Einem Pre-Release muss kein Final-Release folgen Gerichtsentscheid fuer Microsoft laesst Klaeger vor den BGH ziehen

13.05.1994

MUENCHEN (hv) - Als Michael Kohlhaas der deutschen DV-Branche macht Gerd Duesdieker, Geschaeftsfuehrer der Herforder DTE Hard- und Software Produktionsgesellschaft mbH, von sich reden. Sein Unternehmen, das unter anderem Software fuer die Druckindustrie herstellt, zieht mit einer Klage gegen die Microsoft GmbH, Unterschleissheim, bis vor den Bundesgerichtshof (BGH).

Der Rechtsstreit geht auf die von IBM und Microsoft zunaechst gemeinsam verfolgte OS/2-Betriebssystem-Strategie zurueck. DTE hatte sich 1989 aus strategischen wie technischen Gruenden fuer OS/2 entschieden, dann aber festgestellt, dass das System in der Version 1.x Unzulaenglichkeiten aufwies.

Obwohl schon zu einem Strategie- und Systemwechsel entschlossen, liess sich DTE von Microsoft noch einmal umstimmen. Die angeblich weit bessere Version 2.0, so hiess es, lasse nicht mehr lange auf sich warten. In der zweiten Jahreshaelfte 1990, stellte Microsoft Ende 1989 in Aussicht, werde die neue OS/2-Variante voraussichtlich zur Verfuegung stehen.

Die Entwickler erhielten - drei Monate spaeter als von Microsoft zugesagt - ein Vorab-Release der OS/2-Programmierumgebung Software Development Kit (SDK) und begannen im Sommer 1990 damit, erste Programme zu schreiben. Schnell mussten sie feststellen, dass der Werkzeugkasten - wie bei Beta-Releases nicht unueblich - gravierende Maengel aufwies. Die Entwicklungsarbeiten kamen ins Stocken und liefen schliesslich in eine Sackgasse.

In Erwartung eines Final-Release des SDK sowie der endgueltigen Version von OS/2 2.0 nahm man diese Unzulaenglichkeiten hin. Im Fruehjahr 1991, als DTE bereits mehr als zwei Millionen Mark in die Entwicklung von OS/2-Programmen gesteckt hatte, traf es den Nischenanbieter wie ein Keulenschlag: Microsoft trat angesichts des ueberwaeltigenden Windows-3.0-Erfolges die Entwicklungsverantwortung fuer OS/2 komplett an IBM ab.

Gericht sieht Pre-Release als ein fertiges Produkt

Die Herforder wurden nicht nur unfreiwillig zu Kunden der IBM, schlimmer noch wog, dass es eine endgueltige Version des SDK fuer OS/2 nicht mehr geben sollte. Strategische Entwicklungsumgebung der IBM wurde der C-Set/2-Compiler, der laut Duesdieker erst zwei Jahre spaeter in einer akzeptablen Version vorlag.

DTE verklagte Microsoft auf Schadensersatz, hatte aber in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht Muenchen wies die Klage ab, da das Pre-Release des SDK juristisch wie ein "fertiges Produkt" zu behandeln sei. Entwickler muessten das Beta-Release wie jedes andere erworbene Produkt unverzueglich untersuchen und Maengel binnen eines halben Jahres ruegen - versaeumten sie dies, wie im Falle DTE geschehen, koennten sie keinerlei Ansprueche geltend machen.

Mit diesem Urteil, so meinen Insider, ist der eigentliche Sinn von Beta-Releases, der in der gruendlichen und langfristigen Erprobung eines Softwareproduktes seitens Dritter besteht, in Frage gestellt. Entwickler seien nun gehalten, sich nicht auf die muendlichen Aussagen ihres Herstellers zu verlassen, sondern sich in jedem Fall ueber Maengel zu beschweren. Nur so koennten sie eventuelle Ansprueche geltend machen. Kundenauftraege auf Basis von Vorarbeiten, die mit einem Pre-Release durchgefuehrt wurden, sollten gar nicht oder nur nach entsprechender vertraglicher Absicherung angenommen werden.

Eine Verpflichtung von Microsoft, nach dem Pre-Release auch ein Final-Release anzubieten, sah das Gericht nicht. Blosse Ankuendigungen einer Weiterentwicklung seien nicht rechtsverbindlich. Auch liege keine kartellrechtswidrige Ungleichbehandlung von OS/2- und Windows-Anwendern vor, obwohl letztere laengst ein fertiges SDK erhalten hatten.

Aus den Verhandlungen ist Microsoft als Sieger hervorgegangen. Trotz der Zeitverzoegerungen, die DTE im Vertrauen auf eine langfristige OS/2-SDK-Produktpolitik in Kauf genommen hatte, konnten die Herforder bislang keinen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen.