Elektronische Marktplätze: Die Qual der Wahl

02.07.2001
Von Christian Zillich
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wie muss ein elektronischer Marktplatz beschaffen sein, um für ein Unternehmen als Partner in Frage zu kommen? Eine Studie der Explido GmbH & Co. KG gelangt zu überraschenden Ergebnissen: Für viele Einkäufer sind Sicherheit und Vertrauen wichtiger als Inhalte und Zusatzdienste.

Die Marktforscher sind sich weitgehend einig: Vier von fünf derzeit aktiven Marktplätzen* im Internet werden die bereits angelaufene Konsolidierungswelle nicht überstehen. Betroffen sind davon in der Mehrzahl kleinere Startup-Unternehmen, die weder über Branchenkenntnisse noch über eine ausreichende Kapitaldecke verfügen und darüber hinaus die technische Herausforderung unterschätzt haben. Doch auch vermeintlich große Plattformen mit entsprechendem finanziellen Hintergrund sind vor dem Shakeout nicht sicher. Prominentes Beispiel ist die Einstellung von Chemdex, einem Online-Marktplatz für Medizin- und Life-Science-Produkte. Mit dem Ende des Marktplatzgründungsbooms im Jahr 2000 ist es nun schick, dem gesamten Modell einen raschen Tod vorherzusagen. Dies geht jedoch an der Realität ebenso vorbei wie die übertriebenen Prognosen der Visions- und Gründerphase. Vielmehr scheinen nicht nur Großunternehmen, sondern zunehmend auch Einkäufer von kleineren und mittelständischen Firmen Marktplätze zumindest als ergänzende Bezugsquelle zu nutzen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Explido GmbH & Co. KG , die sich auf die Befragung von 100 Internet-erfahrenen Einkäufern stützt. * Für IT-Entscheider ist das Auffinden von Marktplätzen, Herstellern und Dienstleistern nun wesentlich einfacher: Durch eine Kooperation zwischen Trade2B und der COMPUTERWOCHE entstand innerhalb des CW-Online-Angebots ein Informationsportal, das eine qualifizierte Suche und Auswahl von E-Commerce-Angeboten im IT-Bereich ermöglicht. Interessenten können darüber hinaus abfragen, wie andere Besucher einzelne Portale beurteilen. Jeder Nutzer hat die Möglichkeit, seine Erfahrungen über eine strukturierte Eingabemaske abzulegen. IT-Entscheider vermögen so auch auf die Erfahrungen von Kollegen zurückzugreifen. Die im Internet aktiven Anbieter können ihrerseits aus dem direkten Feedback des Marktes lernen und ihr Angebot entsprechend verbessern.

Sicherheit statt Content und Services Wichtig waren den Befragten bei der Auswahl eines Marktplatzes eine hohe Zahl von Marktteilnehmern und ein Qualitätsnachweis zu den angebotenen Produkten sowie die Schnelligkeit der Plattform beim Seitenaufbau und den Antwortzeiten. Höchste Priorität (98 Prozent) hat für die Einkäufer die Sicherheit - sowohl bei der Bezahlung als auch beim Schutz ihrer Daten. 97 Prozent gaben an, für sie sei das Vertrauen in den Betreiber des Marktplatzes eine zentrale Voraussetzung. Entgegen den Aussagen vieler Analysten und Hersteller von Marktplatzsoftware legten die Befragten erstaunlich wenig Wert auf Zusatzservices. Dazu zählen Newsletter und Branchennachrichten, aber auch die Abwicklung der Lieferung sowie die Integration einer eigenen Clearing-Bank durch den Plattformbetreiber.

  Prioritäten der Einkäufer:

Die befragten Einkäufer stuften die Sicherheit ihrer Daten und der Bezahlung als wichtigstes Kriterium ein, das ein Marktplatz erfüllen muss.  

In puncto Sicherheit stimmen die Erwartungen der Einkäufer nicht mit dem Angebot der Marktplatzbetreiber überein. Das zeigt die gleichzeitig von Explido vorgenommene Untersuchung von 60 in Deutschland aktiven B-to-B-Plattformen. So überprüft rund die Hälfte der Betreiber potenzielle Teilnehmer nicht. Und selbst wenn dies doch geschieht, erfolgt es meist nur in Form eines Online-Fragebogens bei der Registrierung. Nur in knapp 30 Prozent der Fälle holen die Betreiber Finanzinformationen über Dritte wie die Kreditreform ein. Und lediglich ein Fünftel der Marktplätze sucht das persönliche Gespräch mit den Handelswilligen. Preisvorteile oder Prozesskostenoptimierung? Die meisten Plattformbetreiber erzielen ihre Einkünfte ausschließlich aus Transaktionsgebühren. Dieses Modell favorisieren der Studie zufolge 68 Prozent der Marktplätze, 26 Prozent erheben feste Monats- oder Jahresgebühren. Insbesondere bei Ausschreibungen, Auktionen und Reverse Auctions fordern viele Betreiber eine Einstellgebühr für jedes Angebot. Eine weitere Einnahmequelle können einmalige Registrierungsgebühren sein. Sie schrecken zwar den einen oder anderen Zauderer ab, sorgen aber dafür, dass sich in der Mehrzahl aktive Nutzer registrieren. Die Einkäuferseite bevorzugt - wenig verwunderlich - ein Gebührenmodell, bei dem die Transaktionskosten die Lieferanten tragen (54 Prozent). Zwischen 20 und 30 Prozent der Beschaffungsspezialisten sind jedoch auch bereit, andere Modelle wie Transaktionskommissionen, Aufnahme- oder Monats- und Jahresgebühren zu akzeptieren. Für die Wahl eines geeigneten Marktplatzes als zusätzliche Beschaffungsquelle spielen die von den Plattformbetreibern erhobenen Gebühren jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Weitaus wichtiger ist die Frage, ob Marktplätze in erster Linie genutzt werden, um Preisvorteile zu erlangen, oder ob die Reduzierung von Prozesskosten im Vordergrund steht. Für Ersteres sollte der virtuelle Handelsplatz Preisbildungsmechanismen wie Auktionen und deren Umkehrung bieten, wobei Hersteller und Händler Angebote auf die Online-Ausschreibungen der Käufer abgeben. Eine weitere Möglichkeit der Kostenreduzierung ist hier das "Pooling", bei dem durch die Bündelung der Nachfragen mehrerer Abnehmer ein Mengenrabatt erzielt werden soll. Zur Nutzung derartiger Handelsmodelle auf Marktplätzen reicht meist ein gängiger Web-Browser aus. Im Gegensatz dazu ist die Optimierung der Prozesskosten mit einem hohen technischen und organisatorischen Aufwand verbunden. Wolfe Diener, Mitgründer von Trade2B , schätzt, dass sich dieser für die meisten mittelständischen Unternehmen mit einem Marktplatz-Einkaufsvolumen unter einer Million Mark kaum lohnt. Vor einer derartigen Entscheidung müssen also die bisherigen Beschaffungsverfahren genau analysiert werden. Zur Beurteilung, welche Vorgänge sich überhaupt sinnvoll über Marktplätze abwickeln lassen, empfiehlt sich die Einordnung von Produkten nach Klassen: Wie hoch ist der Anteil an C-Teilen, beispielsweise Büromaterial oder einfachen Normteilen für die Fertigung, die sich besonders für den Einkauf mittels elektronischer Katalogsysteme eignen? Welche komplexeren Produkte sind ebenfalls gut über elektronische Plattformen zu beschaffen? Nur wenn diese Fragen beantwortet sind, lässt sich berechnen, ob die Einsparungen durch die Umstellung auf Internet-basierte Verfahren die Ausgaben für den technischen und organisatorischen Aufwand rechtfertigen. Außerdem birgt die notwendige Änderung der Beschaffungsprozesse einige Tücken: Zwar können die Prozesskosten zu einem kleinen Teil durch die schnellere Weiterleitung von einem Sachbearbeiter zum anderen reduziert werden, das weitaus größere Potenzial liegt jedoch in der Automatisierung der Vorgänge. Dazu zählen Freigabemechanismen, die Rechnungsprüfung, die Kostenstellenzuordnung sowie die Zahlungsabwicklung. Von derartigen Projekten sind also neben der Einkaufsabteilung auch die Bereiche Finanzen, Controlling und das Rechnungswesen betroffen. Ein weiterer positiver Effekt der Automatisierung ist die Vermeidung von Fehlern, die sich bei der manuellen Bearbeitung und Weitergabe von Bestellvorgängen einschleichen. Für die Prozessinhaber im Anwenderunternehmen bedeutet dies immer eine Veränderung ihrer Aufgaben und oft einen persönlichen Machtverlust. Die deutlichsten Einsparungen lassen sich - wie bei allen Automatisierungsprojekten - durch die Streichung von Stellen erzielen. Zwar wird gerne behauptet, dass sich die betroffenen Mitarbeiter anderen Aufgaben widmen könnten; es ist jedoch zumindest fraglich, ob Disponenten, die mit der Abwicklung einzelner Bestellungen betraut sind, umfassende Systemverantwortlichkeiten übernehmen können. Backend-Integration spielt wichtige Rolle Derart schwerwiegende Eingriffe in die Geschäftsprozesse gelingen nur, wenn sie vom Management abteilungsübergreifend geplant und erläutert werden sowie die Rückendeckung der Geschäftsleitung haben. Zudem muss nicht nur geklärt werden, wer für die organisatorische und technische Weiterentwicklung zuständig ist, sondern auch, wer die Ausbildung der Mitarbeiter in den Fachbereichen übernimmt. Die mit dem Projekt verbundene Dezentralisierung der Beschaffungsvorgänge erfordert außerdem eine Festlegung der Entscheidungsspielräume für jeden berechtigten Bedarfsträger. Obendrein ist die weitgehende Automatisierung von Routineprozessen mit erheblichen IT-Investitionen verbunden. Vor allem die Verbindung des Marktplatzes mit dem eigenen Backend-System ist hier ein Knackpunkt, der schon bei der Auswahl einer Handelsplattform bedacht werden sollte. Von den 60 in der Studie untersuchten Marktplätzen bieten 41 Schnittstellen zu einem oder auch mehreren Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systemen (meist SAP, aber auch Baan und Oracle). Die Backend-Integration spielt vor allem für die automatische Rechnungsprüfung und Kostenstellenzuordnung eine wichtige Rolle. Neben den hierfür notwendigen Workflows müssen auch die Einkaufsrechte der Mitarbeiter, Preisobergrenzen und Gesamtbudgets im System hinterlegt und verwaltet werden. Laut Trade2B-Mitinitiator Diener darf auf diese Integration und die Einrichtung von Schnittstellen nicht verzichtet werden, auch wenn sie schwierig ist. Im Zweifel sollten Unternehmen in einem ersten Schritt besser eine freischwebende Lösung einführen, als ganz auf das Projekt zu verzichten. Selbst wenn dies im Einzelfall einen zusätzlichen Prozessschritt notwendig macht, lassen sich damit meist mehrere andere Vorgänge ersetzen. Eine derartiges E-Procurement-System sollte jedoch zumindest eine Schnittstellen-Vorbereitung beinhalten, so Diener. Für die Wahl der Beschaffungssoftware empfiehlt er außerdem, Augenmaß zu bewahren: "Hier müssen es nicht gleich die Lösungen von Commerce One oder Ariba sein." Die Prüfung, welche Funktionen wirklich notwendig sind, zeige meist, dass sich diese mit weniger komplexen und deutlich günstigeren Lösungen abdecken lassen. Auch die ERP-Intgration gestalte sich so wesentlich einfacher. Besonders bei der Prozesskostenoptimierung stellt die eingangs angesprochene Überlebensfähigkeit des Marktplatzbetreibers einen zentralen Punkt bei der Auswahl dar. Hier hilft auch die Explido-Studie wenig: Auf die Frage nach den Umsätzen der vergangenen zwei Jahre wollte kaum einer der 60 Plattformbetreiber antworten. Dies ist aufgrund der in vielen Fällen relativ kurzen aktiven Geschäftstätigkeit nachvollziehbar. Das Fehlen von Angaben zum Transaktionsvolumen im abgelaufenen Quartal lässt jedoch tief blicken. Und auch die genannten Zahlen zu den Marktteilnehmern sind nur mit größter Vorsicht zu genießen: Im Dunkeln bleibt meist, wie viele Unternehmen den Marktplatz tatsächlich aktiv nutzen.