlerweile fuer reichlich Verwirrung bei Entwicklern und Anwendern gesorgt, denn eine deutliche Abgrenzung der einzelnen Spielarten scheint kaum noch moeglich. Manfred Schindler, Manager fuer Developer Services der Microsoft GmbH, nahm die Gelegenheit der WUG-Konferenz wahr, die Vertreter unabhaengiger Softwarehaeuser auf seine Unternehmensstrategie einzuschwoeren. Mit den reichlich strapazierten Leitbegriffen "skalierbare Systemarchitektur" und "offene Systemumgebung" erlaeuterte er den Windows-Fahrplan fuer die kommenden Jahre: Demnach wird mit der Auslieferung der ersten Betaversionen von "Chicago" (Windows 4) im Dezember 1993 begonnen; als Verfuegbarkeitsdatum schloss Schindler das erste Halbjahr 1994 aus. Mit "Cairo", dem vollstaendig objektorientierten Windows NT, rechnet man bei Microsoft gegen Anfang 1995, wobei die Marktentwicklung von NT und den darauf aufsetzenden Anwendungen das Datum beeinflussen koennte. Die Windows-Produktstrategie nahmen Konferenzteilnehmer zum Anlass, von einem "Konsumterror" auf Betriebssystem-Ebene zu sprechen.

Schindler musste zugeben, dass nicht alle Entwickler von Windows- Anwendungen diesen kurzfristigen Innovationszyklen standhalten koennen. Er selbst rechne mit einer Konzentration in diesem Bereich.

Doch weniger die Terminierung als die Positionierung von Windows scheint der Anlass fuer die kraeftige Veraergerung einiger Entwickler zu sein. Im vergangenen Jahr verschickte der Softwareriese seine NT-Betas mit der Ankuendigung, dass es sich um ein Betriebssystem fuer High-end-PCs handle. Schindlers Ausfuehrungen machten jedoch deutlich, dass Windows NT viel zu hohe Leistungsansprueche an Front- ends stelle, als dass es unternehmensweit als Client eingesetzt werden koennte. Eine aehnlich verwirrende Situation bestand vor Jahren, als Microsoft noch empfahl, fuer OS/2 zu entwickeln, diese Entscheidung jedoch einige Zeit spaeter revidierte.

Entwickler befuerchten Fehlinvestitionen

Trotz der allseits weitgehend positiv beurteilten Kooperation zwischen Microsoft und den Softwarehaeusern musste Schindler indirekt einraeumen, dass seinem Unternehmen im Fall von NT kleinere Unterlassungssuenden durchaus vorzuwerfen seien.

Viele Softwarehaeuser sehen sich dadurch allerdings zu einer Investition gedraengt, fuer die es in absehbarer Zeit keine Ruecklaeufe gibt, da sich ihre Produkte nicht in dem urspruenglich erwarteten Marktsegment unterbringen lassen. Das Problem sei weniger, die fuer NT durchgefuehrten Applikationsentwicklungen auf ein kuenftiges Front-end wie Chicago zu portieren, selbst wenn dabei eine neue Oberflaeche adaptiert werden muss.

Als kritischer Faktor gilt vielmehr die Ueberbrueckung der Zeit bis zum Chicago-Debuet in knapp einem Jahr. Bei den heutigen Softwarezyklen werden die fuer NT fertiggestellten Anwendungen bezueglich ihrer Technologie, Dialogboxen und Oberflaechenfunktionalitaeten in eineinhalb Jahren jedoch weitgehend veraltet sein. Unter Umstaenden lassen sich dann bei einigen dieser Applikationen schlimmstenfalls nur noch 20 Prozent des Originals verwenden.

Auf die Frage, wie es Microsoft selbst mit der Portierung hauseigener Anwendungen auf NT haelt, gab sich Schindler zurueckhaltend: Die Office-Module beispielsweise seien fuer das 16- Bit-Windows optimiert und wuerden rechenintensive Prozeduren wie Excel-Kalkulationen intern ohnehin im 32-Bit-Modus verarbeiten. Gerade bei Excel habe eine 32-Bit-Testversion eher enttaeuschende Ergebnisse geliefert. Die MS-Applikationen muessten daher komplett auf die 32-Bit-Umgebung abgestimmt werden, weshalb mit entsprechenden Produkten wahrscheinlich nicht vor einem Jahr zu rechnen sei.