MEHRPLATZ-SYSTEME

Eine neue Rolle für eine altbewährte Rechnergattung

06.09.1991

Mitten im Rummel um Client-Server-Architekturen fallen zwei Gruppen von Leuten auf, die die Idee, PCs oder Workstations die Server-Rolle in einer solchen Architektur zu übertragen, völlig kalt läßt: Anbieter und Besitzer von Minicomputern, die ihre vorhandenen Ressourcen lieber noch eine Weile nutzen möchten.

Ein Beispiel dafür ist Lee Bockhorst, Leiter der technischen Forschung bei der Central Area Data Processing Cooperative in der Nähe von St. Louis, einem Unternehmen, das Systeme und Dienstleistungen für eine Gruppe von Versorgungsunternehmen im ländlichen Raum verwaltet. Bockhurst benutzte Vernetzungssoftware von Unisys und bestehende Kommunikationsverbindungen, um die Unisys-U6000-Minicomputer der Kooperative zu Servern zu machen. Seinen Aussagen zufolge war der Übergang insgesamt relativ einfach zu bewerkstelligen: "Wir sind praktisch mit der Zeit hineingewachsen, weil die Anwender ein immer größeres Interesse daran zeigten, mit ihren PCs und LANs auf unsere Daten zugreifen zu können", sagt Bockhurst.

"Wir hatten das System bereits installiert und sehen keinen Grund, es jetzt wieder aufzugeben." In einer Zeit eingeschränkter Budgets ist die Möglichkeit, bestehenden Minicomputer-Ressourcen einen Zusatznutzen abzugewinnen, ungemein attraktiv. Mit Unterstützung der Anbieter machen Firmen die Erfahrung, daß sie auf den Kauf eines zusätzlichen Servers, und sei es ein Low-cost-PC-Server, verzichten und so Ressourcen für Software und Vernetzung freistellen können.

Fragt sich, ob ein Minicomputer im Vergleich zu kleineren Maschinen als LAN-Server tatsächlich die bessere Wahl ist. Lohnt es sich womöglich sogar, ihn bei einer anstehenden Neuanschaffung einem PC oder einer Workstation vorzuziehen? Laut Business Research Group, einem Marktforschungsunternehmen aus Newton im US-Bundesstaat Massachusetts, scheint eine größere Anzahl von Anwendern dieser Meinung zu sein. Im Rahmen einer kürzlich durchgeführten Studie äußerten 31 von 100 befragten DV-Managern die Absicht, in Zukunft Minicomputer als LAN-Server einzusetzen.

Vor allem den Anbietern von Minicomputern kann das nur recht sein. Sämtliche Firmen von Rang und Namen unternehmen zur Zeit konzertierte Anstrengungen, um ihre klassischen Terminal-Host-Minicomputer umzukonfigurieren und als Hochleistungs-Server für die sich ausweitenden Netzwerkinstallationen ihrer Kunden am Markt zu positionieren. Neuere Entwicklungen wie DECs VAX 4000 und Hewlett-Packards aktuelle 3000er und 9000er Systeme weisen wesentlich verbesserte E/A-Leistungen auf und können ab Werk mit Server-Software und PC-Vernetzungsoptionen konfiguriert werden. Außerdem sind für diese Systeme keine Multiuser-Lizenzen oder andere typische Komponenten traditioneller Minicomputer-Installationen mehr nötig.

Gleichzeitig haben PCs zweifellos nach wie vor bessere Karten als ihre größeren Vorgänger, auch wenn diese jetzt im Jogginganzug auftreten. PCs sind leichter zu installieren, sie sind zunehmend in der Lage, kritische Anwendungen zu verarbeiten, und kostengünstiger in Anschaffung und Unterhalt. Trotzdem könnten Minicomputer eine eingehendere Betrachtung wert sein. So geben sich zum Beispiel Anbieter wie DEC und HP größte Mühe, Minicomputer-Umgebungen, die notorisch als schwer konfigurier- und wartbar gelten, weniger gewöhnungsbedürftig für PC-Anwender zu machen. Außerdem sind Minicomputer besser auf Wachstum vorbereitet als selbst ein 486-PC-Server.

Größere Wachstumsreserven bei Minicomputern

Diese sogenannten Superserver von Herstellern wie Compaq, Netframe Systems und Parallan Computer rücken zwar den prinzipbedingten Wachstums- und Speicherbeschränkungen der PC-Server zuleibe, doch bieten Minicomputer letztendlich größere Wachstumsreserven im Höchstleistungsbereich. Außerdem besteht bei Superservern die Gefahr, Gefangener einer Nahbereichs-Konfiguration zu werden, wo eine unternehmensweite Konfiguration vorzuziehen wäre. Minicomputer sind dagegen auf dem Gebiet der Weitbereichs-Vernetzung besser und bewährter.

Als Server konfigurierte Minicomputer weisen zusätzlich folgende Pluspunkte auf:

- Gute Systemverwaltung,

- Unterstützung vorhandener Multiuser-Anwendungen,

- hochqualifizierter Kunden- und Wartungsdienst,

- höhere Fehlertoleranz.

Über den proprietären Tellerrand hinaussehen

Fehlertoleranz und ein Systemverwaltungsangebot sind schön und gut, allerdings handelt es sich dabei um herstellen, spezifische Lösungen. Anwender, die sich ernsthaft für Minicomputer als Server interessieren, sollten aber über den proprietären Tellerrand hinaussehen und vor allem die Vernetzbarkeit mit PCs und LANs ins Auge fassen. Genau hier, auf dem Gebiet der Vernetzbarkeit mit vorhandenen PC-Protokollen, müssen die Anbietet, von Minicomputern noch innovativer auftreten. Zumindest HP hat in aller Stille die herstellereigene Datenbank Allbase um die Möglichkeit zur Verarbeitung standardisierter SQL-Datenbankbefehle erweitert. Damit können immerhin fast alle PC-SQL-Produkte mit HP-Minis als Datenbank-Server zusammenarbeiten. Ein anderer Schritt, den Minicomputeranbieter gehen, um ihre Miniserver in vorhandene LANs zu integrieren, besteht in der Unterstützung von Netzwerk-Betriebssystemen wie Novell Netware und Microsoft LAN Manager.

Novells Portable Netware läuft unter DECs VMS-Betriebssystem und unter Unix. Daneben halten HP, Wang Laboratories und Data General Lizenzen des Netzwerk-Betriebssystems, das sie auf ihre eigenen Betriebssysteme portiert haben. Microsofts LAN Manager wurde bereits auf die meisten Unix-Systeme portiert. Die Unterstützung dieser Netzwerk-Betriebssysteme läßt den Minicomputer zum Datei- und Druck-Server im Netzwerk werden, der gleichzeitig noch andere Netzwerkfunktionen wie Server-basierte Datenbankanwendungen unterstützt, sie kann ihn aber auch träge machen: In vielen Fällen wird das Netzwerk-Betriebssystem als Aufsatz auf die systemeigene Umgebung des Minicomputers implementiert.

Preis hinderlich für die Popularität

Ein viel größeres Hindernis auf dem Weg des Minicomputers zur Popularität ist sein höherer Preis. Mehrere Anbieter arbeiten daran, die Preise für ihre Einstiegs-Miniserver wettbewerbsfähiger zu gestalten, sie sind aber immer noch teurer als High-end-PC-Server wie Compaqs Systempro. Immerhin gelang es HP als ersten Anbieter mit seinen neuen RISC-Minis der Serien 3000/900 und 9000/800, die Preise für Einstiegskonfigurationen dieser Rechner in einem entsprechenden PCs vergleichbaren Rahmen festzusetzen.

Minicomputer bieten aber gegenüber PC-Servern einen wesentlich höheren Wiederverkaufswert. Trotz fallender Wiederverkaufspreise sind sie für Leasingfirmen immer noch viel attraktiver als Systeme auf PC-Basis einschließlich Superservern.

Zum einen liegt laut Tony Coppola, Präsident der Firma Computer Products Marketing im kalifornischen Laguna Niguel, der Restwert von Servern auf PC-Basis am Ende des Leasingzeitraums für gewöhnlich sehr niedrig. Zum anderen sehen es Leasingfirmen lieber, wenn ihre Kunden Leasingverträge erneuern - in der Welt der Minicomputer eine gängige Praxis -, anstatt ihnen nach Vertragsende ihre PC-Server zum Wiederverkauf zu überlassen. Sie sind besonders bei der Angabe von Wiederverkaufswerten für Superserver sehr zurückhaltend, da es auf diesem Gebiet noch keine Erfahrungswerte oder sonstige Bewertungsgrundlagen gibt. Zum dritten können Minicomputer als Server oder als Minicomputer wiedervermarktet werden. Unter dem Strich hat der Kunde davon mehr.

Mit anderen Worten liegt der potentielle Wert eines Minicomputers nach Ablauf des Leasingvertrags höher, weil die Leasingfirma das gebrauchte Gerät auf zwei Arten wiederverkaufen kann. Aufgrund dieses höheren Restwertes können Anwender für die Dauer des Leasingvertrages günstigere Leasingraten aushandeln.

Neben der Kostenrechtfertigung sehen sich Minicomputer einem anderen, kurzfristigeren Problem gegenüber: dem Mangel an innovativer Software, die wirkliche Client-Server-Funktionalität bietet.

Tatsächlich begegnen PC-Anbieter bei der Suche nach Anwendungen, die einem Server und einer Workstation das gleichzeitige Abarbeiten verschiedener Teile ein und derselben Applikation ermöglichen, den gleichen Schwierigkeiten. Doch da Minicomputer-Anbieter glauben, sich gerade in diesem Bereich bewähren zu müssen, liegt diese Last schwerer auf ihnen.

Netzwerkweit gemeinsame Funktionsaufrufe

Viele Anbieter von Minicomputern warten sehnsüchtig darauf, daß sich im Bereich der Weitbereichs-Netze Normen ähnlich dem Distributed Computing Environment (DCE) der Open Software Foundation (OSF) herausbilden. Wenn solche Normen netzwerkweit gemeinsame Funktionsaufrufe und Anwendungsprogramm-Schnittstellen (APIs) unterstützen, erlauben sie Entwicklern und Anwendern die Erstellung von Applikationen, die unternehmensweite Rechenkapazitäten und Datenressourcen nutzen.

Derartige Normen würden das Blatt zugunsten der Minicomputer-Anbieter wenden, besonders dann, wenn man ihre früheren Erfahrungen auf dem Gebiet der Weitbereichs-Datenkommunikation und die Tatsache, daß die meisten Minicomputer-Betriebssysteme, einschließlich Unix, Befehle in mehrere Threads aufgliedern können, berücksichtigt.

Mini-User werden den Übergang einfach finden

Während Midrange-Anbieter aggressiv am Servermarkt agieren, schlafen die PC-Anbieter nicht. Viele von ihnen erweitern ihre Systeme mit Maßnahmen zur Förderung der Fehlertoleranz, Netzwerk-Verwaltungsfunktionen und zusätzlicher Speicherkapazität. Ein großer Teil des Leistungsvorsprungs, den Miniserver derzeit bieten, wird auf Dauer nicht zu halten sein, besonders dann nicht, wenn die Anbieter nicht schleunigst ihre Unterstützung von PC- und LAN-Protokollen verbessern.

Dennoch sollte man die aus einer breiten Installationsbasis herrührende Stärke und Erfahrung der Minicomputer-Anbieter nicht unterschätzen.

Vor allem DV-Nutzer, die mit mittleren Systemen vertraut und zufrieden sind, werden den Übergang zur Verwendung dieser Systeme als Server in ihren Netzwerken relativ einfach finden.