IT im Handel/Welcher virtuelle Marktplatz bringt den größten Nutzen?

Eine Online-Filiale ist für jedermann erreichbar

19.09.1997

Mitte August meldete die Electronic Mall Bodensee http://www.emb.de , daß "die 1000er Grenze überschritten" sei. Daniel Hänni, Projektmitarbeiter am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule St. Gallen, die gemeinsam mit der Universität Konstanz den ältesten deutschsprachigen regionalen Markt betreut, definiert das Ziel: "Wir wollen die gesamte Region abdecken." Er führt den Erfolg des Dreiländerangebots auf zwei Faktoren zurück: "Man kennt sich; die Anwender haben Vertrauen zu den Anbietern." Dieses Potential wird inzwischen von so manchem Händler über die Südwestecke hinaus genutzt. Die Breite reicht vom Büroausstatter bis zum Metzger, vom Arbeitsamt bis zum Zahnarzt.

Die zweite Säule des Erfolgs beruht laut Hänni auf der einfachen Bedienerführung. "Mit zwei bis drei Klicks muß der Anwender beim Angebot sein." Auf überfrachtete Grafik wird verzichtet, niemand braucht einen hochauflösenden Bildschirm, um die Angebote in voller Pracht genießen zu können.

Auch in einer wirtschaftlich schwachen Region etabliert sich ein virtueller Markt. Andrea Wilbertz, Geschäftsführerin des Vereins Pro Baltica Forum, zu dessen Mitgliedern Firmen aus Finnland (Nokia), aus Deutschland (Siemens) oder der Schweiz (Reiter) gehören, stellt eine nordöstliche Internet-Meile für März nächsten Jahres in Aussicht. Der gemeinsame Auftritt politischer Institutionen und privater Firmen soll wirtschaftlich das bewirken, was politisch noch nicht realisierbar ist. Die EU favorisiert Estland, außen vor bleiben vorerst Lettland und Litauen. Die drei baltischen Staaten werden ihre Leistungen und Produkte aber unter einer Internet-Adresse anbieten. Das Design übernahm die Gruppe Geomedia an der Ruhr-Universität Dortmund.

Nach einer Untersuchung des "Wall Street Journal", das 200 Unternehmen in Europa zum Nutzen der Internet-Anbindung für sie befragte, steht die Gewinnerhöhung an letzter Stelle mit 12 Prozent. Wesentlich wichtiger sind "besseres Image" (71 Prozent), "höhere Effizienz" (57 Prozent) und "bessere Qualität" (50 Prozent).

Wie groß das Interesse kleinerer deutscher Unternehmen an einem Internet-Auftritt ist, wird aus folgendem ersichtlich: Am 13. Mai 1997 erschienen im "Bundesanzeiger" die "Richtlinien zur Förderung der kommerziellen Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken durch kleine und mittlere Unternehmen". 4,6 Millionen Mark sollten ein Jahr lang bereitstehen für die Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen, die noch nicht online sind, pro Betrieb maximal 4600 Mark. Doch schon Ende Juni war der Etat erschöpft. Berater ist zum Beispiel die Passauer Internet-Services. Herbert Karosser, einer der drei Macher, reagierte auf eine Fax-Anfrage nach den Inhalten der Beratung mit Schweigen. "Das macht Arbeit", wehrte er auf telefonisches Nachhaken ab. Service?

Wer mit von der Partie war, kann von Glück reden, denn die Auswertung der Fragebogen ist laut Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn, der mit der Durchführung betrauten Behörde, nicht vor Mitte 1998 zu erwarten. Ob Bonn danach eine Neuauflage startet, steht in den Sternen.

Die Qual der Wahl bleibt

Das Internet bietet dem Anwender die Chance, Preise und Leistungen zu vergleichen. Eine Liste aller in Deutschland existierenden Online-Einkaufsmöglichkeiten gibt es jedoch nicht. Die Multimedia Internet Services von Stefan Faust versucht, den Atlas zu ordnen. Finanziert über Werbung, schreibt Geschäftsführer Faust nach fünf Monaten schwarze Zahlen.

Im Gegensatz zu vielen Marktplätzen, Kaufhäusern und Solo-Auftritten, die über die Frankfurter http://www.shoppingservice.com erreicht werden, weist die Homepage strukturierte Informationen auf. Sortiert nach Branchen, Kauf- und Versandhäusern, regionalen Plätzen, Online-Shopping-Sites anderer Dienstleister wie Altavista und allgemeinen Informationen führen die Links zu Themengruppen wie Herrenbekleidung beziehungsweise direkt zu Quelle & Co. Die Rubrik "Hard- und Software" fehlt. Knapp 750 Anbieter offerierten Ende August ihre Waren. Faust räumt ein, daß längst nicht alle Business-to-Consumer-Händler gelistet sind, unter anderem weil der Anbieter, will er "gelinkt" werden, auf die Frankfurter zugehen muß und beurteilt wird.

In Rom und Florenz flanieren

Fast die vierfache Anbieterzahl mit 2800 Links weist der Bergisch Gladbacher Service Übermorgen Online http://www.shop.de auf. Business-to-Business- und Branchendienste sind rubriziert.

Eine Karte für regionale Wege gibt es allerdings nicht, dafür findet man unter Eingabe des Begriffs "Bayern" zumindest mehr Anbieter als im Shoppingservice. Vom Shoppingservice aus läßt sich zwar in Rom und Florenz flanieren, wer in der Lausitz wohnt, kommt jedoch auch über Shop.de nicht auf den Regionalmarkt http://www.germany.net/region/lausitz/ .

Drei Wege führen bei Business-to-Business zum Erfolg. Erstens: Hat sich ein Unternehmer entschlossen, eine virtuelle Filiale zu eröffnen, stellt sich die Frage nach dem Standort. Soloauftritte für den Business-to-Business-Bereich sind dann erfolgreich, wenn der Anbieter seine Kunden bereits kennt, wie die französische "Superbox", ein Lieferant für Baumärkte. Als Plattform für die Internet-Präsentation und die Vernetzung mit den Händlern dient das IBM-System RS/6000. Laut Ferenc Szelenyi, Manager für Electronic Commerce Solutions bei IBM Europa, spart Superbox inzwischen pro Vertreterbesuch zirka 500 Mark.

Die zweite Lösung ist der Auftritt einer Branche. Über Moda http://www.moda.de stehen bisher 14 Textilfabrikanten mit zirka 100 Einzelhändlern in direktem Kontakt. Für Hans Spitzner, Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium, das mit 2,2 Millionen Mark die Fäden spann, stehen im Vordergrund "kürzere Entwicklungszeiten und schnellere Orderzeiten für die Bekleidungsindustrie und den textilen Einzelhandel". Der öffentlich zugängliche Bereich wartet noch auf den Zuschnitt. Pars pro toto: Im Untertitel "EDV" der Rubrik "Betriebsmittel" findet sich als einzige Nachricht eine Modellagentur. Belebt der Link die Modefarbe Grau?

Sollen Geschäfte zwischen unterschiedlichsten Branchen weltweit getätigt werden, machen die Amerikaner vor, wie es geht: Unter http://www.export.com sind Angebot und Nachfrage stichwortartig beschrieben, mit dem dritten Klick ist man beim Bieter beziehungsweise Sucher. Der Provider Compuserve richtete neben dem erfolgreichen Kaufhaus für den Endverbraucher http://promenade.compuserve.de ein jedem Nutzer zugängliches Business-Center ein http://go.compuserve.de/bcenter/ , das das Cross-Selling erleichtern soll, augenblicklich aber eine Plattform für gezielte Informationssuche bildet.

Auftritt verschlingt sechsstellige Beträge

Im Business-Center "Unternehmen" liegen die Schwerpunkte auf der Planung und Marktforschung. In der von Siemens-Nixdorf geschaffenen Business-Stadt Entropolis (siehe auch CW Nr. 13 vom 28. März 1997, Seite 41) zahlt bisher nur ein Kunde in den nur registrierten Nutzern zugänglichen Häusern Miete: der Münchner Büro-Ausstatter Kaut-Bullinger. Das ist immerhin ein Beginn, weil jede Branche die Artikel dieses Händlers braucht und er wiederum auf Informationen verschiedenster Hersteller bis hin zum Finanzdienstleister angewiesen ist.

Solo, im Kaufhaus, branchenbezogen oder regional? So lauten die Fragen. Für KMUs dürfte sich der Solotanz nur dann rechnen, wenn der Firmenname oder einzelne Produkte zum Markennamen avancieren. Ein gelungener Auftritt verschlingt sechsstellige Beträge.

Ohne staatliche Hilfe entstand das für alle offene deutsche Designhaus http://www.designhouse-europe.com . Die internationale Plattform für Möbelhersteller, Architekten, Künstler, Handwerker und Händler basiert auf der IBM-Groupware Lotus Notes Domino, die den schnellen Austausch untereinander garantieren soll.

In naher Zukunft ist geplant, daß der Verbraucher die online georderten Waren auch online begleichen kann.

Eine riesige Auswahl an Soft- und Hardwareprodukten bietet der Computerwoche-Verlag. Auf einer CD-ROM erhält der Nutzer offline vom Produktvideo bis hin zum E-Mail-Link online Informationen jeder Art. Der Internet-Katalog http://www.cwsoftware.de kann vom Anbieter jederzeit per E-Mail aktualisiert werden. Thomas Steger, Verkaufsleiter Neue Medien, weist auf den 30. September für ein Update zur Münchner Systems hin. In keinem Warenhaus dürfte der Produktvergleich so einfach und so umfassend möglich sein.

Kaufen kann der Kunde dann im Online-Kaufhaus. Mit beeindruckenden Zahlen wartet Ragnar Nilsson, Multimedia-Direktor der Karstadt AG, auf. Zwar verrät er nicht, wie hoch der Umsatz pro Bestellung der 1,6 Millionen Besucher ist, die in den ersten zehn Monaten die Tür zu My-World http://www.my-world.de öffneten, aber "wir bieten ein Vollsortiment".

12000 Hard- und Software-Artikel gibt es bereits im Regal Multimedia, bei Musik und Video sind es schon 100000. Dem Buchhändler droht demnächst die größte Konkurrenz mit 400000 Titeln. Das Geheimnis liegt im Zugriff auf die Datenbank eines Grossisten. Damit entfällt für Karstadt ein reales Lager. Der ausschließlich virtuell existierende amerikanische Buchladen Amazon führt mehr als 2,5 Millionen Titel.

Verdächtig eng an My-World angelehnt ist der Name My-Shop http://www.my-shop.de , aber nur der Name, denn trotz gemeinsamem Sammelkorb wird unterschiedlich kassiert. "Bayern hat mit My-Shop deutschlandweit das größte Einkaufszentrum mittelständischer Einzelhändler im Internet", konstatierte Staatssekretär Spitzner beim Start am 30. Juni. Projektleiter Andreas Platzer von der Münchner BBE-Handelsberatung ist stolz darauf, im Branchenmix Händler gewonnen zu haben, die bis dato nicht einmal einen PC hatten. Auch Kaut-Bullinger präsentiert hier seine Waren. Ein Link des Händlers in Entropolis, der auf My-Shop führt, fehlt jedoch. Die Adresse für den Verbraucher taucht auch sonst kaum auf. Denn wie die meisten Suchmaschinen kennen sie My-Shop nicht einmal.

Online bestellen - online bezahlen

Ein ganzes Land will seine Produkte auf einer einzigen Mall vermarkten: Monaco http://www.monaco/shopping.mc . Aufbauend auf IBMs Net.Commerce, starteten 30 der 200 Unternehmen die Initiative. Neben Luxusartiklern gehört die Post dazu mit Sondermarken zur 700-Jahr-Feier für Sammler in aller Welt.

Den eigentlichen Run auf My-Shop erhofft sich Platzer wegen der sicheren Bezahlmöglichkeit. Er wartet auf die Zertifizierung der Version 1.0 des Secure Electronic Transaction Standard SET. Karstadt führt als erster Anbieter den jetzigen 0.9-Standard vollständig durch. Basis für das sichere Bezahlen per Kreditkarte bildet die IBM-Software Commerce Point Till.

Kleine Einzelkämpfer haben es schwer

Die Commerzbank, die als letzte der Großbanken ihren Kunden Online-Banking nicht nur über T-Online, sondern auch im Internet bieten wird, ist eine der an My-World beteiligten Banken. Als nächstes erleichtern laut Projektleiter Thorsten Korell die Frankfurter Banker das Einkaufen per Kreditkarte bei fünf Händlern auf der Bodenseemeile - allerdings auch dann ohne Sammelkorb.

Fazit: Nur wenn der Nutzer den Anbieter im Netz findet, macht ein Online-Auftritt Sinn. Kleine Einzelkämpfer haben es schwer, wahrgenommen zu werden. Branchen- oder Regionalmodelle, bei denen jeder Anbieter die gemeinsame Internet-Adresse in sämtlichen Marketing-Maßnahmen wie Printanzeigen, Broschüren, Radio- und TV-Spots veröffentlicht, schaffen Synergie-Effekte. Für KMUs gilt: Internet ja, aber nur gezielt mit Gleichgesinnten oder auf einem spezifizierten Markt. Das verringert zudem die Einstiegskosten und erhöht die Anzahl der Klicks über Suchmaschinen.

ANGEKLICKT

Eine Homepage ist noch keine Online-Filiale für Endkunden, doch können sich auch kleine Anbieter Internet-Präsenz in einer "Mall" leisten. Für den Business-to-business-Kontakt gibt es drei Wege: Kennt man seine Kunden, ist eine einzelne virtuelle Filiale lohnend. Sucht man jedoch kontinuierlich Abnehmer innerhalb seiner ge- samten Branche, so sollte man deren übergeordnete Internet-Aktivitäten nutzen. Will man weltweit agieren, so ist der richtige Link entscheidend, zum Beispiel unter http://www.export.com.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.