Pornodienstleistung für verklemmte Zeitgenossen

Einzelhandel verbindet Ausstieg aus Btx mit Generalabrechnung

04.09.1992

KÖLN (vwd) - Immer mehr enttäuschte Anbieter scheinen dem Bildschirmtext den Rücken kehren zu wollen. Nachdem erst kürzlich mit der Btx Südwest Datenbank GmbH ein Topanbieter für Btx das Handtuch geschmissen hatte, erteilte nun der Einzelhandel dem wenig erfolgreichen Kommunikationssystem der Telekom eine endgültige Absage.

Mit markigen Worten begründete ein Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) den Ausstieg seiner Organisation aus dem Btx-Projekt: "Wer sich mit hohem Anspruch und letzteren Zielen für Btx engagierte, muß heute enttäuscht erkennen, daß nur ein Bereich sich beispielhaft entwickelte, nämlich der Pornobereich für sexuell verklemmte Zeitgenossen." Der HDE habe bereits, wie es in einer Verbandsmitteilung ergänzend heißt, zu einem frühen Zeitpunkt erkannt, "daß die Absichtserklärungen der Anbieter und die Realität in der Praxis immer weiter auseinanderdriften". Das Btx-System sei zu aufwendig und zu umständlich, während die Zahl, der seriösen Anbieter stagniere.

Die "Geschlossenen Nutzergruppen" seien in der Vergangenheit zu langsam gewachsen, weil das Erstellen entsprechender Masken sich als zu kostenaufwendig erwiesen habe, meinen die Einzelhändler. Viele Anwendungen von Btx ließen sich preiswerter, leichter und schneller durch andere Telekom-Dienstleistungen - beispielsweise Telefax - weltweit lösen.

Btx: Nur ein Dienst der Telekom für Freaks

Auch bei den privaten Haushalten habe die Telekom die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Grund: Das Medienbudget der Konsumenten sei nicht nach oben offen. 1995 sollte Btx nach Bonner Plänen bereits acht Millionen Nutzer bedienen, gegenwärtig seien es jedoch lediglich rund 320 000, kritisiert der HDE. Wenn die Telekom nun daran denke, neue Tarife - sprich: eine Kostensteigerung - durchzusetzen, werde sich das Projekt endgültig als Flop erweisen. Mit den neuen Tarifen und dem rechtlichen "Schweizer Käse" stelle Sich nun auch für die wenigen noch im System verbliebenen Bereiche des Einzelhandels die Frage, ob sich ein weiteres Btx-Engagement angesichts der Unsicherheiten und der Kostenlawine lohne.

Interaktive Bildsschirmdienste werden es in Deutschland generell schwer haben, glaubt man in der Kölner HDE-Zentrale zu wissen. Der Einzelhändlerverband hegt in diesem Zusammenhang auch Zweifel, ob sich die im März 1992 von der Telekom und dem Axel Springer Verlag gegründete Videotel Infoservice GmbH als Alternative herauskristallisiere. Denn auch dafür dürften, so der HDE, "nur die Freaks in den privaten Haushalten ein Interesse haben".