Willms Buhse im Gespräch

Enterprise 2.0 - das mittlere Management ist das Nadelöhr

09.11.2011
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Bottom-up statt Top-down leben

CW: Don Tapscott beschreibt in seinem Bestseller "Wikinomics" den eigentlichen Effekt von Enterprise 2.0 damit, dass sich Quellen und Ressourcen außerhalb des eigenen Unternehmens nutzen lassen. Funktioniert diese kontrollierte Öffnung nach außen wirklich?

Buhse: Ich bin der Meinung, man sollte die Ideen erstmal im Unternehmen umsetzen und wirklich leben. Erst dann kann man sich schrittweise nach außen öffnen. Viele Unternehmen neigen dazu, ihre externe Kommunikation über eine PR-Abteilung bündeln und steuern zu wollen. Das ist weder authentisch noch hilfreich. Dann reicht von außen jemand eine Idee oder einen Verbesserungsvorschlag ein, aber von innen meldet sich niemand, weil es nicht kommuniziert beziehungsweise weitergegeben wird.

Bei meiner letzten Firma haben wir mitbekommen, wie ein unzufriedener Kunde in Frankreich seinem Ärger über ein Softwareproblem getwittert hat. Wir haben diese Meldung intern gebloggt, nach dem Motto, weiß jemand etwas über das Projekt? Sofort haben sich zwei Leute gemeldet, die vor zwei oder drei Jahren das Projekt abgewickelt hatten. Die wussten Bescheid und konnten sofort weiterhelfen. Da waren wir nicht nur sehr schnell in der Reaktion, wir hatten auch noch die kompetenten Leute sofort am Ball. Das funktioniert nur, wenn man intern fit ist.

CW: Wie fit sind deutsche Unternehmen derzeit?

Buhse: Aktuell haben die technologieaffinen Unternehmen einen Vorsprung. Dort findet die Bottom-up-Bewegung der Mitarbeiter statt - ich nenne IBM immer gerne als Topbeispiel. Die haben das mit ihren Hunderttausenden von Mitarbeitern sehr elegant geschafft. Aber es gibt auch andere Unternehmen, etwa Halbleiterhersteller oder Automobil- und Energiekonzerne, die ziemlich weit sind. (Siehe auch "Fraport bringt Firmen-Wiki zum Laufen")

CW: Die eigentliche Chance durch Enterprise 2.0 liegt, wenn man Ihren bisherigen Ausführungen folgt, im Wissens-Management …

Buhse: Richtig. Das Wissens-Management wandelt sich komplett. Der Ansatz: "Ich versuche möglichst viel zu dokumentieren und strukturiert abzulegen, ich habe tolle Datenbanken etc." ist gescheitert. Warum? Die Mitarbeiter haben schlicht keine Lust, alles zu dokumentieren: Es macht keinen Spaß und ist unproduktiv. Es ist auch gar nicht sinnvoll, dass sich die besten Leute hinsetzen und Vorgänge dokumentieren. Sie sollen Probleme lösen und mit Kunden zusammenarbeiten. Niemand hat eine intrinsische Motivation, etwas zu dokumentieren, nur damit es dokumentiert ist.

Gerade einmal vier Prozent des Wissens eines Unternehmens ist dokumentiert, dann gibt es nochmal zirka 16 Prozent, das liegt irgendwo auf den Servern herum - in E-Mail-Archiven, Excel-Sheets, Powerpoint-Präsentationen etc. 80 Prozent des Wissens ist aber komplett undokumentiert. Es steckt in den Köpfen der Mitarbeiter, und das wird auch so bleiben.

Der Trick ist: Mit Enterprise 2.0 vernetzt man eher die Menschen, beziehungsweise deren Köpfe. Dort werden Anker gelegt. Beispielsweise schreiben Sie in den Microblog: "Habe gerade Proposal für den Kunden xy fertiggestellt." Dann können andere auf Sie zugehen und sagen: Ich habe auch gerade mit dem Kunden zu tun, wir sollten uns austauschen.

Im Enterprise 2.0 zählt vor allem die Reputation eines Mitarbeiters. Er genießt etwa einen guten Ruf, weil er zum Thema Qualitätsmanagement Ahnung hat, weil er von anderen gelobt wurde, weil er eine gewisse Anzahl von Dokumenten fertig gestellt hat etc. Er ist ein Experte und kann sich als solcher im Enterprise 2.0 positionieren - und nicht nur sein Wissen irgendwo auf dem Server ablegen. Feedback-Mechanismen, die auf dieser Reputation aufsetzen, helfen, eine intrinsische Motivation zu erzeugen. Die ist viel mehr wert als irgendwelche Belohnungsmodelle.