Suggestopaedische Methoden in Informatikseminaren

Einmal im DV-Training in die Rolle des Unix-Gurus schluepfen

12.03.1993

Superlearning, sanftes Lernen, Softlearning oder neues Lernen sind andere Begriffe fuer Suggestopaedie. Entwickelt wurde die Methode der Suggestopaedie von Gregori Losanov und seinen Mitarbeitern in den 60er Jahren in Sofia. Das Ziel der Suggestopaedie ist es, dass die Teilnehmer schneller, besser und lustbetonter lernen und damit das Gelernte auch erfolgreicher wieder abrufen koennen.

1. Einsatz von Musik

Von Losanov stammt die Aussage, dass jeder Mensch Schoenheit und die Kunst liebt. Musik sei die beste suggestopaedische Kraft beim Unterrichten. Der menschliche Koerper spricht auf Rhythmus und Wohlklang an. So setze ich Musik zu den verschiedensten Gelegenheiten ein. Zur Begruessung am ersten Tag vor dem Beginn des Kurses heisse ich die Teilnehmer mit Musik willkommen und schaffe damit eine gespannte, interessierte Erwartungshaltung.

An den anderen Tagen laeuft Musik ebenfalls vor dem Seminarbeginn. Ich verwende sie auch in den Uebungsphasen, in denen die DV- Spezialisten Programme entwickeln. Es handelt sich um von Lozanov empfohlene, zum Beispiel klassische Musik.

Eine Viertelstunde vor Ende des Kurses fasse ich das Tagesgeschehen noch einmal zusammen. Dazu gebe ich erst die Erklaerung, dass Musik die Aufnahmefaehigkeit des Gehirns positiv beeinflusst. Ich lasse die Musik spielen und die Teilnehmer eine entspannte Sitzhaltung einnehmen und die Augen schliessen. Es folgt eine Zusammenfassung des Tages.

2. Augentraining

Im Rahmen der Seminare gebe ich Tips, wie gereizte und schmerzende Augen entspannt werden koennen und vor allem, wie man vorbeugen kann. Eine Moeglichkeit dazu ist das sogenannte Palmieren. Dabei werden beide Haende schalenfoermig ueber die Augen gelegt, so dass diese voellig abgedunkelt sind. Dazu lasse ich Musik laufen und spreche einen Text. Dieser handelt zum Beispiel von einem Spaziergang auf einer Wiese an einem schoenen Sommertag.

3. Gymnastik, Entspannungsuebungen, Tips zur Atmung

Im suggestopaedischen Unterricht wechseln aktive mit passiven Teilen ab. Dies bezieht sich auf die Gestaltung der fachlichen Kursthemen wie auch auf den gesamten Ablauf des Tages.

So unterbreche ich einen Seminartag von sechs bis acht Stunden mit Gymnastik- und Entspannungsuebungen. Dabei setze ich Dehnungs- und Kraeftigungsuebungen ein, die sich speziell fuer kurze Pausen im Buero eignen. Diese Uebungen haben Fachleute fuer die Kurse zusammengestellt. Viele Kursteilnehmer, die bei ihren sitzenden Taetigkeiten die einen oder anderen Beschwerden in Nacken, Schultern, Ruecken oder Beine haben, sind sehr dankbar fuer die Uebungen.

4. Poster

Eines der Grundprinzipien der Suggestopaedie lautet: Als Menschen agieren wir auf bewussten und unbewussten Ebenen. Das bedeutet, dass die beim Lernen gespeicherten Informationen nicht nur aus dem Stoff bestehen, sondern auch aus allen anderen Wahrnehmungen. Diese werden auch als Verpackung, Begleitinformationen sowie die Sekundaerinformationen bezeichnet.

Diese Sekundaerinformationen sind sehr wichtig. Sie bestehen einerseits aus dem zu vermittelnden Stoff und anderer-

seits auch aus dem ganzen Umfeld. Zu diesen Milieu gehoeren Geraeusche, die wir gerade hoeren, der Sonnenschein, der in den Seminarraum faellt sowie die positiven oder negativen Gefuehl.

Alles, was mit der Gefuehlswelt zu tun hat, gehoert zu den Begleitinformationen, die die Lernfreude foerdern oder toeten koennen. Dazu zaehlen unter anderem auch die Atmosphaere im Raum sowie das Verhalten von Dozent und Teilnehmern und der Teilnehmer untereinander.

Die Gestaltung des Raumes ist ein Mittel, um die Aufnahmebereitschaft der Seminarteilnehmer positiv zu beeinflussen. Fachinformationen, die auf ansprechenden Postern und Bildern im Zimmer untergebracht sind, werden im Unterbewussten gespeichert. Dieser Vorgang wird periphere Wahrnehmung genannt, die Poster und Bilder selbst sind "periphere Randstimuli" (siehe Abbildungen).

5. Identitaetswechsel

Jeder Teilnehmer schluepft waehrend meiner Kurse in die Rolle eines Unix-Gurus und erhaelt dadurch eine neue Identitaet. Dies ist eine Art Wiedergeburt, das Hergebrachte wird fallengelassen. Ich stelle immer wieder fest, dass sich viele Teilnehmer ueber diesen Rollenwechsel freuen und sich initiativer und spontaner am Kursgeschehen beteiligen.

6. Rollenspiele

Rollenspiele lassen sich einsetzen zur Verdeutlichung von Konzepten. Dabei verkoerpern die Teilnehmer jeweils ein Element eines Konzeptes. So kann beim Kommandointerpreter des Unix- Betriebssystems eine Person die Rolle des Anwenders spielen, der einen Befehl eintippt. Eine zweite Person verkoerpert den Kommandointerpreter, die dritte Person das Kommando, das ausgefuehrt werden soll.

Die Teilnehmer fragen sich dann selbst: Von wem bekomme ich Informationen? Was sind meine Aufgaben? An wen gebe ich Informationen weiter? Welche Art von Informationen muss ich uebermitteln? Durch diese spezielle Art von Rollenspielen erhalten die Teilnehmer von Anfang an ein tieferes Verstaendnis der Materie, weil sie selbst mitten im Geschehen sind.

7. Rollenwechsel des Dozenten

In einem C-Grundkurs praesentierte ich das Thema "Zeiger" mit folgender Verpackung: Ich schluepfte in die Rolle des Unix-Gurus Ken Thompson, setzte eine amerikanische Kappe auf, spielte einen Amerikaner und erklaerte das Thema in einfacher amerikanischer Sprache. Durch solche Verpackungswechsel wecke ich Interesse und Neugierde und schaffe damit wieder eine Voraussetzung fuer leichtes Lernen.

8. Karten- und Wuerfelspiele

Nach dem Mittagessen sind die meisten Teilnehmer weniger aufnahmefaehig. In diesen Zeiten setze ich Lernspiele ein. Spiele passen besonders gut zu suggestopaedischem Unterricht, da sie eine lockere, kreative und heitere Atmosphaere erzeugen. Hinzu kommt, dass es den meisten Beteiligten leichter faellt, sich auf ein Spiel zu konzentrieren als auf den Stoff. An ein Lernspiel gehen die meisten Teilnehmer angespornt und neugierig heran.

Fuer die Informatikseminare entwickelte ich eine Reihe von Spielen. Im Glossarspiel sollen die Beteiligten zu Begriffen, die auf Kaertchen stehen, die passenden Erklaerungen finden, die wiederum auf anderen Kaertchen stehen. Dieses Spiel ist besonders beliebt.

Das Schlange- und Leitern-Spiel ist ein Wuerfelspiel. Hierbei geht es darum, am schnellsten vom Start ans Ziel zu gelangen und auf dem Weg dorthin die Fragen zu beantworten. Damit es spannend wird, sind Hindernisse eingebaut.

Beim Befehlszeilenspiel sollen die Teilnehmer eine Befehlskette aus vorgegebenen Kommandos erstellen. Diese befinden sich auf Kaertchen verteilt. Das Spiel ist unter anderem fuer den Unix- Einfuehrungskurs geeignet.

9. Bewegungsspiele

Jeder Seminarteilnehmer hat einen anderen bevorzugten Lernkanal, ueber den er Informationen aufnimmt und lernt. Manche bevorzugen visuelle, andere akustische Informationen und einige wenige lernen vorwiegend ueber den kinaesthetischen Lernkanal (Bewegungen, Spueren, Fuehlen). Um allen diesen Lerneingangs-Kanaelen Informationen anzubieten, eignet sich suggestopaedischer Unterricht sehr gut. Mit Bewegungsspielen laesst sich sogar der kinaesthetische Eingangskanal ansprechen. Sehr viel Spass und Abwechslung bringen folgende zwei Spiele, die ich im Unix-Einfuehrungs- und im Shell-Programmierkurs einsetze.

Im Pantomimespiel geht es darum, einen Befehl nur mit Mimik, Gestik und Bewegung zu erklaeren, ohne ein Wort zu sprechen. Die anderen Teilnehmer raten dann den Befehl.

Beim Action-Spiel suchen alle Teilnehmer passende Bewegungen zu Befehlen und fuehren diese dann gleichzeitig aus, wobei sie Mimik, Gestik, Bewegung und Worte einsetzen. Beim Befehl "head" zum Beispiel greifen sich alle Teilnehmer an den Kopf und sagen "head".

10. Handpuppen

In Lozanovs Unterricht setzen die Lehrer Handpuppen ein. Dies laesst sich auch in der Informatikschulung durchfuehren. Die Puppe kann so auf witzige Art schwierige Sachverhalte erklaeren oder Teilnehmerwissen abfragen. Hier kann man sehen, ob die Teilnehmer eine Information verarbeitet haben und diese auch anwenden koennen, oder ob sie noch inhaltliche Probleme haben.

Fuer die Teilnehmer ist es eine gute Abwechslung mit einer lustigen Handpuppe ueber den Lernstoff zu reden. Handpuppen stimulieren das phantasievolle Kind in uns, beim Referent sowie auch bei den Teilnehmern. Dies kann zu einer wertvollen Ressource werden, wenn der Dozent sie im Seminar zielgerichtet einbezieht. Hierbei braucht es natuerlich etwas Mut und schauspielerisches Talent seitens des Referenten.

11. Pygmalioneffekt

Ein wesentlicher Faktor, von dem beschleunigtes Lernen abhaengt, ist die Erwartungshaltung des Referenten an die Kursteilnehmer. Das Phaenomen, dass Menschen das leisten, was wichtige Personen in ihrem Umfeld von ihnen erwarten, ist unter dem Begriff Pygmalioneffekt oder Self-fullfilling-prophecy bekannt. Ich arbeite gezielt mit diesem Effekt.

Da ich intensive Vorbereitungen fuer jedes Seminar treffe, erwarte ich auch, dass meine Teilnehmer schneller, besser und mit mehr Spass lernen. Diese Erwartungshaltung uebertraegt sich dann auf die Teilnehmer.

Halbherziges Vorgehen beim Einsatz dieser nicht alltaeglichen Mittel ist voellig ungeeignet, weil sich Unsicherheit und Nervositaet negativ auf das Ergebnis auswirken. Suggestopaedie muss man mit voller Ueberzeugung anwenden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung fuer das Gelingen.

Wenn sie erfuellt ist, werden die Kursteilnehmer den Stoff sehr gut verarbeiten und das Seminar in bester Erinnerung behalten.

*Diplominformatiker (FH) Ludwig Lingg ist freiberuflicher Unix- und C-Referent in der Schweiz, Oesterreich und Deutschland. Er hat sich darauf spezialisiert, moderne Lerntechniken im Informatikbereichen anzuwenden. Er beraet, entwickelt, produziert und vertreibt Informatik-Lernmaterialien.

Abb: Zwei Arten von Postern, die der Autor in Informatikkursen einsetzt. Die Beispiele sind aus dem Seminar "Einfuehrung in die Programmiersprache C". Quelle: Ludwigg Lingg