"Eine Telefonanlage ist kein gordischer Knoten"

23.04.1999
Mit Thomas Merten, Vorstand der Düsseldorfer TK-Beratungsgesellschaft HMP Teleconsult AG, sprach CW-Mitarbeiter Alexander Freimark

CW: Rechnen Sie am Neujahrsmorgen des Jahres 2000 mit Komplettausfällen von TK-Anlagen?

Merten: Theoretisch ist dies möglich, aber begrenzte Fehlfunktionen sind wahrscheinlicher.

CW: Wo liegen die Hauptprobleme?

Merten: Im IT-Bereich ist durch jahrelange Aufklärungsarbeit zumindest ein kleines Bewußtsein für die Thematik entstanden. Da hinkt der TK-Sektor eindeutig hinterher. Unsere Erfahrung ist, daß Kunden die möglichen Probleme in ihrer TK-Anlage schlicht unterschätzen.

CW: Dabei ist nicht nur die Telefonanlage bedroht.

Merten: Richtig, denn durch die zunehmende Vernetzung und Sprach-Daten-Integration hängt ein ganzer Rattenschwanz von Problemquellen hinter einer Anlage. Voice-Mail-Systeme, Gebührenerfassung, administrative Tools und die Computer-Telefonie-Integration sind nur einige Beispiele. Wenn eine dieser Komponenten das Jahr 2000 nicht erkennt, können alle anderen Module an der Datumshürde straucheln. Der Domino-Effekt macht das Problem so komplex. Je mehr Tools ich also an ein TK-System kopple, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehlfunktion zu Silvester.

CW: Wie könnte eine Lösung für das Problem aussehen?

Merten: TK-Anlagen sind kein gordischer Knoten, den man einfach durchschlägt. Erstens ist eine Bestandsaufnahme der installierten Basis nötig. Zweitens muß das TK-System ganzheitlich, das heißt im Zusammenspiel aller Komponenten unter Berücksichtigung der Systemumgebung, betrachtet werden. Danach folgen die Simulationen.

CW: Die Installation einer neuen Software für das Telefonsystem reicht nicht aus?

Merten: Anwender machen in jedem Fall einen Fehler, wenn sie lediglich im Internet nach Software-Patches für die TK-Anlage suchen. Wer sich darauf verläßt, kann eine böse Überraschung erleben. Dann funktioniert vielleicht noch das Basissystem, aber die Tools bleiben auf der Strecke.

CW: Wie bewerten Sie Aussagen der Lieferanten, ihre Systeme stimmten mit der Jahr-2000-Definition des British Standards Institute (BSI) überein?

Merten: Das ist ein guter Ansatz, doch er reicht nicht aus. Das BSI legt eine Standardsimulation in einer Testumgebung fest und betrachtet die Einzelkomponenten. Eine TK-Anlage lebt jedoch, und wenn sie beispielsweise 1998 angeschaltet wurde, kann sie heute schon ganz anders aussehen. Früher durfte nichts ohne Genehmigung des Herstellers an die Anlage angeschlossen werden, doch die Zeiten haben sich geändert. Die Anwender suchen sich inzwischen die Komponenten nach ihren Anforderungen wie auf einem Basar zusammen. Da verliert jeder Lieferant den Überblick über die Installationsbasis, und leider manchmal auch der Administrator.

CW: Stichwort Folgekosten: Mit welchen Investitionen müssen die Anwender rechnen, um ihre TK-Anlagen fit für den Datumswechsel zu machen?

Merten: Alle Hersteller bieten die Jahr-2000-Umstellung ihrer Einzelsysteme in der Regel kostenlos an. Was ins Geld geht, sind die Simulationen sowie Zertifikate für die gesamte Anlage. Den Löwenanteil macht hier die Bestandsaufnahme aus. Pauschale Kostenvoranschläge lassen sich aus der Distanz nicht stellen. Allerdings kann man sich ja an den üblichen Tagessätzen eines Technikers orientieren.

CW: Nutzer klagen über die schlechte Informationspolitik der TK-Hersteller. Wie beurteilen Sie diese Vorwürfe?

Merten: Ich habe für beide Seiten Verständnis. Die Anwender fühlen sich zu Recht nur unzureichend informiert. Viele TK-Lieferanten haben das Jahr-2000-Problem erstmal in die Schublade gesteckt und die Rechtslage von den Anwälten untersuchen lassen. Grund hierfür war wohl eine Unsicherheit über die Frage, wer für die Kosten aufzukommen hat. Auf der anderen Seite ließ sich die Jahr-2000-Fähigkeit vieler Anlagen abschließend erst im letzten Quartal 1998 regeln, denn auch die Lieferanten sind vom Weltmarkt abhängig. So konnte beispielsweise 1997 nicht garantiert werden, daß alle Bauteile einer Anlage den Datumswechsel schaffen.

CW: Spielen die TK-Anbieter auf Zeit, um den Druck auf die Kunden finanziell auszunutzen?

Merten: Ich denke, dieser Vorwurf ist nicht berechtigt. Die Hersteller haben in der jüngsten Vergangenheit eine Menge Geld investiert, um die Kunden aufzuklären. Dies geschah zwar spät, aber schließlich sind noch acht Monate Zeit, um die Anlagen umzustellen.