IT made in Germany/Noch ist das Verhältnis zwischen Autoherstellern und IT-Spezialisten ungeklärt

Embedded Systems für die Autoindustrie

24.09.2004
Deutsche Anbieter haben beim Thema IT in der Automobil- industrie die Nase vorn: Der überwältigende Anteil der Innovationen kommt aus hiesigen Labors. Allerdings steckt die Entwicklung von Embedded Systems für Fahrzeuge noch in den Kinderschuhen - eine große Herausforderung für deutsche Softwareschmieden und Autozulieferer. Von Susan Naumann*

Endlich einmal eine gute Nachricht: Deutschland, darin sind sich Branchenkenner einig, ist in Sachen Software-, Elektrik- und Elektronikentwicklung für die Autoindustrie weltweit die Nummer eins. "80 bis 90 Prozent aller Innovationen kommen aus Europa, 70 Prozent davon aus Deutschland", schätzt Jan Dannenberg, Direktor von Mercer Management Consulting. "Das Thema Software im Fahrzeug wird hauptsächlich durch deutsche Firmen getrieben", bestätigt Ulrich Weinmann, Leiter der Münchner BMW Car IT. Und Erich Nickel, Director of Global Telematics Solutions bei IBM, meint: "Ein großer Anteil an Software in der Automobilindustrie entsteht hier in Deutschland." Einheimische IT-Firmen, da sind sie sich einig, partizipieren eindeutig am Erfolg deutscher Autobauer.

Die Aussichten erscheinen, gemessen an anderen Sparten der IT-Industrie, geradezu paradiesisch: So soll sich nach Angaben der Münchner Unternehmensberatung Mercer Management Consulting das weltweite Marktvolumen für Elektrik/Elektronik inklusive Software im Automobil von 125 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 270 Milliarden Euro im Jahr 2010 mehr als verdoppeln - etwa 100 Milliarden Euro davon entfallen auf Software. Anders ausgedrückt: Während das Durchschnittsauto heute Elektronik und Elektrik im Wert von etwa 2200 Euro an Bord hat, werden es in zehn Jahren rund 4150 Euro sein.

Goldene Zeiten für Zulieferer und Dienstleister, aber auch Softwareunternehmen, die bisher mit dem Bereich Automotive noch wenige Berührungspunkte hatten. Wie die Unternehmensberater herausgefunden haben, übernehmen genau diese Firmen bis zum Jahr 2015 etwa 77 Prozent der Wertschöpfung. Martin Boehme, der bei der Softlab-Tochter Nexolab für das Kompetenzzentrum Entwicklung zuständig ist, fügt hinzu: "Blech biegen können heute viele. Robuste Elektrik/Elektronik-Lösungen werden zunehmend zur wettbewerbdifferenzierenden Kernkompetenz in der Automobilindustrie."

Softwareausfälle sind immens hoch

Die Gründe für das enorme Marktpotenzial sind vielschichtig. Dazu gehören Anforderungen, die vom Gesetzgeber auf den Weg gebracht werden, etwa Reduzierung der Emissionswerte oder Fragen der Fahrzeugsicherheit. "Viele dieser Standards funktionieren heute nur noch über elektronische Komponenten", konstatiert Mercer-Automotive-Experte Dannenberg. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die Kundenanforderungen: Neben mehr Leistung und Komfort sowie erhöhter Sicherheit wünschen sich viele Autokäufer ausgeklügelte Info- und Entertainment-Systeme. "All das muss heute zu 80 Prozent über die IT abgedeckt werden", so Dannenberg.

Software ist künftig nicht mehr zwangsläufig Bestandteil einer Hardware, sondern wird zunehmend ein eigenständiges Produkt. Ohne IT sind moderne Fahrzeuge nicht lauf- und Automobilhersteller nicht wettbewerbsfähig. Denn im Vergleich zur Hardware hat Software einen entscheidenden Vorteil: Flexibilität. So können Anwendungen, die einmal auf Seiten der Software abgebildet wurden, beliebig oft reproduziert werden - ohne große Kosten. Und: Die Fahrzeughersteller sind in der Lage, während des Modelllebenszyklus eines Autos personalisierte Features anzubieten und diese einzuspielen, ohne Veränderungen an der Hardware vornehmen zu müssen.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Und der ist derzeit noch ziemlich lang. "Die Ausfälle bei Elektrik/Elektronik und Software sind im Moment immens hoch", erklärt IBMs Telematik-Chef Nickel. Garantiekosten in zweistelliger Millionenhöhe und eine zunehmende Anzahl von Rückrufaktionen der Autohersteller sind die Folge. Finden keine konzeptionellen Änderungen in Entwicklung und Bau der Fahrzeuge statt, wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern: So resultieren 2013 nach Mercer-Einschätzung fast zwei Drittel aller Pannen im Fahrzeug aus Elektrik/Elektronik-Fehlern.

Dabei ist es nicht die Elektrik/Elektronik selbst, die zu den vielen Pannen führt. Per Definition ist Elektronik zuverlässiger als Mechanik. Das Dilemma liegt vielmehr darin, dass "die äußerst hohe Komplexität im Auto heute noch unzureichend abgebildet und beherrscht wird", weiß Nexolab-Mann Boehme. Im Klartext heißt das: Es fehlen Standards, die die verschiedenen Steuerelemente im Auto intelligent und störungsfrei miteinander vernetzen. Es geht darum zu klären, wie die Hardware ausgelegt und Betriebssysteme für Steuerelemente standardisiert werden können.

Zu den Problemen, die sowohl die deutschen Autobauer als auch Lieferanten erkannt haben, kommt aus der Sicht der Münchner Unternehmensberater von Mercer ein weiteres: Weder Hersteller noch Zulieferer haben bisher ausreichende Strategien entwickelt, um der Bedeutung für den Entwicklungsprozess und dem zu erwartenden Wertschöpfungswachstum gerecht zu werden. Die betroffenen Unternehmen weisen diesen Vorwurf allerdings zurück. "Wir wissen um die Bedeutung von Elektronik und Software und legen einen entsprechend hohen Wert auf die Entwicklung in diesem Bereich", verkündet Siemens VDO Automotive AG aus Schwalbach. Und auch bei BMW glaubt man, mit der Gründung einer eigenen IT-Unit, der BMW Car IT, die Weichen richtig gestellt zu haben. "Kein Automobilhersteller kann erfolgreich sein, wenn die Entwicklung von Software nicht eine seiner Kernkompetenzen ist", stellt BMW-Entwicklungsvorstand Burkhard Göschel fest.

Das Problem der Rollenverteilung

Um langfristig Erfolg zu haben, müssen alle Marktteilnehmer zunächst einmal ihre Hausaufgaben machen. Dabei geht es in erster Linie darum, eine neues Rollenverständnis zwischen Fahrzeugherstellern, Zulieferern, Halbleiterproduzenten und Software-entwicklern aufzubauen. Autohersteller sind heute zum großen Teil immer noch reine Maschinenbauer. "Mancher ist sogar stolz darauf, mit Elektronik und Software nichts am Hut haben zu müssen", so Boehme von Nexolab. Dabei müssten Kompetenzen und Verantwortungsbereiche bei den Partnern aufgebaut und ohne Kompromisse eingehalten werden. Je mehr Funktionen im Fahrzeug von Steuergeräten und nicht von mechanischen Bauteilen ausgeführt werden, desto komplizierter ist allerdings dieser Prozess. "Die Fragen nach der Aufgabenverteilung, nach Schnittstellen und Kommunikation werden dann immer umfangreicher", sagt Ulrich Schrey, Software-Experte bei Siemens VDO.

Wer steuert was?

Am Beispiel des Scheibenwischers erklärt er die Problematik. "Der Bedienimpuls vom Lenkstockschalter läuft über ein zentrales Steuergerät im Cockpit über einen Bus zu einem zweiten Steuergerät im Motorraum, das den Wischermotor steuert." Schon allein diese Konstellation werfe die Frage auf, welcher Teil der gewünschten Funktion in welchem Steuerge- rät von welchem Hersteller ablaufen soll.

Doch trotz aller Unwägbarkeiten geben sich OEMs und Zulieferer große Mühe, die von Mercer prognostizierte Ausfallrate zu minimieren. So setzt beispielsweise Siemens VDO auf den Qualitätsstandard "Capability Maturity Model Integration (CMMI)", der vom Software Institut der Carnegie Mellon Universität entwickelt wurde. CMMI soll laut Siemens durch die Verbesserung der Prozesse die Entwicklungsergebnisse absichern. "Vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren gab es bei mechanischen Prozessen eine große Qualitätsinitiative. So etwas steht uns heute in der Elektronik und Software bevor", unterstreicht IBMs Autoexperte Nickel die Wichtigkeit des Projektes.

Große Hoffnungen ruhen auch auf der Initiative "Autosar" (Automotive Open System Architecture), die von Autobauern wie BMW, Daimler-Chrysler und Volkswagen sowie Elektronikherstellern wie Bosch, Continental Automotive Systems und Siemens VDO vor einem Jahr gegründet wurde. Die Autosar-Mitglieder wollen mehr Austauschbarkeit in der Automobilelektronik schaffen. Das betrifft die Applikationssoftware ebenso wie die Lösungen der Zulieferer. Wie wichtig die Teilnahme der etablierten Unternehmen ist, zeigt das Beispiel Bosch: Seit Anfang der 90er-Jahre forscht der Stuttgarter Zulieferer an einer standardisierten Software-Architektur, dem so genannten Cartronic-Konzept. Das Ergebnis dieser Arbeit fließt nun in die Initiative ein.

Bevor allerdings erste Systeme auf Basis dieses Standards serienreif sind, werden nach Meinung von Branchenkennern noch drei bis vier Jahre vergehen. "Autosar hat große Fortschritte gemacht und geht genau in die richtige Richtung", lobt Dannenberg. Auch IBM-Mann Nickel ist überzeugt: "Hardware und Software werden künftig mehr und mehr getrennt voneinander entwickelt - genau wie wir es seit mehr als zehn Jahren in der IT-Industrie tun." Mit Autosar könnte dieser Ansatz auch in der Autobranche Einzug halten.

Dass die Automobilbranche enormes Potenzial birgt, haben inzwischen auch viele große IT-Firmen begriffen. So hat IBM kürzlich eine strategische Partnerschaft mit BMW abgeschlossen. Außerdem läuft bei Autosar der Antrag auf eine Mitgliedschaft als "Premium-Member". Wie wichtig Big Blue der Markt ist, zeigt sich in der Gründung eines eigenen Geschäftsbereiches zu Beginn dieses Jahres. Die Tätigkeit seiner Mannschaft beschreibt Bereichsleiter Nickel als "Embedded System Lifecycle Management". Nickel: "Wir betrachten den gesamten Prozess von der Entstehung bis zum Lebensende der Software."

Ausfallsicherheit für Bremsen

Auch bei BMWs IT-Tochter Softlab - und hier speziell bei Consulting-Spezialist Nexolab - macht man sich Gedanken um den Automotive-Markt. Boehme: "Wir versuchen, das Wissen aus der Business-IT an die Embedded Softwareentwicklung in der Automobilindu- strie weiterzugeben." Dass das aber eine echte Herausforderung ist, zeigt sich am Beispiel der Bremse: Selbst die Realisierung einer Echtzeit-Software reicht hier nicht aus. Eine 100-prozentige Ausfallsicherheit kann nur garantiert werden, wenn Software und mechanische Funktionen miteinander existieren und funktionieren. (ciw)

*Susan Naumann arbeitet als freie Journalistin in Unterschleißheim bei München.

Hier lesen Sie ...

- warum der Automarkt eigentlich ein IT-Markt ist,

- wie die Aussichten für deutsche Lieferanten von Embedded Software sind,

- vor welchen Problemen und Herausforderungen sie stehen und,

- in welche Richtung sich der Markt entwickeln wird.

Ausgewählte IT-Anbieter im Automotive-Bereich*

Autosysteme GmbH, Berlin:

Bordnetzentwicklung, Hard- und Softwareentwicklung, virtuelle Fahrzeugentwickung.

AFT Atlas GmbH, Werdohl:

Software-Engineering, Fahrzeugakustik, elektronische Steuergeräte.

Bertrandt AG, Ehningen:

KFz-Bordnetz, Prüfstände, Gesamtfahrzeugentwicklung.

Beru AG, Ludwigsburg:

Reifendruck-Kontrollsystem, Sensorik.

Blaupunkt AG, Hildesheim:

Navigationssysteme.

Bosch Automotive Electronics, Reutlingen:

Elektronische Systeme für Insassenschutz, Steuergeräte, Fahrerassistenzsysteme.

Continental Temic GmbH, Nürnberg:

Insassenschutzsysteme, Sensorik, Fahrerassistenzsysteme.

Dräxlmaier Gruppe, Vilsbiburg:

Bordnetzsysteme.

Funkwerk Dabendorf GmbH, Dabendorf:

Fahrzeugintegration (CAN-Bus), Bluetooth-Anbindungen, Data Interface für Kommunikationslösungen.

Helag-Electronic GmbH, Nagold:

Sensorik, ABS, automatische Leuchtweitenregulierung.

Helbako, Heiligenhaus:

Sitzbelegungserkennung, Automatische Kindersitzerkennung, Leuchtweitenregulierung.

Hella KGaA Hueck 38;#38; Co., Lippstadt:

Kurvenlichtsysteme, Datenbusfähige elektronische Steuergeräte, Klima-Elektronik, Sensorik.

Paragon AG, Delbrück:

Electronic Solutions, Sensorik.

Siemens VDO AG, Schwalbach:

Navigationssysteme, fahrerorientierte Anzeigensysteme, Infotainment-Lösungen, Sensorik.

Quelle: eigene Recherche

*Kein Anspruch auf Vollständigkeit