IT im Handel/Buchpreisbindung vor dem Aus?

Electronic Commerce wirbelt hiesigen Buchhandel durcheinander

08.05.1998

Wer Hanna Johansens "Universalgeschichte der Monogamie" hautnah erleben will, kann die Autorin im Literaturhaus in München oder eine Woche später im Kulturgasthaus Innsbruck während ihrer vom Carl Hanser Verlag organisierten Tour persönlich kennenlernen. Ein Mausklick genügt, und der geneigte Leser macht sich unter www.hanser.de auch mit den neuesten Ankündigungen frisch emittierter Werke aus Belletristik und Sachbuch vertraut, wie zum Beispiel mit Jörg Krauses 361 Seiten starkem Konvolut über den Electronic Commerce.

Doch geht es ans Bestellen, wird man höflich an den Buchhandel verwiesen. Zwar hilft der Web-Master per Link freundlich weiter auf das Verzeichnis lieferbarer Bücher (www.buchhandel. de). Aber der Gang zur Buchhandlung bleibt einem nicht erspart, es sei denn, man gibt sich als Ausländer zu erkennen, der sofort online über seine Kreditkarte ordern kann.

Die schöne neue Welt im Internet hat den Buchhandel längst erreicht. Die Wege zwischen Verlagshäusern und Lesern sind deshalb aber nicht unbedingt kürzer geworden. Zwar buhlt bereits eine Handvoll pfiffiger Online-Buchläden um die Gunst der surfenden Kunden. Wer allerdings deshalb schon den Untergang des nach ehernen Gesetzen funktionierenden Buchhandels herannahen sieht, muß sich eines Besseren belehren lassen. Ganze 30 Millionen Mark Umsatz konnte der elektronische Buchhandel nach Schätzungen von Insidern 1997 erzielen. 0,2 Prozent vom Gesamtmarkt. Selbst bei einer kaum realistischen Steigerungsrate von gut 100 Prozent jährlich bliebe in drei Jahren weniger als ein Prozent übrig.

Unter solchen Vorzeichen relativiert sich auch der Theaterdonner, den vom drohenden Untergang des Abendlandes gezeichnete Bedenkenträger einvernehmlich anstimmen. Nicht nur das Internet scheint ein Werk des Teufels zu sein, auch die von EU-Kommissar Karel Miert monierte Buchpreisbindung wird wie ein kulturpolitisches Glaubensbekenntnis mit Klauen und Zähnen verteidigt. Verleger, Autoren und Übersetzer werfen dem an vielen Fronten kämpfenden Wettbewerbshüter aus Brüssel vor, im Buch nur eine Handelsware zu sehen und nicht das schützenswerte Kulturgut.

Die Angst der Unterzeichner der "Leipziger Erklärung" hat ihre Gründe. Beim Wegfall des sicheren Verkaufspreises, fürchten sie, blieben sowohl dem Schriftsteller mit dem schwierigen Oeuvre als auch dem auf Nischen spezialisierten Verlag keine Chance, einen Partner zu finden. Der kleine Fachbuchhändler an der Ecke stünde vor dem sicheren Aus. In Schweden habe die 1970 aufgehobene Preisbindung dazu geführt, daß das dünnste Buchhandlungsnetz Europas entstanden sei, über das nur noch 38 Prozent des Buchverkaufs laufe. In England, so die Mahner, hätten sich die Buchpreise seit der Aufhebung des Net Book Agreement 1995 ständig verteuert. Eugen Emmerling, Sprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: "Van Miert muß ein Fabelwesen im Sinn haben, das 1500 Bestseller kauft und sich für die restlichen 285000 Titel nicht interessiert."

Das Ringen um die letzten Pfründe kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Fäden des künftigen Buchhandels längst an anderer Stelle gezogen werden. Eines ist klar: Die traditionelle Struktur der Buchdistribution gerät zunehmend unter Druck.

Unter dem Einfluß der Informationstechnologie sowie angesichts zahlreicher Verbesserungen von Planung und Organisation in Lager- und Verteilzentren suchen Verleger, Großhändler, Distributoren und Buchhandlungen nach neuen Geschäftskonzepten. Was das Internet als Kommunikations- und Vertriebsinstrument anbelangt, herrscht Einvernehmen: Erst wenn die letzten Vorbehalte gegenüber dem bis dato unsicheren Zahlungsverkehr ausgeräumt sind, wird der Handel samt und sonders auf den Zug aufspringen.

Was den Protagonisten in der deutschen Buchhandelsidylle allerdings die Sprache verschlägt, sind die Veränderungen auf dem globalisierten Buchmarkt. So ging der US-Verlagsgigant Random House (www.randomhouse.com) dieser Tage an Bertelsmann. Damit hat sich der Medienkonzern aus Gütersloh einen erheblichen Vorsprung erkauft. Zudem ist es ein offenes Geheimnis, daß die Bertelsmänner sich auch den Internet-Pionier Amazon einverleiben wollen (siehe Seite 71 unten). Unweigerlich wird der weltweite Direktvertrieb via Internet auch dem deutschen Sortimentbuchhandel den Garaus machen - er hat es bisher nur noch nicht gemerkt. Peter Olson, Chef von Random House: "Der Buchbereich stützt sich auf drei Säulen: Buchclubs, Buchverlage und Online-Dienste." In den USA halten die größten Buchhandlungen nur noch 150000 Bücher vorrätig, während im Internet bereits über zwei Millionen Bücher zu bestellen sind.

Allen voran die amerikanischen und britischen Buchhändler wie Amazon (www.amazon.com), Barnes & Noble (www.barnesandnoble.com), Dillons (www. dillons.co.uk) und Waterstone´s (www.waterstones.co.uk) machen im Internet mobil. Vorteil für den deutschen Leser: Wartete er bisher noch Monate auf die englischsprachige Neuerscheinung, kann er sie nun binnen weniger Tage erhalten. Zudem gewährt der Verkauf übers Internet hohe Preisnachlässe: gegenüber der Verlagsempfehlung um 30 Prozent, bei Taschenbüchern um 20 Prozent. Im Fachbuchsegment, das ohnehin von der englischen Sprache dominiert wird, dürften die amerikanischen Rabatte bald auch den deutschen Fachbuchhandlungen zu schaffen machen.

Hierzulande hat sich vor allem der ABC-Bücherdienst (www. telebuch.de), der seine Kunden selbstbewußt mit "Herzlich willkommen bei der Nummer eins im Deutschen Online-Buchhandel" begrüßt, geschickt in Szene gesetzt. Die Regensburger Unternehmerin Ulrike Stadler, seit sieben Jahren im Geschäft, kümmert sich mit 60 Mitarbeitern um täglich bis zu 800 Bestellungen. 1996 erzielte ABC sechs Millionen, 1997 bereits elf Millionen Mark Umsatz, blieb damit jedoch unter seinen Zielen. Grund: Nunmehr tummeln sich auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Grossisten Libri und Koch, Neff & Oettinger sowie Bertelsmann im Internet.

Auch die Konkurrenz EBdirekt des Münchener Buchhändlers Richard Freiherr von Rheinbaben, seit Herbst letzten Jahres als Online-Buchhändler (www.buecher.de) im Netz, will dem unbestrittenen Erfolg von ABC ans Leder.

Das Konzept ist überraschend einleuchtend: Im Unterschied zu der Konkurrenz, die den Endkunden an die Buchhandlungen verweist, treten ABC und EBdirekt mit der Direktauslieferung auf den Plan. Wer im preisgebundenen deutschen Online-Markt bestehen will, muß sich aber noch mehr einfallen lassen. Dazu zählen vor allem die versandkostenfreie Auslieferung sowie attraktive Dienstleistungen auf der Homepage.

"Wir wollen unseren Kunden soviel wie möglich von einer Buchhandlung rüberbringen", beschreibt Stadler ihr Online-Konzept. Gab es bisher nur wenige Informationen über Titel, Verlag und Preis, kann sich der Surfer nunmehr mit Klappentexten und Bildern anfreunden sowie es sich in Schmökerecken wie in einer Buchhandlung gemütlich machen.

Rezensionen der neuesten Romane oder Computerbücher sind Kaufanreiz und Kundenpflege zugleich: Leser können hier ihre Lieblingslektüre vorstellen. Läßt sich ein Kunde davon zum Kauf stimulieren, erhält der zum ABC-Kooperationspartner mutierte Rezensent eine Gutschrift pro Order.

Filiale im namibischen Swakopmund

ABC will den Anteil der Belletristik deutlich erhöhen, denn noch dominieren englischsprachige Titel das Angebot, die gegenüber dem im Buchhandel üblichen Aufschlag von 50 Prozent nur mit zehn Prozent an den Kunden weitergegeben werden. In den USA unterhält ABC eine Niederlassung in Boca Raton.

Hier sitzen deutschsprachige Mitarbeiter, die per Internet-Hotline weitergeleitete Gespräche der Kunden entgegennehmen und Berge von E-Mails bewältigen. Eine Filiale im namibischen Swakopmund hat dieselbe Aufgabe und bearbeitet inzwischen 40 Prozent der eingegangenen elektronischen Post. Das Konzept der virtuellen Buchhandlung "in der Wüste" hilft Kosten zu sparen und dem Kunden rund um die Uhr zu Diensten zu stehen.

"Spaß am Einkaufen" heißt die Kundenbindungsstrategie im Buchhandel der Zukunft. Wie gehen die einzelnen Buchhändler mit dieser Herausforderung um? "Wir beobachten diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit", heißt es beim Hessischen Verleger- und Buchhändlerverband. Der Hamburger Großhändler Georg Lingenbrink (www.libri.de) etwa hat bereits 144 Buchhändlern eine eigene Homepage erstellt. Wie Libri-Geschäftsführer Markus Conrad mitteilt, seien die Investition in den Internet-Auftritt sowie die erforderliche Pflege kein Pappenstiel. "Rechtzeitig hineingehen und Erfahrungen sammeln sind wesentliche Voraussetzungen für das Überleben im Markt."

Nicht nur Conrad ist davon überzeugt, daß es in wenigen Jahren immer mehr Kunden geben wird, die mit neuen Bedürfnissen an ihren Buchhändler herantreten. Das beginnt bei E-Mails und endet beim Bestellservice. Auch für die typische "Wohlfühl-Buchhandlung" in der Vorstadt? Conrad: "Auch dieser Geschäftsmann kann nicht alles abdecken. Es ist einfach bequem, ein Buch vom Schreibtisch aus zu bestellen. Trotzdem wird das Internet nicht zu einer Konkurrenz des traditionellen Buchhandels, sondern eher ein zusätzlicher Vertriebskanal, der Chancen für zusätzliche Umsätze eröffnet."

Es führt kein Weg daran vorbei: Wer heute in den Electronic Commerce investiert, hat später die Nase vorn. Wer seine Kunden auch zu Hause, am Arbeitsplatz und jenseits der Geschäftszeiten betreuen kann, unterstreicht seine Flexibilität in einem grundsätzlich veränderten Marktgeschehen.

Angeklickt

Eine Handvoll pfiffiger Online-Buchhändler buhlt bereits um die Gunst der surfenden deutschen Kunden. Doch behindern hierzulande noch einige Schwierigkeiten die elektronische Standard-Buchbestellung: Akzeptanzprobleme beim Bezahlen und die Buchpreisbindung, die wie ein kulturpolitisches Gut mit Klauen und Zähnen verteidigt wird. Doch dürften die Veränderungen auf dem globalen Buchmarkt die hiesige Buchhandelsidylle bald eingeholt haben (siehe Seite 71 unten). In den USA halten die Buchhandlungen nur noch 150000 Bücher vorrätig, während im Internet bereits über zwei Millionen Bücher zu bestellen sind.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.