Energie beflügelt den IT-Arbeitsmarkt

21.10.2010
Regenerative Stromerzeugung und -verteilung schaffen nicht nur für Ingenieure, sondern auch für IT-Profis Jobs.

Die EnBW Baden-Württemberg im Landkreis Sigmaringen hat im Frühjahr ihren ersten Solarpark eingeweiht. Die sieben Hektar große Anlage erzeugt jährlich rund 2,1 Millionen Kilowattstunden Strom. Damit können 600 Haushalte versorgt und jährlich über 1250 Tonnen CO2 eingespart werden. Diese Alternative ist aus zwei Gründen wichtig für das Unternehmen. Zum einen ist der Zuwachs des Anteils regenerativer Energiequellen mit dem "20-20-20-Ziel" europaweit verordnet. Danach soll bis 2020 der Kohlendioxid-Ausstoß um 20 Prozent reduziert, der Anteil regenerativer Energiequellen auf 20 Prozent des Energiebedarfs erhöht und der Verbrauch durch Effizienzsteigerung um 20 Prozent reduziert werden. Andererseits braucht der Energieerzeuger Alternativen für seine Atomkraftwerke, die er sukzessive abschalten muss.

Alte Anlagen müssen raus

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) kommt in einer Marktstudie zu dem Ergebnis, dass sich der Anteil der erneuerbaren Energien an der europäischen Stromproduktion bis 2030 im Vergleich zu 2007 auf fast 50 Prozent verdreifachen wird. Danach wird weiterhin die Hälfte des benötigten Stroms aus konventionellen Anlagen kommen, doch viele von diesen sind nach heutigen Maßstäben ineffizient und müssen durch moderne, energieeffiziente Anlagen ersetzt werden. Der Verband geht von einem Investitionsvolumen im Energiemarkt von mehr als 1000 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren aus. Das bringt der Industrie Wachstumschancen in vielen Zweigen – und Jobs für Informatiker.

Neue Aufgaben für Informatiker

Rund 600 Informatiker beschäftigt die EnBW Baden-Württemberg heute, bis zum Jahresende sollen 60 weitere hinzukommen – für Eigenentwicklungen, Standardapplikationen, Netztechniken und Web-Services sowie einige wenige Stellen speziell für Smart Energy. "Das Thema befindet sich in einer frühen Phase, doch intelligenten Netzen gehört die Zukunft", so Achim Reuther, Senior Manager Konzern IT-Strategie in der EnBW-Zentrale in Karlsruhe.

Ob Biogasanlagen, Windparks oder Fotovoltaik: Die kleinen, dezentralen Kraftwerke müssen kontrolliert an das Hauptnetz angebunden werden. Dafür sorgen Informatiker. In der regenerativen Energieerzeugung werden mehr Informatiker gebraucht als in klassischen Kraftwerken. In diesen lässt sich Strom oder Wärme kontrolliert herstellen, doch der Wind bläst nicht jeden Tag gleich stark, ähnlich ist es mit der Sonne. Um mit der volatilen Energie richtig umzugehen, werden für Windkrafträder und Fotovoltaikanlagen mehr Mess-, Regel- und Steuerungstechnik gebraucht als etwa in einem Kohlekraftwerk. Daraus ergeben sich neue Aufgaben für Informatiker.

Trend zu E-Mobility

Die rotierende Scheibe in den alten Stromzählern hat bald ausgedient. Der schlaue Stromzähler (Smart Meter) ist auf dem Vormarsch und wird unseren Umgang mit Strom verändern. Er schafft die Voraussetzungen dafür, im Rahmen einer intelligenten Infrastruktur (Smart Grids) dezentrale, regenerative Energieerzeuger einzubinden, die Energieeffizienz beim Endverbraucher zu steigern und den Anteil fossiler Energieträger ohne Einbußen bei der Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit der Energieversorgung zurückzufahren, so die Ergebnisse der VDE-Analyse "Smart Energy 2020". Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik sieht wie der VDMA im Energiesektor enorme Wachstumschancen für die deutsche Industrie, etwa in der E-Mobility.

An der TU München gibt es an der Fakultät für Informatik den Forschungsschwerpunkt Energieinformatik mit Fokus auf Elektromobilität und Energiespeicherung. Die Nachwuchswissenschaftler Martin Sachenbacher und Martin Leucker betreuen die Projekte. Leucker nennt ein Beispiel: "Die zurzeit noch geringe Kapazität von Batterien der Elektrofahrzeuge stellt hohe Anforderungen an die Energieeffizienz. Notwendig sind Konzepte wie intelligentes Adaptive Cruise Control, das eine automatisiert vorausschauende Fahrweise erlaubt, um möglichst weit zu kommen." Themen, an denen Informatiker künftig arbeiten, seien Stromsparfunktionen an Geräten und intelligente Gebäudesteuerungen: "Ohne Informatik gibt es keine Energieeffizienz."

Neun von zehn Unternehmen in der Elektro- und IT-Industrie sind der Ansicht, dass der Trend zu E-Mobility und intelligenten Stromnetzen den Bedarf an Elektroingenieuren und Informatikern steigern wird. Das ist eines der Ergebnisse des VDE-Trendreports "Elektro- und Informationstechnik 2010", einer Umfrage unter den 1300 Mitgliedsunternehmen und Hochschulen der Elektro- und Informationstechnik. Dass aber Elektromobilität oder Elektroeffizienz von heute auf morgen für Vollbeschäftigung in Deutschland sorgen werden, dieser Hoffnung nimmt die Deutsche Bank Research den Wind aus den Segeln. "Immer mehr Fahrzeuge werden künftig teilweise oder ganz mit Strom angetrieben. Ein schneller Strukturwandel ist aber unwahrscheinlich, denn viele grundsätzliche Probleme bei der Elektromobilität sind noch zu lösen. Die größte Herausforderung sind wohl die hohen Kosten für die Batterien", so Eric Heymann von Deutsche Bank Research.

Mit Batterien beschäftigt sich zum Beispiel die Firma Lionsmart GmbH, ein von Absolventen der Technischen Universität München gegründetes Startup, das sich unter anderem mit Modellen und Management-Systemen von Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge beschäftigt. "Die Firma sucht dringend Informatiker", sagt der Wissenschaftler Leuker. (hk)

"Ohne Informatik gibt es keine Energieeffizienz"

An der Technischen Universität München besteht im Fachbereich Informatik der Forschungsschwerpunkt Energieinformatik. Martin Leucker ist dort Privatdozent und eine der treibenden Kräfte der Energieinformatik.

CW: Das Allgäu lebt vom Tourismus – unter anderem unterstützt durch die Informatiker der TU München. Inwieweit arbeiten Sie zusammen?

LEUCKER: Im Rahmen des Projekts "E-Tour Allgäu", das Teil der Initiative "IKT für Elektromobilität" der Bundesregierung ist, sind seit Mitte 2010 etwa 40 Elektrofahrzeuge in der Region unterwegs und sammeln Betriebs- und Nutzungsdaten. In unserem Teilprojekt geht es darum, Fahrzeug-, Nutzer- und Topologieinformationen in mathematischen Modellen abzubilden, um die Reichweite einzelner Elektrofahrzeuge zu prognostizieren und zu optimieren sowie die Auswirkungen der Integration der Fahrzeugflotte in das Energieversorgungsnetz zu analysieren.

CW: Werden an der TU München Informatikstudenten in Energiefragen ausgebildet?

LEUCKER: Seit kurzer Zeit bieten wir Praktika und Seminare in der Energieinformatik an und vermitteln grundlegende Modellierungs-, Analyse-, Steuerungs- sowie Planungstechniken. Dedizierte Energieinformatik-Vorlesungen gibt es bislang noch nicht, doch das wird sich sicher in Kürze ändern. Informatik ist im Bereich der Energieeffizienz unabdingbar, deshalb halte ich einen Lehrstuhl für Energieinformatik für notwendig.

CW: Bereits jetzt hat die Universität ein Green-Navigation-Praktikum und das Seminar "Modelle und Algorithmen für effiziente Elektromobilität" angeboten. Worum ging es dabei?

LEUCKER: Im Praktikum haben zwölf Studenten eine Routenplanungs-Software entwickelt, die es erlaubt, die energieeffizienteste Route zu berechnen. Ziel war es, Software-Engineering-Techniken anhand der Entwicklung einer zukunftsweisenden Anwendung zu erlernen. Das Praktikum ist abgeschlossen.

CW: Und das Seminar?

LEUCKER: Hier bearbeiten wir Themen im Bereich der Energieinformatik mit Schwerpunkt Elektromobilität. Zum einen erörtern wir in Studentengruppen Batteriemodelle, die eine genaue Vorhersage des Ladezustands einer Batterie ermöglichen. Zum anderen erweitern wir Routenplanungsalgorithmen für Fahrzeugflotten, die den Ladezustand beziehungsweise den Verbrauch von Elektrofahrzeugen berücksichtigen und beispielsweise ein intelligentes Car-Sharing von Elektrofahrzeugen ermöglichen sollen.