Keine Einigung über Zusammensetzung des Verwaltungsrates

Eklat provoziert: Novell-Eigner lassen Fusion mit Lotus platzen

01.06.1990

SAN FRANZISKO/MÜNCHEN (jm) - Lotus-CE0 Jim Manzi hat die Fusionsgespräche zwischen seinem Unternehmen und Novell abgebrochen. Als Grund für das überraschende Scheitern des geplanten Zusammengehens von Lotus und Novell gab er an, das Board of Directors von Novell habe entgegen aller vorherigen Absprachen unerwartet doch eine parittätische Besetzung des Verwaltungsrates im geplanten Merger-Unternehmen gefordert.

Am 6. April 1990 traten Ray Noorda, CEO von Novell, und der Lotus-Chef Manzi an die Öffentlichkeit und präsentierten einen Letter of Intent, demzufolge man plante, beide Unternehmen unter ein Dach zu fügen. Man wollte dies im Zuge eines Aktientausches verwirklichen, wobei für eine Novell-Aktie 1,19131 Lotus-Anteile ausgegeben werden sollten (Vergleiche CW Nr. 15, Seite 1 "PC-Branche wächst zusammen...").

Nach Aussagen von Manzi vor der Presse in München waren alle Fragen bezüglich der zukünftigen Kompetenzen im gemeinsamen Unternehmen geklärt, als mit dreitägigem Aufschub am 18. Mai 1990 die Verträge unterschriftsreif für die amerikanische Behörde zur Prüfung von Merger-Vereinbarungen - der Securities and Exchange Commission (SEC) - gewesen seien. Die von Noorda zu Beginn der Fusionsgespräche selbst vorgeschlagene Zusammensetzung des Boards of Directors der neuen Unternehmung mit vier Lotus- und drei Novell-Direktoren sei unumstritten gewesen. Zudem habe man auf Lotus-Seite die Zugeständnisse gemacht, das Fusionsunternehmen "Lotus/Novell Corp." zu nennen und auch Noorda für die Dauer von zwei Jahren zu dessen Chairman zu ernennen, mit Manzi als President und CEO.

"Am Ende müssen wir feststellen, eine Menge Zeit und Geld mit Leuten vertan zu haben, die offensichtlich nicht wußten, was sie eigentlich wollten", äußerte der von der Entwicklung völlig überraschte Lotus-Chef. Novell-CEO Ray Noorda konterte, die 4:3-Zusammensetzung des Verwaltungrates der neuen Lotus-Novell Corp. sei für seine Aktionäre nicht tragbar gewesen. "Sie wollten die Grundbedingungen der Fusion mehr an den Realitäten ausgerichtet sehen, mit einem Deal unter Gleichen." Deshalb habe das Board of Directors von Novell laut Noorda keine andere Möglichkeit gehabt, eine 4:4-Besetzung einzufordern.

Aus Branchenkreisen war nach dem 6. April 1990 die Befürchtung geäußert worden, die unterschiedlichen Unternehmenskulturen stünden einem gedeihlichen Zusammenarbeiten der beiden Unternehmen im Wege. Indirekt bestätigte Noorda diese Schwierigkeiten in San Franzisko vor der Presse mit der Bemerkung: "Die Lotus-Mitarbeiter haben eine andere Art, und sie leben in einem anderen Environment."

Das Marktforschungs-Institut ICD hatte dem geplanten Fusionsunternehmen eine rosige Zukunft prophezeit: Novell erhielte durch Lotus ein machtvolles Entree in die Welt der Großkunden und deren verteilte Datenverarbeitung, womit die Netzwerker aus Provo auch ein gutes Argument gegen alle LAN-Manager-Verfechter gewännen. Die Frage zukünftiger verteilter Datenbankstrukturen in Unternehmen würde sich neu stellen, der Microsoft-Einfluß könnte durch die Fusion eingedämmt werden. Die IDC vertrat ferner die Ansicht, Lotus könne durch den Zusammenschluß aus der Rolle der "One-Product-Company" herausschlüpfen.

Das nach der Fusion mit 978 Millionen Dollar Gesamtumsatz weltweit größte PC-Software-Unternehmen hätte IS-Manager mit einem kompletten Lösungsangebot an Netzwerk-Betriebssystemen und Applikationen für unternehmensweite DV ködern und zudem mit Serviceleistungen aus einer Hand werben können.

Anzeichen dafür, es könne bereits in der Verlobungszeit zum Zerwürfnis kommen, weil beide Unternehmen den im Letter of Intent für den 15. Mai 1990 festgesetzten Zeitpunkt zur Bestellung des Aufgebots bis zum 18. Mai verlängerten, hatte Noorda gegenüber der Presse noch abgewiegelt: "Grundsätzlich besteht Einigkeit zwischen uns. Wir wollen nur noch ein paar Details ausfeilen, die nötig sind, uns besser aneinander zu gewöhnen."

Für die Aktionäre von Novell aber wurde laut Noorda das von beiden Partnern beanspruchte Gleichheitsprinzip in der Fusion durch die 4:3-Regelung unterlaufen: "Sie meinten, wir würden uns zu billig verkaufen."

Laut Willi Söhngen, Geschäftsführer der Lotus Development GmbH, München, trifft vor allem Novell die Verantwortung für das Scheitern des Mergers. "Dieses neue 4:4-Begehren ist nie Bestandteil der vorherigen Verhandlungen gewesen", zeigte auch Söhngen seine Enttäuschung über das Verhalten der Novell-Verantwortlichen.

"Lotus befürchtete natürlich, daß es bei einer paritätischen Zusammensetzung des Gremiums zu Pattsituationen kommen könnte, die gelegentlich erhebliche Probleme im Entscheidungsprozeß beider Unternehmen aufgeworfen hätten." Des halb habe Manzi das gänzlich unvermutet kurz vor Torschluß aufs Tapet gebrachte Novell-Begehren nach mehr Entscheidungs- und Mitbestimmungs Befugnissen nicht akzeptieren können.

Helmut G. Weissenbach, bis Dezember 1989 Geschäftsführer der Novell GmbH und Europa Manager, äußerte gegenüber der COMPUTERWOCHE: "Vom Ziel her, das beide im Auge hatten, wäre es - vor allem unter dem Aspekt der internationalen Auswirkungen - eine sehr interessante Verbindung gewesen." Natürlich, so Weissenbach, hätte die Fusion für einige hochrangige Manager negative Auswirkungen gehabt: "Aber organisatorisch wäre der Merger kein Problem gewesen."

Spekulationen, Novell suche nun nach einem anderen Partner, parierte Noorda mit der Gegenfrage: "Wen würden Sie denn kaufen?" Man suche nicht nach fusionswilligen Unternehmen, sondern konzentriere sich darauf, die eigene Marktpräsenz durch Kooperationen zu stärken.