Zweite Generation von E-Business-Lösungen

Einstieg auf Raten durch modularen Aufbau von E-Commerce-Systemen

02.07.1999
MÜNCHEN (CW) - Die Hersteller von E-Commerce-Lösungen stellen sich zunehmend auf die recht unterschiedlichen Anforderungen der Unternehmen ein, die das virtuelle Handelsparkett betreten wollen. Dabei setzen sie einerseits auf eine modulare Architektur für die schrittweise und branchenspezifische Implementierung ihrer Systeme und andererseits auf die Individualisierung von Internet-Inhalten.

Nachdem 1998 in Deutschland das Umsatzvolumen von im Internet vertriebenen Waren erstmals die Marke von einer Milliarde Mark überschritt, erwartet der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft, Electronic Commerce Forum e.V., heuer eine Steigerung auf über fünf Milliarden Mark. Der enorme Umsatzzuwachs der bereits auf dem virtuellen Markt vertretenen Firmen konzentriert sich allerdings auf wenige Durchstarter wie Dell, America Online (AOL) oder Amazon.com. Angesichts der Prognosen sind viele Unternehmen, die bislang das Internet nicht als Vertriebskanal nutzen, inzwischen bereit, in die neue Technik zu investieren. Sie dürften dabei neben ihren Hoffnungen auf die Erschließung neuer Märkte von der Angst motiviert sein, den Anschluß zu verpassen.

Die Hersteller von E-Commerce-Lösungen haben inzwischen erkannt, daß ein System unmöglich den Anforderungen von allen Unternehmen entsprechen kann. Sie setzen daher zunehmend auf maßgeschneiderte Lösungen, die schrittweise in das Unternehmen integriert werden können. Derartige Komplettangebote und Branchenentwicklungen werden durch eine inzwischen kaum noch zu überblickende Palette von Zusatzmodulen und Erweiterungen ergänzt. Eine derzeit vieldiskutierte Rolle spielt auch die Umsetzung Internet-tauglicher Marketing-Strategien. Die Hersteller reagieren darauf unter anderem mit Softwarepaketen, welche die Personalisierung von Web-Inhalten ermöglichen.

Heiler Software, Stuttgart, spricht mittlerweile von E-Commerce-Lösungen der zweiten Generation. Der Hersteller hat eine strategische Partnerschaft mit Microsoft abgeschlossen und hofft mit seiner Komplettlösung "High Commerce" auch Firmen zu erreichen, denen der Einstieg in die virtuelle Geschäftsabwicklung bislang zu kompliziert und kostspielig war. Das System enthält sowohl Werkzeuge für die Erstellung, das Design, den Test und die Veröffentlichung als auch Applikationen für den Betrieb, die Vermarktung sowie die Pflege von Internet-Shops.

Außerdem stehen Funktionen für die Individualisierung von Internet-Inhalten zur Verfügung. Ein Expertensystem erstellt hierfür Kunden- und Zielgruppenprofile, die es ermöglichen, Endkunden persönlich anzusprechen. Um das System besser in bestehende Infrastrukturen integrieren zu können, basiert die Lösung laut Heiler auf einem offenen Plattformkonzept. Die einzelnen High-Commerce-Komponenten sind weitgehend sprachunabhängig, wodurch Drittanbieter nicht auf bestimmte Entwicklungssysteme festgelegt sind.

Ein Hersteller, der vorwiegend Lösungen für den Business-to-Business-Bereich anbietet und damit seine Unternehmenssoftware für das Internet-Zeitalter fit machen will, ist Baan. "E-Enterprise" nutzt Microsofts "Site Server" als Plattform und beinhaltet eine Reihe von Web-fähigen Software-Anwendungen. Baans E-Commerce-System besteht aus drei Komponenten: "E-Sales", das mehrere Anwendungen für den elektronischen Handel umfaßt, "E-Collaboration" für die Zusammenarbeit im Rahmen von Versorgungsketten und "E-Procurement", das speziell für den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen konzipiert wurde. Baan verspricht darüber hinaus die Integration seiner Operations-Management-Produkte "Baan ERP" (Enterprise Resource Planning) und "Baan IV".

Der Durchbruch der Extensible Markup Language (XML) könnte in der Branche zusätzlich für einen Schub sorgen. Die Fähigkeit von XML, vorhandene Firmendatenbanken durch entsprechende Ergänzungen zu einer einzigen Internet-Informationsquelle zusammenzuführen, hat auch Anbieter wie Oracle auf den Plan gerufen. Zudem ist der Datenbankspezialist ein wichtiger Produzent von betriebswirtschaftlicher Software, die künftig über Browser angeboten werden soll. Es verwundert daher nicht, daß auch Oracle mit Lösungen für das E-Business aufwartet. Die "Oracle Internet Platform", bestehend aus einer "Oracle-8i"-Datenbank, dem "Oracle Application Server" und zusätzlichen "Message-Broker-Fähigkeiten", schafft laut Hersteller eine Infrastruktur, wie sie für die Verwaltung und den Austausch von Informationen innerhalb von E-Business-Umgebungen notwendig ist.

Um Unternehmen, die entsprechende Strukturen implementieren wollen, nicht abzuschrecken, hat Openconnect, Frankfurt am Main, mit "I-Ware" ein Lösungspaket für die schrittweise Einführung von E-Business-Anwendungen in Host-Umgebungen entwickelt. In der ersten von insgesamt drei Phasen schafft "Oc:// Webconnect Pro" einen Browser-basierten Zugriff auf Host-Anwendungen. Der nächste Schritt ist die Implementierung einer grafischen Benutzeroberfläche mit den Tools "Oc://Autovista" und "Oc:// Openvista". Die dritte Stufe umfaßt die Integration von Host-Applikationen, wofür der "Oc:// Webconnect Enterprise Integration Server", das Kernstück des I-Ware-Systems, eingesetzt wird. Dieser bietet eine Entwicklungsplattform für die Integration von IBM-Mainframe-, AS/400- und ERP-Anwendungen sowie die Einbindung von relationalen Datenbanken. Das Openconnect-Modell nutzt Komponententechnologien wie Javabeans oder Corba und erlaubt, bereits bestehende Systemumgebungen weiterhin einzusetzen.

Entwicklungs-Tools für E-Commerce-Sites

Auch die Anbieter von Web-Site-Entwicklungs-Tools haben das weite Feld "E-Commerce" als Einsatzgebiet für ihre Lösungen ausgemacht. So stattet beispielsweise die französische Firma Cyro Networks ihr "Site Construction Set" zur Kreation von interaktiven 3D-Internet-Seiten mit Zusatzfunktionen aus, welche die Einbindung dieser Lösung in E-Business-Anwendungen erleichtern soll. Dazu zählen unter anderem Werkzeuge zur Entwicklung von Kundeninformationssystemen. Außerdem lockt der Hersteller Anwender mit der Option, Internet-Seiten mit Animationen, Multimedia-Sequenzen und Links zu versehen, ohne daß dafür die Beherrschung einer Programmiersprache notwendig ist.

Die Schaffung der technischen Voraussetzungen für den E-Commerce ruft außerdem ein Heer von Dienstleistern auf den Plan. Ein Beispiel dafür ist Axis Information Systems, Erlangen. Das Unternehmen betreibt im Internet vier sogenannte Marktplätze, die Interessenten die Möglichkeit bieten, Hotelrecherchen und Buchungen vorzunehmen oder neue und gebrauchte Gegenstände über ein Auktionssystem zu veräußern. Darüber hinaus bietet Axis den kompletten Aufbau von Online-Shops. Vor diesem Hintergrund wirken die firmeneigenen Web-Seiten eher wie eine Präsentationsplattform für die technischen Möglichkeiten zur Schaffung virtueller Handelsplätze.

Mittlerweile wird fast jedes Produkt, für das sich ein minimaler Bezug zur Thematik konstruieren läßt, mit dem Etikett E-Commerce belegt. Wer versucht, im Internet mit Begriffen wie E-Business eine Recherche zu starten, wird mit Hits gerade-zu überhäuft. Abhilfe soll der "E-Commerce-Guide" der Comparefair GmbH, München, schaffen. Unter "http://www.ec-guide. com" findet der Surfer einen Leitfaden, der eine zielgerichtete Suche im Web erleichtert. Die Seite bietet unter anderem Informationen zu Initiativen und Interessenverbänden sowie eine Sammlung nützlicher Adressen.

Vor allem größere Unternehmen schöpfen die Möglichkeiten des virtuellen Marktes zunehmend aus. Meist steht dabei weniger das kurzfristige Geschäft als vielmehr die rechtzeitige Auseinandersetzung mit den technischen Problemen sowie die Positionierung am Markt im Vordergrund. Inwieweit mittelständische Firmen, die von den Herstellern zur Zeit stark umworben werden, ihre momentane Zurückhaltung ablegen, bleibt abzuwarten.