CW-Gespräch mit AMR-Research-Analyst Nigel Montgomery

"Eine Roadmap sehe ich nicht"

20.06.2003
Das US-Marktforschungsunternehmen AMR Research ist auf den Bereich Unternehmenssoftware spezialisiert und hat sich auch in der aktuellen Übernahmeschlacht zwischen Oracle und Peoplesoft mit Analysen zu Wort gemeldet. Mit Nigel Montgomery, European Research Director bei AMR, unterhielt sich CW-Redakteur Gerhard Holzwart über die Hintergründe und die möglichen Auswirkungen des jüngsten Oracle-Vorstoßes.

CW: Die geplante feindliche Übernahme von Peoplesoft durch Oracle wirft eine Reihe wichtiger Fragen auf - vor allem die, welches Motiv Oracle-Chef Larry Ellison verfolgt.

Montgomery: Ich denke, man muss diese Frage aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Rein wirtschaftlich gesehen, gibt die Übernahme von Peoplesoft für Oracle viel Sinn. Legt man die Barmittel, alle sonstigen Unternehmenswerte und insbesondere die stabilen Wartungsumsätze von Peoplesoft zugrunde, wäre der Kaufpreis von 5,1 Milliarden Dollar ein Schnäppchen. Oracle würde, wenn man die Rechnung so aufmacht, allenfalls eine Milliarde Dollar bezahlen.

CW: Ist das Oracle-Angebot für Peoplesoft-Aktionäre gut oder schlecht?

Montgomery: Das werden die Anteilseigner in ein paar Wochen nach Abschluss des laufenden Quartals zu beurteilen haben. Die 5,1 Milliarden Dollar, die jetzt im Raum stehen, sind zumindest kein völlig unrealistischer Preis. Fallen die Peoplesoft-Zahlen schlecht aus, könnte die Neigung "Kasse zu machen" deutlich zunehmen. Überrascht Peoplesoft hingegen mit guten Ergebnissen, wird Oracle sein Angebot nachbessern müssen.

CW: Die Peoplesoft-Kunden dürften den Deal kaum euphorisch betrachten.

Montgomery: Das ist richtig. Für sie wäre die Übernahme des Unternehmens durch Oracle zunächst keine gute Nachricht. Die Aussagen, die Oracle bis dato zur Zukunft der Peoplesoft-Produkte gemacht hat, sind sehr vage und zum Teil widersprüchlich. Es gibt keine Garantien, keine umfassende Roadmap.

CW: Viele Beobachter sehen in dem Spektakel nur den Versuch Ellisons, einen Wettbewerber vom Markt zu kaufen oder eine Fusion von Peoplesoft und J.D. Edwards zu verhindern - und gleichzeitig die Kunden beider Wettbewerber so zu verunsichern, dass der ERP-Markt im Sinne von Oracle bereinigt wird.

Montgomery: Der Markt würde dadurch auch im Sinne von SAP bereinigt. Insofern würde ich vor einer solchen Strategie warnen, wenn es sie gäbe. Ich halte solche Spekulationen aber für übertrieben. Ich habe keinen Anlass, an der Ernsthaftigkeit und Seriosität der Oracle-Offerte zu zweifeln.

CW: Sie selbst haben doch eben von der fehlenden Produkt-Roadmap und Migrationsstrategie für die Peoplesoft-Anwender gesprochen.

Montgomery: Darum geht es momentan nicht. Oracle muss jetzt die Aktionäre von Peoplesoft überzeugen, und erst später die Kunden.

CW: Was nützt mir eine breite Kundenbasis, für die ich viel Geld ausgebe, wenn nachher die Kunden in Scharen zur Konkurrenz laufen?

Montgomery: Mein Eindruck ist derzeit, dass man sich bei Oracle zunächst darauf verlässt, über Jahre hinweg die Peoplesoft-Anwender mit Wartungsgebühren und Serviceeinnahmen zu melken. Ich warne davor zu glauben, dass Peoplesoft-Kunden von heute auf morgen zu SAP oder zu einem anderen Anbieter wechseln. Ein ERP-System schaltet man nicht einfach ab. Insofern dürfte den Peoplesoft-Anwendern im Falle des Falles mit einem funktionierenden Support auch am meisten gedient sein.

Anders verhält es sich mit dem Neugeschäft. Wir alle wissen, wie schwer sich Peoplesoft-Anwender mit einem Releasewechsel von "Peooplesoft 7" auf "Peoplesoft 8" tun. Wird Oracle "Peoplesoft 8" nun weiter vermarkten, oder nicht? Eine verbindliche und autorisierte Antwort darauf kenne ich noch nicht. Natürlich hat Oracle wesentlich mehr Interesse an den CRM-Tools von Peoplesoft und vor allem das Ziel, mittelfristig den Peoplesoft-Anwendern die eigene "E-Business"-Suite schmackhaft zu machen. Aber ich sage noch einmal: Einen Masterplan, eine fertige Roadmap sehe ich derzeit nicht.

CW: Was wird mit J.D. Edwards geschehen? Glaubt man Ihrem Haus, das sich auf ein Gespräch mit Oracle-Vice-President Charles Phillips beruft, hat der Datenbankriese kein Interesse daran, dass Peoplesoft den geplanten Kauf von J.D. Edwards abschließt.

Montgomery: Meiner Einschätzung nach hat Oracle definitiv nicht vor, J.D. Edwards im Paket mit Peoplesoft zu erwerben. Ellison geht es um die weltweit 5100 Peoplesoft-Kunden und um die angesprochenen Vorteile, die ein solcher Merger für seine Company hätte. Vielfach wird in diesem Zusammenhang ja auch vergessen, dass ein Großteil der Peoplesoft-Anwender ohnehin Oracle-Datenbanken im Einsatz hat. Im Falle J.D. Edwards würde ich bei weitem nicht diese Synergieeffekte sehen.

Diese Betrachtung ändert jedoch nichts daran, dass ein Zusammengehen von Peoplesoft und J.D. Edwards auch sinnvoll wäre. Die Vorteile dieser Konstellation sind ja in der Öffentlichkeit bereits hinreichend gewürdigt worden: Beide Firmen hätten zusammen mehr kritische Masse, außerdem würden sich Marktpräsenz und Produkte sehr gut ergänzen.

CW: Sie hatten es schon angesprochen: Der lachende Dritte in der Übernahmeschlacht zwischen Oracle und Peoplesoft könnte SAP sein.

Montgomery: Unter Umständen ja. Ich glaube zwar, dass SAP trotz seiner groß angekündigten Marketing-Kampagne nicht allzusehr von der momentanen Verunsicherung der Peoplesoft- und J.D. Edwards-Kunden profitieren wird. Mittelfristig könnte sich das aber ändern - wenn es Oracle nicht gelingt, ein zum Angebot der SAP wirklich alternatives Produktkonzept zu entwickeln. Spätestens dann hat Larry Ellison wieder die Probleme, die er jetzt womöglich bei einem Merger zwischen Peoplesoft und J.D. Edwards auch hätte - nämlich die Erkenntnis, dass er im ERP-Markt hoffnungslos ins Hintertreffen geraten ist. Bei der SAP sollte man sich aber umgekehrt auch nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wenn Oracle mit Hilfe der Peoplesoft-Tools zu einem ernsthaften Applications-Anbieter avanciert, interessiert es in zwei Jahren niemanden mehr, dass Oracle Peoplesoft im Zuge einer feindlichen Übernahme geschluckt hat. Die Anwender haben ein kurzes Gedächtnis.

CW: Zum Schluss noch eine prinzipielle Frage: Sind Merger in der Softwarebranche überhaupt sinnvoll?

Montgomery: Es gibt das berüchtigte Beispiel von Computer Associates (CA), das in den 90er Jahren Dutzende von Firmen gekauft hat, von den betroffenen Mitarbeitern und Produkten man kurze Zeit später aber meist nicht mehr viel gesehen hat. Brutale Marktbereinigung also. Umgekehrt lässt sich aktuell ein Softwareunternehmen wie SSA finden, das ebenfalls sehr aktiv bei Zukäufen ist, es aber offenbar schafft, auch mit einem immer größeren Produktportfolio und Mitarbeiterstamm profitabel zu arbeiten.

Das Ergebnis der meisten Übernahmen in der Softwareindustrie - auch ein Merger von Oracle und Peoplesoft - dürfte sich irgendwo in dieser Bandbreite bewegen. Die eigentlichen Verlierer sind neben den freigesetzten Mitarbeitern immer die Kunden der betroffenen Firmen. Diesbezüglich ist aber in der Softwarebranche ohnehin Schlimmes zu befürchten: Die Konsolidierung und damit letztlich Monopolisierung der Anbieterszene scheint unaufhaltsam. Nennen Sie mir außer i2 und Siebel sowie dem einen oder anderen Business-Intelligence-Lieferanten noch einen ernstzunehmenden Spezialisten im Bereich der Unternehmenssoftware. (gh)