IBMs Chairman: Der letzte Kaiser? (Teil 1)

Eine Retrospektive: John Akers sechs Jahre Regent von Big Blue

27.03.1992

Selten gab es ein Unternehmen, das nicht nur seine eigene Branche, sondern lange Zeit auch seine Kunden so eindeutig beherrscht hat wie die IBM. Seit mehreren Jahren aber geht der einst unschlagbare Goliath aus keinem Kampf um Marktanteile mehr unverwundet hervor. Bob Djurdjevic, Gründer und Präsident des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Annex Research, ist der festen Überzeugung, daß der derzeitige Chairman und CEO der IBM, John Akers, an der blauen Misere nicht schuldlos ist.

Er wirft ihm und seinem Management-Team vor, daß ihnen Führungsqualität, visionäre Kraft und Gespür für technische Trends fehle. Die von Djurdjevic im letzten Jahr verfaßte Akers-Retrospektive veröffentlicht die CW mit freundlicher Genehmigung von Annex Research*. Der vorliegende Teil - insgesamt sind es drei - beschäftigt sich zum einen mit der Lücke, die zwischen den offiziellen Verlautbarungen des IBM-Managements und den tatsächlichen Leistungen von Big Blue klafft. Zum anderen wird Akers in seiner Funktion als CEO einer kritischen Würdigung unterzogen.

Wachstum versprochen - Rückgang gemeldet

Ende April 1991 stellte ein namhafter New Yorker Finanzier uns eine ungewöhnliche Frage: "Angenommen, der IBM-Board wollte Sie als Sonderberater für Strategiefragen oder ähnliches anwerben ... Angenommen, man riefe Sie herbei, gäbe Ihnen einen Scheck und sagte Ihnen, Sie sollten ihn selbst ausfüllen. Würden Sie es tun?" Was für eine weithergeholte Frage, dachten wir und antworteten laut: "Unter Akers würde das niemals geschehen." "Ich weiß, ich weiß ... Aber nehmen wir einmal an, es geschähe doch", ließ unser Kunde nicht locker, "würden Sie es tun?"

Unsere Antwort ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß die Frage überhaupt gestellt wurde; daß es eine Persönlichkeit von Rang und Namen war, die sie stellte; daß diese Unterhaltung stattfand, eindeutig bevor der inzwischen berühmte Ausbruch Akers' (der Verweis an seine Manager) öffentlich bekannt wurde. Die Frage wies darauf hin, daß, wenn in den Augen dieser Person der IBM-Board den Rat eines Außenstehenden gebrauchen konnte, etwas mit den Strategien der Insider nicht stimmen konnte. Und zwar so sehr nicht stimmen konnte, daß es einen Blankoscheck wert war!

Dennoch würde man niemals zu diesem Eindruck gelangen, wenn man den öffentlichen Erklärungen einiger Angehöriger des IBM-Boards Glauben schenkt. Irving Shapiro zum Beispiel, früherer IBM-Aufsichtsrat, meinte unlängst in einem "Business-Week"-Interview: "Ich begrüße, was die IBM tut. Die Frage ist nur: Wie produktiv ist es?" Laut Richard Lyman, Veteran des IBM-Boards (seit 1978) und vormaliger Präsident der Stanford University, genießt Akers "das volle Vertrauen des Boards".

Es würde vielleicht nicht überraschen, vernähme man derartige Vertrauensvoten aus dem Munde ehemaliger und derzeitiger Mitglieder des Board of Directors im Zusammenhang mit Akers Bemerkungen auf der IBM-Jahreshauptversammlung Ende April '91. In einer Rede in Kansas City teilte der IBM-Vorsitzende seinen Aktionären einmal mehr mit, daß das Unternehmen "weiterhin in Wachstum investiert", daß er und sein Team "das Geschäft mit Umsicht leiten, um zunehmend attraktivere Gewinne zu erwirtschaften".

Das klingt gut. Doch versprach Akers damit den Aktionären nicht zum ersten Mal Wachstum und hatte gleichzeitig Rückgänge zu vermelden. Genau genommen hat er dies in seiner sechsjährigen Regierungszeit als IBM-Chef immer wieder mal getan (siehe Teil II - ein historischer Rückblick auf Akers' Jahre). Beispielsweise verhieß er 1985 auf der Jahreshauptversammlung in Atlanta (seiner ersten als Chairman) den Aktionären ein Jahr "soliden Wachstums". Kaum sechs Wochen später nahm er seine Prognose zurück und sagte einer Gruppe von Finanzanalytikern im New Yorker IBM-Quartier von Yorktown Heights, dieses "solide Wachstum" werde nicht eintreten. Da Akers zu jenem Zeitpunkt als Chairman noch ein Greenhorn war, konnte man versucht sein, ihm etwas Zeit zu geben. Jetzt, da er den Job über sechs Jahre macht, ist sein Vertuschen der Probleme nicht mehr akzeptabel, ebenso wie sein offensichtlich "doppelzüngiges Gerede".

Zum Beispiel wissen wir jetzt, daß Akers' Ausbruch vor Vertretern des mittleren IBM-Managements nur wenige Tage vor der IBM-Jahreshauptversammlung stattfand. Und? "Es ist nicht zum Lachen, daß unsere Aktien 25 Prozent unter Nennwert stehen. Und es ist nicht zum Lachen, ein Unternehmen ohne Wachstum zu sein ...", so Akers vor den IBMern. "Die Aktionäre sind unzufrieden, und ich kann es ihnen nicht verübeln." Man sollte daher meinen, daß er und die Directors, die als Repräsentanten der Aktionäre bezahlt werden, öffentlich genauso empfinden würden. Schließlich gibt es doch nur eine IBM, oder?!

Man bedenke: Akers hatte sein Management-Team zusammengestaucht: "Wo sind meine Umsätze für die zusätzlichen 5000 Leute? Wann kommt endlich etwas rüber? Was zum Teufel tun sie für mich?" Und nur wenige Tage später sagte er den IBM-Aktionären: "Die Schwierigkeiten, mit denen wir es zu tun haben, lassen erkennen, daß die IBM ein starkes Unternehmen ist und daß es um unsere Leute, die Qualität unserer Ressourcen nie besser bestellt war." Donnerwetter! Möge die wirkliche IBM sich bitte erheben!

Die beiden in dem "Business-Week"-Artikel zitierten Vertrauensvoten der IBM-Directors versetzen den interessierten Beobachter deshalb in Erstaunen, weil sie geäußert wurden, nachdem Akers seinen Ausbruch hatte, nachdem IBM eine erschreckende Bilanz für das erste Quartal abgeliefert hatte, und nachdem das Unternehmen die Dekade mit den schlechtesten Ergebnissen in seiner 78jährigen Geschichte hinter sich hatte. Daß die Mitglieder des IBM-Boards ganz offensichtlich Akers' Statements übertünchen, und dies trotz seiner unerfüllten Versprechen, wirft die Frage auf, ob nicht der gesamte Board selbstgefällig ist? Und ob die Offiziellen der Aktiengesellschaft nicht zur Rechenschaft gezogen werden sollten, falls sie (absichtlich?) die Aktionäre getäuscht haben.

Kürzlich führte ein Artikel im "Wall Street Journal" unter der Überschrift "Immer mehr Chief Executives werden von energischeren Boards auf die Straße gesetzt" einige Fälle an, in denen Aufsichtsräte zu guter Letzt im besten Interesse der Aktionäre tätig wurden - aber erst, nachdem "Kontrollbehörden, Aktionäre oder Medien ordentlich Druck gemacht" hatten. Der Bericht kam zu dem Schluß, daß es "selbst den hartgesottenen Aufsichtsräten gewöhnlich an Zeit, Information oder Sachkenntnis fehlt, dem Management entgegenzutreten". Nun, den Mitgliedern des IBM-Boards wird es zumindest an einer der drei fehlenden Zutaten nicht mangeln.

1987 war das "Jahr des Kunden"

Wie aus der von uns erstellten "Report Card" von Akers hervorgeht, schnitt der IBM-Chairman in puncto Manager-Qualitäten gut ab (Gesamtbewertung B). Eine seiner größten persönlichen Stärken ist seine Fähigkeit, ein Ziel klar zu umreißen und es den Tausenden von IBMern zu vermitteln. Sie brachte ihm eines von drei A in seiner Leistungsbeurteilung ein.

Ein klar umrissenes Ziel gab er beispielsweise 1987 aus, als er das "Jahr des Kunden" deklarierte. Trotz einiger gezielter Attacken seitens der Konkurrenz - DEC beispielsweise meinte, "bei DEC ist jedes Jahr das Jahr des Kunden" - bewies Akers seine Qualitäten und erklärte den IBM-Mitarbeitern in klaren und knappen Worten die Notwendigkeit, den Blick wieder nach draußen zu richten. Übrigens besteht in diesem Fall Übereinstimmung mit seinen Ansichten zu Beginn seiner Zeit als IBM-Chairman. In einem Interview mit der "New York Times" im Januar 1985 sagte er, voraussichtlich werde er viel Zeit in "äußere Angelegenheiten" investieren.

Akers stellte seine Befähigung 1988 erneut unter Beweis, als er den IBMern dringend nahelegte, ihre Gedanken von den IBM-Produkten auf die Kunden-"Lösungen" zu lenken. Man könnte also 1988 mit Fug und Recht als "das Jahr der Lösung" betiteln - wie damals in einem unserer Comprehensive-Market-Service-Bulletins (CMS) auch geschehen.

Es war außerdem das Jahr, in dem Akers sich das zweite seiner drei A verdiente - für organisatorische Effizienz nämlich. Im Januar jenes Jahres brach er die äußerst zentralisierte IBM-Führungshierarchie auf, indem er die "Lines of Business" (LOB) schuf und ihren Chefs größere Machtbefugnis verlieh.

Auch teilte er seinen oberen Führungskräften mit, daß sie damit rechnen könnten, ihre Positionen viel länger als bisher zu behalten. Damit sorgte er für mehr Kontinuität. Außerdem ermutigte er die IBMer zu globalem Denken, was den internationalen Segmenten zu mehr Mitsprache bei der Entscheidungsfindung verhalf.

Akers erhielt das dritte seiner drei A für sein "Commitment to excellence", seine Verpflichtung zu Spitzenleistungen. Die Ergebnisse der von ihm eingeleiteten Veränderungen - Kundenorientierung, globale Lösungen und die Verpflichtung zu hohem Standard - wurden Ende 1990 deutlich sichtbar. Um IBMs "marktgesteuerte" Produktlinien schien es so gut bestellt zu sein wie nie zuvor! IBMs Entwicklungs- und Produktionsstätte für die AS/400 in Rochester erhielt für ihre hervorragenden Leistungen sogar den Malcolm-Baldridge-Preis.

Verkaufstalent: nur eine der Voraussetzungen

Übrigens haben Akers' drei A eines gemeinsam: Sie sind Markenzeichen eines guten Verkäufers, weshalb Akers den Job in erster Linie auch bekam. Wie sich aber aus seinem restlichen Beurteilungsblatt ablesen läßt, ist Verkaufstalent nur eine der Voraussetzungen, die ein erstklassiger CEO mitbringen muß.

Im großen und ganzen erfüllten Akers' Management-Entscheidungen in unseren Augen das Kriterium "gesunder Menschenverstand". Daher bewerteten wir seine Leistungen in diesem Punkt mit einem B.

Danach geht es auf Akers' "Report Card" nur noch bergab, also weg vom A. Selbst innerhalb der Kategorie der Manager-Qualitäten, in der er am besten abschnitt, zeigte er wenig Weitblick in puncto Branchentrends oder IBMs Produktstrategien. Man denke nur an das Fiasko mit der Umstellung vom Miet- auf das Kaufgeschäft, den Schlamassel mit den Midrange-Produkten Mitte bis Ende der achtziger Jahre, die verspätete Einführung des PS/2-Rechners, den nur mit Strampeln und Zetern unter dem Druck der Marktnachfrage vollzogenen Schritt in die Unix-Welt.

Intoleranz gegenüber anderen Ansichten

In bezug auf Führungsqualitäten erzielte Akers ein glattes F. Führen wir uns nur sein stures Festhalten an der No-Lay-Off-Politik vor Augen. Als das Unternehmensschiff unter der Last seiner SG&A-Kosten (Selling, General and Administrative) Schlagseite bekam - 1990 lagen sie bei 20,7 Milliarden Dollar -, brüstete Akers sich vor seinen Aktionären mit dem Abbau von 14 000 Arbeitsplätzen von "400 Millionen Dollar im kommenden Jahr und 600 Millionen Dollar bis 1993 und darüber hinaus" bringen würde. Allerdings machen 400 Millionen Dollar nur 1,9 Prozent der SG&A-Kosten (von 1990) aus.

"Die Überbringer schlechter Botschaften werden erschossen" - so umschrieb ein IBM-Mitarbeiter Akers' Intoleranz gegenüber anderen Ansichten. Seine beständige Weigerung, (konträre) Standpunkte Außenstehender zu berücksichtigen, unterstreicht eben jene Arroganz, die er nach eigener Aussage gerne aus der IBM entfernt wissen möchte.

Als Chef kein Naturtalent

Was seine Fähigkeit, andere zu motivieren, seine Verantwortlichkeit (also sein Team-Bewußtsein) oder PR-Erfolge betrifft, machte sein Ausbruch lediglich nach außen hin deutlich, was intern schon länger zu beobachten und zu spüren war: daß Akers sich in keinem dieser Punkte unbedingt hervortut.

In puncto Finanzentwicklung erhielt der IBM-Chef für drei von vier Kriterien ein F. Die Tatsache, daß der IBM-Aktienkurs seit Akers' Inthronisation als Chairman um 23 Prozent absackte, während der Dow Jones im gleichen Zeitraum um 194 Prozent stieg, bedarf keines weiteren Kommentars. Gleichermaßen enttäuschend sind die übrigen IBM-maßgeblichen Bewertungskriterien wie Reingewinnänderung, Eigenkapitalrendite oder Marktanteilgewinne beziehungsweise -verluste.

Ein wirklicher Teamführer ist immer ein paar Schritte voraus. In schwierigen Zeiten muß er seine Spieler unterstützen. In Erfolgszeiten sind "Tritte in den Hintern" angebracht, damit sich keine Selbstgefälligkeit breitmacht. Es wird wohl niemandem verborgen geblieben sein, daß die IBM derzeit schwere Zeiten durchmacht, daß die Leute "down" sind. Trotzdem hielt Akers den Zeitpunkt für gekommen, einigen von ihnen einen Tritt zu verpassen. Daß er für seine rüden Äußerungen diesen Augenblick wählte, beweist, daß ihm das Gefühl für seine Führerschaft abgeht und er kein Naturtalent ist.

Schlimmer noch: Akers verpaßte die Gelegenheit zum Handeln, als er 1985 den Vorsitz übernahm. Damals bescheinigten wir ihm für fehlende Bereitschaft, sich von seinen Vorgängern zu distanzieren, einen "Mangel an politischem Gespür". Akers verlor im vergangenen Jahr seinen wichtigsten Hintermann im Board. Gemeint ist der Mann, der ihn eigentlich zum CEO machte - Frank Cary. Der vormalige IBM-Chairman feierte seinen 70. Geburtstag und ging in den Ruhestand. John Opel, Akers' Vorgänger als Chairman, bleibt noch etwa vier Jahr im Board, doch soll er nicht sehr rührig sein. Das gleiche gilt für den anderen ehemaligen IBM-Manager, Nicholas Katzenbach. Somit sieht sich Akers im Board neben den beiden von ihm selbst aus dem Unternehmen Rekrutierten - Jack Kuehler und Frank Metz - 13 Outside Directors gegenüber.

Mit anderen Worten: Akers hätte keine Chance, kämen diese Externen zu dem Schluß, daß es an der Zeit sei, ihre Pflichten gegenüber den Aktionären ernst zu nehmen. Andererseits müßten diese schon stark unter Druck stehen, wollten sie - bislang zum ersten Mal - hart vorgehen. Der Welt größter Computerhersteller dürfte auch weiter für Aufregung gut sein.