Nach der Kündigung lassen sich viele Beschäftigte über den Tisch ziehen

Entlassen, aber nicht ohne Rechte

03.08.2001
MÜNCHEN (am/wh) - Die Kündigung trifft viele Mitarbeiter in New-Economy-Firmen aus heiterem Himmel. Oft geben sich die bisher Hochmotivierten selbst die Schuld und vergessen dabei ihre Rechte als Arbeitnehmer.

Ist es der Schock nach der plötzlichen Entlassung, Lethargie oder eine unterwürfige Haltung gegenüber dem Arbeitgeber, dem man sich noch immer verpflichtet fühlt? Olaf Hofmann, Projektbeauftragter der Geschwerkschaftsinitiative Connexx.av in Berlin, kann die Haltung nicht verstehen, die viele der gefeuerten Mitarbeiter der Berliner Multimedia-Agentur Cell Network an den Tag legen. Obwohl ihr Arbeitgeber sie zunächst aussperrte und ihnen die Kündigung dann ziemlich rüde unterbreitete (siehe CW 28/01, Seite 1), sind nur die wenigsten auch bereit, vor Gericht dagegen zu klagen. Dabei hätten sie in den Augen des Gewerkschaftsvertreters gute Aussichten: Da 60 von insgesamt 110 Mitarbeitern betroffen sind, handelt es sich laut Kündigungsschutzgesetz um eine Massenentlassung. Diese müsste vier Wochen, bevor die Kündigung wirksam wird, beim Arbeitsamt angemeldet worden sein. "Ist das nicht geschehen, sind auch die angebotenen Aufhebungsverträge unwirksam", so Hofmann.

Aufhebungsverträge bringen laut Ulrich Weber, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Köln, "selten Verbesserungen für den Arbeitnehmer". Man sollte sie auf jeden Fall von einem Fachmann prüfen lassen. (Unter www.anwalt-suchservice.de findet man einen Fachanwalt in der näheren Umgebung). Denn Aufhebungsverträge können dem Betroffenen dadurch zum Verhängnis werden, dass er selbst an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitwirkt und so das Arbeitsamt das Arbeitslosengeld sperren kann. Dasselbe gelte auch für so genannte Abwicklungsverträge, die in Ergänzung zur Kündigung verschiedene Modalitäten wie etwa eine verkürzte Kündigungsfrist regeln.

Mehr Chancen mit BetriebsratAuch einer betriebsbedingten Kündigung, zu der beispielsweise ein Auftragsrückgang und eine notwendige Umstrukturierung des Unternehmens führen können, müssen die Mitarbeiter nicht immer machtlos gegenüberstehen. Zwar kann der Arbeitnehmer laut Weber in der Regel den Wegfall seiner Position nicht verhindern, da der Arbeitgeber selbst entscheiden darf, wie er seinen Betrieb organisiert: "Aber auch hier sollte der Mitarbeiter überprüfen, ob die Entscheidung des Unternehmens richtig war. Zum Teil werden grobe Fehler begangen und etwa gleich 20 Mitarbeiter entlassen, weil der Umsatz um zehn Prozent zurückging." Individuelle Klagen gegen den Arbeitgeber und ohne die Unterstützung des Betriebsrats sind nach den Erfahrungen des Kölner Fachanwalts jedoch selten von Erfolg gekrönt.

Mehr Aussichten auf eine erfolgreiche Klage hat der Arbeitnehmer, wenn er dem Unternehmen Fehler bei der Sozialauswahl nachweisen kann. Demnach genießen Mitarbeiter, die Unterhaltsverpflichtungen haben, älter sind und dem Betrieb schon mehrere Jahre angehören, einen größeren Kündigungsschutz als etwa jüngere Kollegen, die noch keine Familie haben. Klagt ein Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung, kann er jedoch in der Regel nicht vor sechs bis zwölf Monaten mit einem Urteil rechnen. Dass es oft früher zu einer Einigung kommt, liegt an den Arbeitgebern, die eine Abfindung anbieten, um das Risiko zu vermeiden, das Gehalt für bis zu ein Jahr nachzahlen zu müssen.

Nicht gezahlte Gehälter einklagenManchmal wird das Gehalt schon Monate vor der Kündigung nicht mehr gezahlt, da die Firma nicht mehr liquide ist. Das sollten sich die betroffenen Mitarbeiter auf keinen Fall gefallen lassen, wie Connexx-Vertreterin Meike Jäger unterstreicht: "Solange jemand seinen Job macht, hat er auch Anspruch auf sein Gehalt. Das wird wie im Fall von Kabel New Media auch gegebenenfalls durch die Bank vorfinanziert. Gehaltsforderungen haben immer Vorrang vor denen anderer Gläubiger." Weber empfiehlt den Betroffenen, nicht gezahlte Gehälter sofort anzumahnen, eine 14-tägige Frist zu setzen und dann zu klagen: "Wer als erster seine Forderungen erhebt, hat die besten Chancen."

Da Angestellte keinen rechtlichen Anspruch auf Abfindung haben, bleibt ihnen neben der individuellen Klage im Sinne des Kündigungsschutzes nur noch die Hoffnung auf einen Sozialplan - wenn ihr Unternehmen einen Betriebsrat hat. Einen solchen Plan müssen Firmen mit mehr als 20 Mitarbeitern laut Betriebsverfassungsgesetz erstellen, wenn sie beispielsweise 20 Prozent ihrer Angestellten oder mindestens sechs Beschäftigte entlassen wollen.

Wichtigster Bestandteil eines Sozialplans ist die Höhe der Abfindungen, dazu können Fortbildungsmaßnahmen oder auch die Gründung einer Auffanggesellschaft mit Mitteln des Arbeitsamtes kommen, so Rechtsanwalt Weber. Bei der ehemaligen EM-TV-Tocher Junior Web (jetzt BCC Broadcast) verhandelt gerade der Betriebsrat mit der Geschäftsführung den ersten Sozialplan für ein Internet-Startup. Bislang gestalten sich die Gespräche aber so schwierig, dass es noch keiner wagt, von einem Durchbruch im Sinne der Beschäftigten zu sprechen.

Größer war das Entgegenkommen der Geschäftsführung von Framfab: Der schwedische Internet-Dienstleister entließ Ende Mai weltweilt 650 Mitarbeiter, davon 57 in Deutschland. Letzteren bot das Unternehmen nicht nur an, Kosten für Bewerbungsmappen oder Fotos bis zu einer Höhe von 200 Mark zu übernehmen, sondern organisierte auch eine Outplacement-Beratung. "Wir wollten die Leute begleiten, aber dafür eine neutrale Stelle einschalten, da der Schock nach der Kündigung doch groß war", gibt Framfab-Personalreferentin Claudia Hartmann zu. So beriet die Kölner Personalberaterin Andrea Erdmann schließlich 20 ehemalige Framfab-Mitarbeiter in Sachen Bewerbung und simulierte Bewerbungsgespräche, die auf Video aufgezeichnet und analysiert wurden. Ein Angebot, das die Betroffenen begrüßten, aber nicht wahrgenommen hätten, wenn Framfab die Beratung selbst übernommen hätte. "Dafür fehlte das Vertrauen zum Unternehmen. Alle waren nach der Kündigung enttäuscht. Mittlerweile sind viele zuversichtlicher geworden und haben auch einen neuen Job gefunden", so Erdmann.

Die psychologische Unterstützung ist nach Erfahrung von Christian Jerusalem mit am wichtigsten in der Outplacement-Beratung. Der geschäftsführende Gesellschafter der von Rundstedt und Partner GmbH hat oft mit Klienten zu tun, die sich nach der Kündigung fragen, ob nicht sie an der Misere schuld sind. Solche Selbstzweifel sind in den Augen von Jerusalem meist unbegründet: "Entlassungen können jeden treffen. Es passiert in jedem Arbeitsleben mindestens einmal." Ziel der Beratung sei es darum nicht, so schnell wie möglich irgendeinen neuen Job zu finden, sondern den richtigen. Im Durchschnitt sind 90 Prozent der Betroffenen spätestens ein Jahr danach wieder vermittelt.

Von acht Wochen über drei Monate und länger kann sich das Outplacement erstrecken, je nachdem, wie viel Geld der frühere Arbeitgeber investiert. Denn die Beratung ist nicht billig: Viele Outplacer verlangen je nach Leistung 22 Prozent des letzten Jahreseinkommens oder einen Mindestsatz von mehreren tausend Mark als Honorar pro betreuten Mitarbeiter. Das ist auch der Grund, warum die Mehrzahl der Klienten aus der Old Economy kommt: "Die New-Economy-Firmen haben dafür kein Geld", so Jerusalem.