IT im Maschinenbau/Mittelstaendischer Maschinenbauer setzt auf Kontinuitaet

Eine Spindelfabrik spinnt den Software-Faden ganz langsam

19.04.1996

In der Hauptverwaltung der Spindelfabrik Suessen steuert ein Grossrechner die komplexen Produktionsplanungsprozesse. Alle Belange der weltweit verzweigten Niederlassungen und Fertigungsstaetten werden zentral vom Hauptsitz gelenkt. Dies erfordert aus informationstechnischer Sicht: Management der heterogenen Strukturen im Firmenverbund, Downsizing und Vernetzung sowie Neuorientierung bei der Software.

Konzentrieren wir uns vor allem auf den letzten Punkt. Wie viele andere Unternehmen der Branche steht auch die Firmengruppe Suessen vor dem Problem, sich mittelfristig fuer eine neue Software- Ausrichtung entscheiden zu muessen und sich von den Eigenentwicklungen, die auf Cobol und CICS basieren, zu trennen. Die zunehmende Verbreitung von Standardsoftware e la SAP macht sich auch im Fertigungsbereich bemerkbar, obwohl die Walldorfer Softwareschmiede vor allem die Grossindustrie bedient. Noch ist der Mittelstand in der Rolle des Beobachters, der die Offensive von SAP interessiert verfolgt, aber angesichts der nicht leicht nachvollziehbaren Preisgestaltung erst einmal abwartet.

Im Falle hoechst unterschiedlicher Betriebsstrukturen - Suessen ist Serienfertiger und Einzelfertiger - hat es jede Standardsoftware schwer. Ein vergleichbares Unternehmen aus dem Stuttgarter Raum hat errechnet, dass das Investitionsvolumen fuer Hardware, Software und andere Kosten rund zehn Millionen Mark betraegt. Trotz der Akzeptanz von SAP gibt es speziell im Stuttgarter Raum kein Maschinenbauunternehmen mit bis zu tausend Mitarbeitern, in dem R3 komplett im Einsatz ist. Mit dem aktuellen Release 3 bietet SAP indes eine Standardsoftware, die das Branchenanforderungsprofil in puncto Finanzen und Personal weitgehend abdeckt. Eine Implementierung erfordert jedoch sehr viel Zeit und Ressourcen.

Im Planungs- und Steuerungsbereich gehen die Uhren anders, weil jedes Unternehmen seine eigene Philosophie verfolgt. Sie behindert den Einsatz von Standardsoftware. Trotzdem entscheiden sich viele Unternehmen rund um den Globus fuer diesen Standard, den sie mindestens zehn Jahre lang einsetzen wollen. Ein Deckungsgrad der Anforderungen von etwa 80 Prozent gilt als ausreichend, den Rest sollen organisatorische Massnahmen abdecken. Fuer den PPS-Bereich sieht Suessen zur Zeit noch keine Moeglichkeit, die Eigenentwicklungen abzuloesen.

Fuer die Firmengruppe Suessen stand fest, sich bei der Auswahl neuer Standardsoftware nicht unter Zeitdruck zu setzen. Suessen ist deshalb weiterhin bereit, mit Augenmass in bestehende Software zu investieren. Um das Planungssystem zu verbessern, wurde das ergaenzende Online-Modul "Bedver online" implementiert. Auf Batch- Laeufe kann man jetzt in der Materialbedarfsplanung fast vollstaendig verzichten. Auch umfangreiche Enderzeugnisse, zwischen 3000 und 4000 Komponenten, lassen sich nun einschliesslich Verursachernachweis komplett durchplanen. Erheblich optimiert wurde zudem die Aufbrauchlogik von Lagerteilen im Falle technischer Neuerungen.

Eine zentrale Aufgabe - das notwendige Anpassen von etwa 500 Programmen an das Datum des Jahres 2000 - hat Suessen sorgfaeltig geplant und rechtzeitig in Angriff genommen. Bei einem Fertigungsunternehmen ist in der Regel ein Planungshorizont von mindestens zwei Jahren einzukalkulieren, was die Anpassungsproblematik unmittelbar beruehrt. Denn die Programme muessen unter solchen Bedingungen bis spaetestens Ende 1997 produktionsreif transformiert sein, ein zu kurzer Zeitraum fuer die Einfuehrung neuer Standardsoftware. Das mit hoechster Prioritaet versehene Projekt konzentriert sich primaer auf die Datumsumstellung und wird - wie vorgesehen - noch in diesem Quartal beendet sein.

Jedes Risiko soll vermieden werdenH4>/H4>

Neben der Datumsumstellung entschied sich Suessen zur Anpassung der Programme an den neuen Cobol/VSE-Standard. Jedes Risiko, durch Aenderungen der Systemsoftware innerhalb kurzer Zeit erneut ein zeitaufwendiges und kostenintensives Projekt starten zu muessen, soll vermieden werden.

Aufgrund des individuellen Anforderungsprofils, zwei strategische Projekte gleichzeitig zu realisieren, suchte man nach einer angemessenen Loesung. Die Wahl fiel auf den Konverter "K2000" des Softwarehauses Aldinger und Gehrke GmbH in Fellbach bei Stuttgart. Er unterstuetzt die Datums- und Cobol-Umstellung in einem Konvertierungszyklus und ermoeglicht die Datumstransformation ohne Datenbankanpassungen. Ein spezielles Testsystem fuer die Datumsumstellung ist daher nicht erforderlich. Angepasste und nichtangepasste Programme laufen in derselben Umgebung.

Bei der Entwicklungsplattform unter VM/ESA entschied man sich fuer eine zentrale sowie eine dedizierte CMS-Maschine fuer jedes Anwendungsgebiet. Nach Einrichtung der Testumgebung folgte schrittweise die Anpassung. Der Umstellungsprozess mit Hilfe des Konverters K2000 beginnt mit einer dreistufigen Vorbereitungsphase: Zuerst untersucht man die Programme auf die Verwendung globaler Datenstrukturen hin; danach wird der Konverter anhand einer kleinen Auswahl exemplarischer Kundenprogramme eingestellt. Im Dialog laesst sich dabei der Konverter um anwenderspezifische Muster ergaenzen und mit den entsprechenden Transformationsregeln verknuepfen. Der Anwender greift auf die mitgelieferten Regeln zu, kann sie anpassen oder selbst eigene Regeln definieren. Diese Flexibilitaet ermoeglicht auch die Abdeckung ganz spezieller Anforderungen durch den Konverter. Im letzten Vorbereitungsschritt analysiert der Konverter die ausgewaehlten Datenstrukturen auf Datumsfelder, passt die selektierten Felder weitgehend maschinell an und hinterlegt sie als Informationen fuer die automatische Massenumstellung in einem Repository. Die Massenumstellung der Programme erfolgt schliesslich automatisch im Batch-Modus. Modulweise werden die umgestellten Programme getestet und Schritt fuer Schritt in die Produktion uebernommen. Die vormals gefuerchtete Stichtagsumstellung ist damit kein Thema mehr.

Zum zweiten strategischen Projekt, der Applikationsanpassung an den Cobol/VSE-Standard: Die Auslieferung von Cobol/VSE ist noch nicht ueber alle Zweifel erhaben. Das betrifft weniger den Compiler als das Zusammenspiel zwischen Language Environment und CICS/VSE/ESA 2.3. Die meisten Probleme konnten im Dialog mit IBM geloest werden. Sicherlich haben es die naechsten Anwender in dieser Systemumgebung leichter. Ein grosser Vorteil der Umstellung auf Cobol/VSE liegt im Ueberspringen der 16-MB-Grenze des CICS/VSE und der zukunftsorientierten LE-Plattform.

Hier hat sich die gewaehlte Konverter-Loesung bewaehrt, zumal die Umstellung von Cobol und Datum in einem Schritt realisiert wurde. Unnoetiger Zusatzaufwand fiel nicht an. Mit dem Compiler sollen alle Cobol-Programme auf Cobol/VSE umgestellt werden. Die Zusatzkosten halten sich in ueberschaubaren Grenzen. Die fruehzeitige Programmanpassung an das Jahr 2000 ist fuer Suessen nach wie vor die richtige Entscheidung. Mit einer vergleichsweise geringen Investition sind die Weichen in die Zukunft gestellt.

Ein weiterer Kernpunkt der kuenftigen DV-Strategie ist Client- Server, sicherlich ein branchenbeherrschendes Thema auch noch in den kommenden Jahren. Doch ist Vorsicht geboten. Client-Server bedeutet mehr als die Einbindung von PCs ins Netz. Welche Rolle wird dem Grossrechner zugewiesen? Gewiss wird an seiner Bedeutung und Existenz nicht gekratzt, wahrscheinlich wird er die Funktion eines Servers haben. Wer in Suessen Zugriff auf den Grossrechner hat, dessen PC laeuft ueber Emulation. Andere PCs sind fuer Anwendungen wie Textverarbeitung oder Tabellenkalkulationen in das Netzwerk integriert. Dennoch ist die Spindelfabrik Suessen sehr vorsichtig mit dem weiteren Ausbau von Client-Server-Architekturen.

Die Euphorie von gestern hat sich inzwischen relativiert. Client- Server-Computing reisst riesige Loecher in die Kassen. Aber alle Welt spricht von Downsizing auch im Budget! Gehen denn wirklich die Kosten zurueck, wenn viele PCs eingesetzt werden? Man handelt sich nur neue Probleme ein, zum Beispiel die voellige Freiheit des Endbenutzers, die nicht immer zur Erhoehung der Produktivitaet beitraegt. Einen Benutzerservice auf die Beine zu stellen ist ein aufreibendes und kostentreibendes Unterfangen.

Wie viele andere Unternehmen der Branche hat sich auch die Firmengruppe Suessen ueber die Jahre das komplette Know-how fuer das Grossrechnersystem angeeignet. Man muesste wieder bei Null anfangen. Wie lange reichen interne Ressourcen aus, um ein neues System zu managen, wie lange dauert es, bis man dort hineingewachsen ist? Diese Fragestellungen halten viele Firmen von durchgreifenden Veraenderungen ab. Bei gewachsenen Strukturen macht der Wechsel wenig Sinn. Dennoch sind die Fronten nicht verhaertet. Haben sich bestimmte Standards im Markt etabliert, werden sich die Maschinenbauer peu e peu mit Neuigkeiten vertraut machen. Den Firmen ist daran gelegen, wichtiges Know-how zu erwerben, um die Anpassungen intern vornehmen zu koennen. Die Plattform ist dabei zweitrangig.

Im Tagesgeschaeft alle Haende voll zu tunH4>/H4>

Heute ist das technische Umfeld ueberwiegend Unix-orientiert, und PCs bleiben noch die Ausnahme. Es stellt sich also die Frage: Unix oder Windows NT, aber auch die AS/400 sollte man nicht unterschaetzen.

Ueber die Marschrichtung bis zum Jahr 2000 ist man sich in Suessen einig. Ueber allen technologischen Fragen und eventuellen Liebeleien rangiert die Leitlinie, die Unternehmensentwicklung mit einer soliden DV-Dienstleistung effizient zu unterstuetzen. "Informatik for the future" kommt fuer die Branche kaum in Frage. Denn das Tagesgeschaeft alleine ist anspruchsvoll genug. Um strategische Entscheidungen treffen zu koennen, muss das Unternehmen mit Informationen durchdrungen sein. Dies ist die groesste Herausforderung.

Dazu kommen Datum-2000-Anpassung, IT-Investitionen bis 2000, das Jahr 1998 fuer Telekommunikation und Netze - in Suessen gibt es alle Haende voll zu tun.

Das Unternehmen

In der nunmehr 76jaehrigen Geschichte der schwaebischen Spindelfabrik Suessen ist aus einem kleinen Handwerksbetrieb eine international operierende Firmengruppe mit Fabrikationsstaetten und Niederlassungen in Deutschland, Brasilien, Indien, Tschechien und den USA geworden. Was 1920 mit der Fertigung von Spinn- und Zwirnspindeln begann, hat sich inzwischen zu einem der fuehrenden Anbieter von marktgaengigen Spinnverfahren entwickelt.

Kurz & buendig

Die alteingesessene Spindelfabrik Suessen will ihren Mainframe noch nicht aus seiner vorherrschenden Rolle entlassen. Zu viel steht fuer das mittelstaendische, inzwischen aber weltweit agierende Unternehmen auf dem Spiel. Andererseits moechten sich die DV- Strategen den Weg in die Welt von Client-Server und Objektorientierung nicht verbauen. Schrittweise passt man sich mit unterschiedlichen Softwarekomponeten den Notwendigkeiten des Alltags an und widersteht den Versuchungen des Softwaremarkts - vorlaeufig.

*Paul Forndron ist DV-leiter der Spindelfabrik Schurr, Stahlecker und Grill GmbH in Suessen.