Documentum-Übernahme soll Lösungsgeschäft forcieren

EMC setzt auf ECM

24.10.2003
MÜNCHEN (ajf) - Der Speicherhersteller EMC entfernt sich vom margenschwachen Hardwaregeschäft. Mit dem Kauf von Documentum will die Company ihr Portfolio als Lösungsanbieter ausbauen und sich gegen IT-Konzerne wie IBM wappnen. Die Verwaltung unstrukturierter Daten mittels Programmen für das Enterprise-Content-Management (ECM) gilt wieder als einträglich.

Verborgen hat EMCs CEO Joseph Tucci seine Absichten eigentlich nicht - da die Margen im Hardwaregeschäft unter Druck geraten sind, muss der Konzern neue Erlösquellen anzapfen. Folglich betonte Tucci in der jüngsten Vergangenheit stets, dass EMC sein Software-Business auf einen Umsatzanteil von 30 Prozent im Jahr 2005 ausbauen will. "Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die nächste große Welle bei Storage-Software in der Verwaltung des kompletten Lebenszyklus von Informationen liegen wird", redete der EMC-Chef schon im Juli Klartext. An größere Konsequenzen geglaubt hatte offenbar kaum jemand.

Nur Hardware reicht nicht

Als vergangene Woche die Nachricht von der Übernahme des auf Dokumenten-Management-Systeme (DMS) spezialisierten Softwareherstellers Documentum für 1,7 Milliarden Dollar die Runde machte, waren viele Beobachter überrascht. Schließlich sind vollmundige Ankündigungen in der IT-Branche in der Regel ein Zeichen dafür, dass nichts passieren wird. Für EMC indes wird sich sich viel verändern - ein Konzern, der noch Anfang des Jahres als reiner Hardwerker (mit proprietären Tools) bekannt war, versucht eine radikale Neupositionierung als Lösungsanbieter.

"Vor allem die Größe zählt", kommentiert DMS-Experte Ulrich Kampffmeyer, und sei es nur, um nicht selbst geschluckt zu werden. Den Grundstein dieser Strategie hatte die Company bereits im Sommer gelegt, als sie für 1,3 Milliarden Dollar das Speichersoftwareunternehmen Legato Systems kaufte. Dass EMC die Einkaufstour außerhalb des hardwarenahen Infrastrukturbereichs fortsetzte, war die eigentliche Überraschung.

Dabei sind die Gründe für den Zusammenschluss offensichtlich - und zwar auf beiden Seiten. Für Documentum wäre das Überleben als ,mittelständischer'' Softwareanbieter kein leichter Kampf. Trotz zuletzt zweistelliger Wachstumsraten wirkt die Company längerfristig wie ein Zwerg neben den Riesen SAP, Oracle, Microsoft und vor allem IBM. Der Druck der Konzerne wächst zunehmend: "Den klassischen DMS-Anbietern gehen langsam die Alleinstellungsmerkmale aus", berichtet Kampffmeyer, der schon seit Jahren vor einer Konsolidierung im Markt warnt. Die DMS-Basisfunktionen würden zunehmend in Standardsoftware integriert und von IT-Schwergewichten wie zuletzt Microsoft aufgegriffen.

Die Übernahme durch EMC ist für Documentum gewissermaßen schonend: Da sich die Portfolios der Companys nur marginal überschneiden, könnten die Struktur und die eingespielten Teams der Softwerker weitgehend erhalten bleiben. Eine von vielen Branchenkennern eher erwartete Fusion zweier DMS-Experten ähnlichen Profils hätte mit Sicherheit deutlich mehr Ressourcen gebunden und schmerzliche Einschnitte nach sich gezogen. Der Plan von EMC sieht daher auch vor, Documentum als eigene Division ohne größere Veränderungen weiterzubetreiben.

Wie die kulturelle Integration dann faktisch gestaltet wird, hängt ganz von der EMC-Führung ab. Ein glückliches Merger-Händchen wird dem Konzern bis dato beileibe nicht nachgesagt, aber "es hat sich zuletzt im Management einiges geändert", sagt Norbert Deuschle, Speicherexperte der Meta Group. Mit Cheftechniker Mark Lewis und seit einer Woche auch Howard Elias (,New Ventures'') sitzen inzwischen zwei Vertreter im obersten EMC-Management, die sich noch aus gemeinsamen Digital-Equipment-Zeiten kennen. Zudem haben unlängst drei weitere führende HP-Mitarbeiter die Seiten gewechselt.

Was verspricht sich EMC im Detail von dem Kauf? Die Übernahme eines ECM-Komplettanbieters soll gewährleisten, dass sich Produkte und neue Pakete aus Hard- und Software innerhalb kürzester Zeit auf den Markt bringen lassen. Zudem spekulieren die einstigen Hardwerker auf hohe Margen im Softwaregeschäft, mit denen das traditionelle Bussiness gestützt werden soll. Dass andere IT-Firmen wie Cisco inzwischen den Speichermarkt beliefern, dürfte die Entscheidung beschleunigt haben.

Dass die Wahl auf Documentum und nicht auf dessen stärksten Wettbewerber fiel, liegt auch an der unterschiedlichen Vergangenheit der Unternehmen: Filenet hat seine Wurzeln im Bereich Archivierung. Da aber der neue EMC-Speicher "Centera", der allseits gelobt wird, ebenfalls für die Langzeitsicherung entwickelt wurde und Documentum seine Stärken im dynamischen Dokumenten-Management hat, "ist die Übernahme eine sinnvolle Ergänzung", urteilt Bernhard Zöller von der Unternehmensberatung Zöller & Partner: "Die Verbindung von Filenet mit EMC hätte mehr Redundanzen mit sich gebracht". Wer Dokumente unveränderlich speichern müsse, könne sich für die Centera-Plattform entscheiden und brauche dann kein Filenet-Archiv mehr.

Unstrukturierte Informationen wuchern aus

"EMC hat sich mit einem Schlag in die Liga der führenden ECM-Anbieter eingekauft", beurteilt DMS-Experte Kampffmeyer den Deal. Das wirkt strategisch sinnvoll: Der Anteil der in Unternehmen unstrukturiert vorliegenden Informationen wächst rapide, die Anwender verlangen nach adäquaten Verwaltungslösungen für Bilder, PDF-Dateien und vor allem E-Mails. Verschärfte rechtliche Rahmenbedingungen treiben die Nachfrage zusätzlich an. "Das Thema Dokumenten-Management wird auf einmal wieder extrem diskutiert", berichtet Diego Sieber, Geschäftsführer der Schweizer Niederlassung des DMS-Beratungsunternehmens Pentadoc. Gefragt seien Konsolidierungsprojekte "mit den klassischen Zielen Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung."

Allein der Preis für Documentum erschien vielen Beobachtern als zu hoch gegriffen: Für mehr als 1,7 Milliarden Dollar in eigenen Aktien - pro Dokumentum-Anteil gibt es 2,175 EMC-Papiere - kauft sich EMC nur rund fünf Prozent Umsatzwachstum hinzu, lautet der Vorwurf. Der Kurs der Softwerker war in den vergangenen zwölf Monaten von zwölf auf rund 25 Dollar und somit auf eine Marktkapitalisierung von mehr als 1,2 Milliarden Dollar geklettert.

Ist der Preis zu hoch?

Auf den Documentum-Schlusskurs legte EMC noch 29 Prozent drauf, um die Aktionäre des Softwareherstellers von der Übernahme zu überzeugen. Dennoch stimmen die Größenverhältnisse, ist doch die EMC-Aktie im gleichen Zeitraum von vier auf über 14 Dollar und damit das Unternehmen auf eine Marktkapitalisierung von 30 Milliarden Dollar gewachsen.

Angesichts der Überraschung, die die Akquisition ausgelöst hat, gingen die aktuellen Finanzzahlen der beteiligten Unternehmen etwas unter. Sie zeigen, dass es sich bei der Übernahme beileibe nicht um den verzweifelten Schritt zweier Angeschlagener handelt. So konnte Documentum das achte Quartal in Folge wachsen und im abgeschlossenen Berichtszeitraum nach vorläufigen Zahlen einen Umsatz von 73,5 Millionen Dollar ausweisen. Dies bedeutet eine Steigerung von 31 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Rund 36 Millionen Dollar wurden mit Programmen umgesetzt, 37 Millionen Dollar mit Services. Der Gewinn schrumpfte gegenüber dem dritten Quartal 2002 allerdings von fünf auf zwei Cent je Aktie.

Auch Filenet, der größte unabhängige Wettbewerber im ECM-Umfeld, hat in der vergangenen Woche gute Zahlen für das September-Quartal vorgelegt, die auf eine starke Nachfrage nach ECM-Lösungen schließen lassen. Der Umsatz kletterte um knapp acht Prozent auf 89,4 Millionen Dollar, die Softwareeinnahmen legten um 16 Prozent auf 35,3 Millionen Dollar zu. Positiv sah es auch unter dem Strich aus: Mit einem Nettogewinn von 2,5 Millionen Dollar schnitt Filenet 79 Prozent besser als im gleichen Zeitraum des Vorjahres ab. Sowohl beim Umsatz als auch in puncto Ertrag konnten die Erwartungen der Analysten übertroffen werden. Die Company, die sich neben ECM vor allem dem Prozess-Management verschrieben hat, ist an der Börse inzwischen wieder mit rund 850 Millionen Dollar bewertet und wäre somit rein rechnerisch ein lohnenderes Übernahmeziel als Documentum gewesen, was die Umsätze betrifft. Allerdings hat CEO Lee Roberts in der Vergangenheit stets darauf verwiesen, dass Filenet gewillt ist, seinen Weg allein zu gehen.

EMC schließlich verzeichnete sein drittes Quartal in Folge mit einem sequentiellen Umsatzanstieg, wenn auch nur um zwei Prozent. Insgesamt beliefen sich die Einnahmen auf 1,51 Milliarden Dollar, davon stammen 23 Prozent aus dem Softwarebereich. Kommendes Jahr sollen es 26 Prozent sein, wobei die Umsätze von Documentum anteilig mit eingerechnet sind. Programme für die eigenen Plattformen brachten es auf 229 Millionen Dollar, mit Multi-Platform-Tools wurden 116 Millionen Dollar eingenommen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatten sich die gesamten Umsätze auf knapp 1,3 Milliarden Dollar belaufen.

Der Nettogewinn von EMC stieg gleichzeitig von 21 Millionen auf aktuell 159 Millionen Dollar oder sieben Cent je Aktie. Die Wallstreet hatte durchschnittlich einen Cent weniger erwartet. Für das laufende Quartal plant das Unternehmen Umsätze von rund 1,75 Milliarden Dollar und einen Gewinn von fünf Cent pro Anteilschein ein. Im Gesamtjahr rechnet der Speicherspezialist mit einem Umsatzanstieg von 13 Prozent. Die kurzfristig verfügbaren Mittel summieren sich auf mehr als sechs Milliarden Dollar.

Das neue Portfolio

Mit der Übernahme von Documentum sichert sich EMC den Markteinstieg von Lösungen zur Verwaltung unstrukturierter Daten, die in Geschäftsprozesse integriert werden sollen. Der Konzern nennt dies "Information-Lifecycle-Management" (ILM). EMCs CEO Joseph Tucci will in Zukunft ILM-Lösungen anbieten, mit denen Anwender für jede Information zu jedem Zeitpunkt im Lebenszyklus des Dokuments das passende Maß an Verfügbarkeit, Sicherheit und Zugriffsgeschwindigkeit auswählen können.

Im Zuge der gesetzlichen Regelungen zur Aufbewahrungspflicht elektronischer Daten dürfte sich EMC von der Documentum-Übernahme weitere Absatzmärkte für den "Centera"-Speicher erhoffen, der auf Basis kostengünstiger Festplatten eine veränderungssichere Archivierung bietet. Beide Firmen kooperieren bereits seit April 2002, um eine Lösung für "Content Addressed Storage" (CAS) auf die Beine zu stellen. Documentums ECM-Plattform ist als CAS-Tool für Centera zertifiziert.

EMCs Cheftechniker Mark Lewis ist derzeit noch mit der Eingliederung der im Sommer übernommenen Firma Legato Systems beschäftigt, deren Softwareprodukte ebenfalls dem ILM-Konzept dienen sollen. Die Überschneidungen zwischend en Angeboten von Documentum und Legato sind indes gering. Letztere Company bietet insbesondere Backup- und Recovery-Lösungen, hat aber mit dem "Email-Xtender" auch ein Programm im Portfolio, mit dem sich regelbasierend elektronische Nachrichten, Anhänge und Instant Messages verwalten lassen. Policy-basierende Automatisierung und die Integration von Softwarefunktionen des EMC-Portfolios sind genau das, was Lewis unter ILM versteht. Seiner Meinung nach müssen die verschiedenen Funktionen vereinfacht werden, damit nicht für jede Teilaufgabe ein eigenes Programm zum Einsatz kommt.