Einmal Familie und zurück

10.08.2001
Von Katja Müller
Kind und Karriere müssen kein unüberbrückbarer Gegensatz sein. Auch wenn im Moment eher die Sorge um den sicheren Arbeitsplatz überwiegt, feilen einige Unternehmen an einem familienfreundlichen Image. Langfristig dürfte sich diese Form der Mitarbeiterbindung für die Firmen auszahlen: Prognosen zufolge wird die Zahl der Fachkräfte in Deutschland rapide zurückgehen.

Praktikum in der Hongkonger Textilbranche, Exportchef beim Softwareunternehmen Fast Electronic, freier Journalist mit Schwerpunkt Neue Medien in Hamburg, dazwischen einen Abstecher ins Filmgeschäft – dieser Mann, so scheint es, sucht im Job die spannenden Herausforderungen. Dennoch entschied er sich vor knapp zehn Jahren gegen die Karriere.

Damals war der 33-jährige Mathias Vaagt in der Geschäftsleitung eines mittelständischen Münchner Unternehmens tätig - und alleinerziehender Vater von zwei Kindern. „Ich habe den Ausstieg als Luxus empfunden. In einer Phase, in der jeder Gas gibt, ziehe ich Kinder groß“, sagt Vaagt. Vier Jahre später stieg er fast mühelos wieder ins Berufsleben ein. Im Vorstellungsgespräch bei CSC Ploenzke legte der Flensburger die Karten auf den Tisch und gewann.

Mittlerweile ist Vaagt als Director Strategic Alliances für das Beratungsunternehmen tätig. In unregelmäßigen Abständen arbeitet er in seinem Home-Office, am liebsten natürlich am Freitag. Positiv ist auch das Feedback seines Arbeitgebers: „Möglich ist im Prinzip alles, man muss es nur genau planen“, sagt Unternehmenssprecher Frank Schabel. Natürlich werde die 20- oder 30-Stunden-Woche eher von Müttern mit Kindern gewählt, aber das Motto der „Work-Life-Balance“ gelte genauso für den Berater, der den Arbeitstag auch um 13 Uhr beenden kann und sich anschließend seiner Familie widmet.

Auch bei der Siemens AG müssen Kinder nicht zwangsläufig zum Karrierehindernis werden. Hier gibt es zwar keine Betreuungseinrichtungen, doch hilft das Unternehmen, Tagesmütter zu vermitteln. Daneben können Mitarbeiter zwischen gleitender Arbeitszeit, Partner-Teilzeit oder Teilzeit wählen. Letztere nehmen etwa 12 000 Beschäftigte, darunter 9 000 Frauen, in Anspruch. Laut Unternehmenssprecherin Sabine Metzner wird der derzeitige Stellenabbau bei Siemens solche Modelle nicht in Frage stellen: „Wir wollen keinen Rückschritt, deshalb werden strukturelle Maßnahmen keinen Einfluss auf die sozialpolitische Strategie haben.“ Zudem hänge die Gestaltung der Arbeitszeit weniger von der Position als von der Aufgabe des Einzelnen ab. Mitarbeiter der Finanzabteilung haben beispielsweise mehr zeitlichen Gestaltungsspielraum als in Marketing und Vertrieb.

Ein Budget von zwei Millionen Mark stellte die Frankfurter Commerzbank vor sechs Jahren unter anderem für Zuschüsse zur Kinderbetreuung sowie finanzielle Hilfe bei Erkrankung eines Kindes oder Haushaltsführenden zur Verfügung. Seit kurzem haben Eltern und Alleinerziehende auch die Möglichkeit, ihren Nachwuchs in Notfällen betreuen zu lassen, sagt der Projektleiter für personalpolitische Grundsatzfragen, Klaus Enz. So könne beispielsweise ein Familienvater, dessen Kind am Wochenende erkrankt ist, auch am Sonntagabend bei der Einrichtung „Kids & Co“ anrufen und dort kurzfristig einen Platz bekommen.

Selbst Commerzbank-Angestellte, die sich in Elternzeit (früher Erziehungsurlaub) befinden und als Urlaubsvertretung für einige Wochen einspringen, können die Hilfe des Notfall-Kindergartens in Anspruch nehmen. Bis zu 300 000 Mark investierte die Bank in das Projekt, das laut Enz „eingeschlagen hat wie eine Bombe“. Zum Jahresende wollen die Organisatoren rund 40 Plätze bei „Kids & Co“ anbieten. Ganz anders stellt sich die Unternehmensberatung KPMG den idealen Mitarbeiter vor. Der künftige Berater sollte möglichst kinderlos sein, denn hier, so eine Firmensprecherin, geht es in erster Linie um die Karriere. Weder Teilzeit noch andere Arbeitszeitmodelle erlauben es den Mitarbeitern des Berliner Unternehmens, ihren Job flexibel zu organisieren.

Auch der französische TK-Ausrüster Alcatel kann seinen Mitarbeitern im mittleren Management kaum Kompromisse bei der Reduzierung der Arbeitsstunden anbieten. „Ab einer gewissen Ebene wird es eben schwierig“, konstatiert der Referent Personal-Marketing Matthias Iben. Immerhin können Mitarbeiter ohne leitende Funktion zwischen einem Halbtagsjob oder beispielsweise einer 30-Stunden-Woche wählen. Wenn es allerdings nach der Beruf & Familie GmbH geht, soll die familienfeundliche Personalpolitik bald auch bis in die Führungsebene vordringen.

Angeregt durch den US-amerikanischen „Family-friendly-Index“, erfasst und bewertet sie in einem Prüfungsverfahren die familienorientierten Maßnahmen hiesiger Firmen und deren Enwicklungspotenzial. Doch gerade für kleine Firmen scheinen die Hürden für das zu erhaltende Grundzertifikat zu hochgelegt. So finden sich unter den Preisträgern vorwiegend Versicherungsanstalten, Krankenhäuser, Banken und nicht zuletzt auch das Bundesfamilienministerium.

Von den Technologieunternehmen nahm unter anderem Accenture an der Initative teil und erhielt kürzlich das Grundzertifikat als familienfreundlicher Arbeitgeber. Die Unternehmensberatung setzte sich beispielsweise das Ziel, künftig nicht nur Kontakt zu den Mitarbeitern im Erziehungsurlaub zu halten, sondern auch deren Wiedereinstieg in das Berufsleben durch spezielle Trainingsprogramme zu erleichtern. „Viele mittelständische Firmen sind wesentlich flexibler geworden, was den Umgang mit ihren Mitarbeitern betrifft“, kommentiert Gisela Erler die neuen personalpolitischen Ansätze der Unternehmen.

Nach Meinung der Familienforscherin und Mitentwicklerin des Audits der Beruf und Familie GmbH werden die Firmen in den nächsten 15 Jahren große Probleme durch den wachsenden Fachkräftemangel bekommen. „Der Kern der Frage ist doch, wie schaffen wir es, dass Frauen auch mit familiären Verpflichtungen einen hoch qualifizierten Job ausüben können?“ In den USA gibt es diesen Trend laut Erler schon seit fünf bis sechs Jahren. Dort sind nach ihrer Einschätzung viel mehr Mütter vollzeiterwerbstätig und folglich stärker auf Kompromisse seitens der Arbeitgeber angewiesen.

Zeitverschoben und abgeschwächt macht sich dieser Wertewandel nun auch in Deutschland bemerkbar. „Viele Firmen merken, dass es so nicht mehr weitergeht, sogar einige der knallharten Unternehmensberater beginnen gegenzusteuern“, sagt Erler. Die Mitarbeiter müssten allerdings auch den Mut aufbringen, ihre Bedürfnisse einzufordern, meint sie. Wie es der CSC-Ploenzke-Manager Mathias Vaagt damals getan hat.