It im Handel/Halbzeit im Chip-Pilotversuch Ravensburg

Engpaß ist die Schnittstelle zwischen Kasse und Terminal

19.07.1996

Rund 85 Prozent aller Zahlungsvorgänge laufen bar. Ungeheure Geldmengen wechseln täglich den Besitzer. Man stelle sich den Berg von elf Milliarden Mark in Münzen ê eine, zwei und fünf Mark vor, die jährlich in den 800000 Zigarettenautomaten klingeln. All dieses Geld muß geschleppt, sortiert, geprüft, gezählt, verpackt und wieder verteilt werden. Ersatz soll eine Plastikkarte bringen, versehen mit einem Chip.

Das Prinzip der Telefonkarte: Ein Chip ist mit einer Summe X geladen und wird entsprechend dem Verbrauch entladen. Ist der Chip leer, wird die Karte weggeworfen oder recycelt. Nicht so bei der "Geldkarte", die seit Ende März 60000 der 80000 Debitkartenkunden (EC-Karte, Bankkarte, S-Card) in der Region Ravensburg/Weingarten besitzen und die bisher über 70000mal benutzt wurde. Die Karte mit Chip wird an etwa 600 von möglichen 1000 Stellen akzeptiert, nicht eingerechnet die Taxis und Busse, in denen man Ende dieses Monats auf Kleingeld verzichten kann.

Beim Bäcker und beim Friseur, im Kino, bei der Stadt, im Telekom- Laden läßt sich damit bezahlen, allerdings noch nicht telefonieren. Der wesentliche Unterschied zur bisher üblichen Telefonkarte: Der Chip kann immer wieder auf bis zu 400 Mark geladen werden.

Bargeld hat bislang einen großen Vorteil: Man kann immer und überall damit bezahlen, sofern man das nötige Kleingeld hat. Bei einer Karte, die Bargeld ersetzen soll, sollte dies ebenso sein. Der Zentrale Kreditausschuß (ZKA), eine Arbeitsgemeinschaft der Verbände des deutschen Kreditgewerbes, entwickelte die Spezifikationen für die Geldkarte. Jeder Hersteller hat die realistische Chance, sein Produkt abnehmen zu lassen.

Im In- und Ausland kann man mit der EC-Karte bei jeder Bank Geld abheben. Was mit einem Magnetstreifen geht, sollte auch mit einem Chip funktionieren. Dem ist jedoch leider nicht so: Man kann die Karte zwar bei jedem Institut immer wieder gegen Bares laden lassen, nicht jedoch am Terminal einer Bank, bei der man selbst nicht Kunde ist. Wenn die Händler- und die Taschenterminals jede Karte akzeptieren, dann fragt man sich, wieso dies nicht auch die Kolosse tun, die - mit neuester Technologie wie Touchscreens ausgestattet - den SB-Bereich so mancher Bank in einen regelrechten Spielsalon verwandeln?

An diesen Bankenterminals läßt sich der Chip nur über die Kontonummer aufladen - schlecht für die Kunden anderer Banken, sind sie damit doch an die Öffnungszeiten der Schalter gebunden. Unverständlich wenn man bedenkt, daß beispielsweise die 6000 Mitarbeiter bei Mercedes in Gaggenau ihre Chipkarten rund um die Uhr an Aufwertern der Hannoveraner Girovend gegen Bargeld oder über das Konto nachladen.

Der Händler entlädt die Karte, das Geld geht auf sein Konto. Will man den Chip bei der Bank jedoch auf ein Konto oder gegen Bargeld entladen, gibt es Probleme. Ralf Bröcker von der Hypo-Bank rät daher seinen Kunden, "nur soviel aufzuladen, wie auch ausgegeben werden soll". Hans-Joachim Bayer, Leiter der Citibank-Zweigstelle in Ravensburg: "Ich habe drei Monate vergebens auf das von einem Münchner Geldhersteller versprochene Be- und Entladeterminal gewartet." Dann stieg er dennoch in das Projekt ein. Der Wettbewerb wird zeigen, welcher Hersteller als "Geldwechsler" gewinnt.

Das Händlerterminal: eine Herausforderung

Der Kunde schiebt seine Karte in das Händlerterminal. Im Display erscheint die zur Verfügung stehende Summe, der Rechner zieht die Schuld ab, der Rest erscheint im Display. Das Bezahlen geht ruck, zuck. Der Händler hat sein Geld sofort auf dem Konto. Bislang nur ein schöner Traum, denn:

1.Alles spricht von globaler Vernetzung, doch die Schnittstelle zwischen Kasse und Terminal fehlt, obgleich eine Münchner Weltfirma auf der CeBIT '96 mit Blick auf Ravensburg ein Komplettsystem von der Hard- bis zur Software präsentierte. Die Kassiererin muß den Kassenendbetrag in das Terminal extra eingeben, es gibt reichlich Probleme bei der Datenübertragung vom Händler zum Konto, mit ISDN läuft laut einem Telekom-Mitarbeiter noch gar nichts. Das Ziel Zeitverkürzung ist nicht erreicht.

2.Für die 70-Pfennig-Zeitung spuckt das Terminal einen 17zeiligen Bon doppelt aus, dessen Kopie der Händler für seine Abrechnung benötigt: eine Papierverschwendung und ein ungeheurer Aufwand. Ein Käufer, der die Quittung für seine Bücher braucht, muß den Kassenzettel wegen der Einzelposten und der Mehrwertsteuer verbuchen und eine Extraseite für die Bons einrichten. Vielleicht hat die Datev schon ein griffiges Wort für "Bargeldkartenkonto". Die Konsequenzen aus der Misere zog Aldi. Dort wird das Geldkartenlogo erst an der Scheibe kleben, wenn eine integrierte Kasse zugelassen ist.

3.Zu Beginn standen nur multifunktionale Händlerterminals für Magnetstreifen- und Chipkarten zur Verfügung. Inzwischen gibt es eines nur mit Börsenfunktion, ideal für Kiosk, Taxi und Bus.

4.Ein in Geldsachen führender Hersteller hat seine teuren Terminals so programmiert, daß sie nach 60 Buchungen stoppen. Die Kassiererin muß dann das Terminal statt ihrer Kunden bedienen.

5.Ein Dienstleister, der sich in allem, was IT und C heißt, bestens auskennt, macht nicht mit - Benedikt Nonnenbroich, Inhaber eines Internet-Cafés in Ravensburg. Er fand kein System, das sich mit seinen Computern so vernetzen läßt, daß der zu zahlende Betrag auf dem Terminal erscheint. Er beobachtet sehr genau, wie sich das Konzept der Deutschen Bank mit der holländischen Digicash zum bargeldlosen Bezahlen kleiner Beträge ohne Preisgabe der Kreditkartennummer im Internet entwickelt. Ideengeber ist die Mark Twain Bank in St. Louis, europäische Anwender gibt es bereits in Finnland.

Pro Transaktion muß der Händler fünf Pfennig beziehungsweise 0,3 Prozent an die Bank abführen. Das schreckte vor allem Zeitungshändler und Automatenbetreiber mit preisgebundenen Artikeln ab. Das ZKA reagierte. Sofern das Bundeskartellamt zustimmt, wird das Mindestentgelt auf zwei Pfennig gesenkt, die 0,3 Prozent sollen bis auf weiteres bleiben.

Ideal für Kinder soll die Geldkarte sein. Dagegen sprechen jedoch die von einer anonymen Karte nicht mögliche Entladung eines Betrags auf ein Sparkonto und das Verhalten so mancher Händler, die zwar einen 100-Mark-Schein aus Kinderhand akzeptieren, nicht aber eine derartige Karte.

Die Kreissparkasse stellte in Super- und Baumärkten Ladegeräte auf. Dieser Service bringt Zusatzumsatz, denn viele Kunden laden nach und kaufen spontan etwas, was nicht auf dem Einkaufszettel steht.

Wie der Chip ist auch das Taschenterminal ein Mikrocomputer. Hier bieten sich Chancen für Hersteller mit Phantasie in Sachen Form und Farbe sowie zwei Flächen zur Gestaltung für Bank wie Händler, um den Kunden als Dauerkunden zu gewinnen.

Die Vorteile der Geldkarte: kein langes Suchen nach dem letzten Pfennig, keine Wechselgeldprobleme, kein Falschgeld, Sicherheit, Bezahlen ohne Unterschrift, keine Online-Prüfung der Karte, schnelle Abrechnung zwischen Handel und Banken, an jedem Automaten überall von jedem einsetzbar - zumindest ist das der Traum der Banker.

Zur CeBIT Home Ende August hofft Klaus Tigges, Software-Entwickler bei Verifone in Filderstadt, daß er nicht nur sein Ticket für die Straßenbahn per Chip bezahlen kann. Unter der Federführung der Hannoveraner Sparkasse sollen bis dahin die Niedersachsen mit der Geldkarte und die Händler mit Terminals versorgt sein. Die Münchner Weltfirma hofft diesmal dabei zu sein.

Ende 1997 sollen 55 Millionen Karten mit Chip ausgestattet sein. Doch wo Terminals die 25 Millionen Karten auf- und entladen werden, die bis Ende 1996 ausgeliefert werden sollen, ist noch ein halbes Jahr vorher auch Regina Quentmeier vom Bundesverband deutscher Banken ein Rätsel: "Die Infrastruktur fehlt, bei Banken wie bei den Händlern." Ungeahnte Touristenströme könnten Ravensburg zu Weihnachten überfluten, um mal auszuprobieren, wie man Computerspiele oder Spätzle mit der Börsenkarte begleicht.

Die Telekom will die Anwendung ihrer Telefonkarte erweitern. Zusammen mit Verkehrsbetrieben läßt sie zur Zeit die "Pay- card" testen. Klaus Altenhenne, Leiter des ZKA-Pilotprojekts aus München, sieht hier einen "ernstzunehmenden Wettbewerber". Es bleibt abzuwarten, ob die Handelsketten ihre Karten nicht auch mit einem aufladbaren Chip ausstatten, der das Kleingeld überall ersetzt. Nicht weit von Ravensburg, in Konstanz, bezahlen die Studenten den Uni-Kopierer mit dem Chip der Intercard aus VS- Villingen, die auch an eine Akzeptanzerweiterung denkt.

Warten auf den globalen Standard

Seit Ende 1995 haben alle 2,4 Millionen Österreicher mit EC-Karte den Chip, auch 2,5 Millionen Belgier bezahlen seit einem Jahr damit. Kazem Aminaee, Electronic Purse Manager bei CP8 Transac im französischen Louveciennes, weist auf weitere Projekte der Bull Company hin:

-Bis Mitte 1997 können neun Millionen Niederländer an 100000 Terminals auf Kleingeld verzichten.

-Italien begann am 24. Juni regional mit 350000 Karten und 15000 Händlern.

-Ab September lautet bei drei Millionen Schweizern an 14000 Terminals die Frage "Chip oder Bargeld?"

Über den Bodensee ist es nur ein Sprung nach Ravensburg.

Noch fehlt ein globaler Standard für die Millionen Karten der Bankenverbände, die künftig den Chip tragen. August Lammersdorf, Geschäftsführer beim Münchner Kartenhersteller ODS, freut sich auf das Geschäft auch mit bisher nur nationalen Karten: "Alle drei bis vier Jahre wechselt man die Karte wie das Lederportemonnaie.. Viele piloten in einem Versuch

Herausgeber: 17 Banken Sämtliche Kreditinstitute im Raum Ravensburg/Weingarten sind an dem Versuch beteiligt. Die vom Zentralen Kreditausschuß (ZKA) zugelassenen Hersteller für das Pilotprojekt:

Chip

Motorola, München Siemens, München

Karte

Giesecke & Devrient (G&D), München ODS R. Oldenbourg Datensysteme, München

Ladeterminal

G&D Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI), München

Bankensonderfunktions- terminal

G&D SNI

Händlerterminal

EPC, Hamburg Gemplus, Filderstadt G&D Krone, Bad Hersfeld SNI Verifone, Bad Homburg

Taschenkartenleser

Elme, Au in der Hallertau OKI Systems, Düsseldorf

Ein Chip - vier Kartentypen

-multifunktionelle Karte mit EC-Funktion, kontogebunden -Bankkarte, wie die Multikarte, jedoch ohne Scheckkartengarantie -"White Card", anonym, nicht kontogebunden, nicht bei jedem Institut erhältlich -"White Card" mit Zusatzfunktion des Be- und Entladens über die Kontonummer, kontogebunden.

Angeklickt

Weltweit werden Plastikkarten mit integriertem Chip getestet. Der soll das Kleingeld ersetzen. Bei Halbzeit des deutschen Pilotprojekts zeigen sich vor allem Probleme mit der Hard- und der Software bei Banken wie Händlern. Hunderte von Bankterminals, etliche Millionen Kassen und Automaten warten auf ihre Umrüstung, denn 55 Millionen Kunden sollen Ende 1997 mit Chip statt Pfennig und Mark bezahlen können.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.