Eine königliche Schnittstelle

01.08.1980

ln EDV-Kreisen hält sich hartnäckig das Gerücht, der Endbenutzer (sprich: Kunde) sei König. Er, der König, wird hofiert, indem man mit Hilfe von Dialogverarbeitung, Stapelfernverarbeitung und Terminals die Computerleistung an seinen Arbeitsplatz schafft.

Heute ist alles sehr einfach: Der Benutzer setzt seine Krone auf und betritt würdig seinen Terminal-Raum. Da findet er Bildschirme und druckende Terminals, Stapelfernverarbeitungs-Geräte und Dialogterminals, intelligente und dumme, mit und ohne externe Speicher. Das eine arbeitet mit der 3780-Prozedur das andere mit der 3270, ein drittes mit TTY und ein weiteres mit Paketvermittlung gemäß X.25 der CCITT. Ein wahrhaft königliches Angebot. Trotzdem macht sich in ihm ein gewisses Unbehagen breit: König zu sein, ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Damals muß das irgendwie einfacher gewesen sein.

Eigentlich wollte er ja nur seine Unternehmensplanung machen, oder sein Konzernberichtswesen, oder die Festigkeitsberechnung für ein kompliziertes technisches Bauteil.

Aber dann sind die EDV-Leute gekommen, unaufgefordert und haben ihm von der Glorie der Datenfernverarbeitung erzählt. Daß er seine Arbeit ja heute viel schneller und viel genauer am Terminal in seinem Büro machen kann; daß er sich so von Routinearbeiten befreien und sich mehr seiner eigentlichen, mehr kreativen Aufgabe widmen kann. Schließlich müsse man doch mit der Zeit gehen, und er könne doch seine persönliche Erfüllung nicht darin sehen, mechanische Arbeiten zu leisten, die eine Maschine viel besser und schneller erledigen könne.

Dies alles leuchtete ihm ein. Und die neue Art der Arbeit ließ sich eigentlich auch ganz gut an. Zwar wer sein neues Arbeitsmittel etwas komplizierter, als er zunächst gedacht hatte, aber das würde er mit der Zeit schon in den Griff bekommen.

Schließlich haben es andere Leute auch geschafft, mit einem simplen Terminal umzugehen! Mit einem? An diesem Punkt gab es immer wieder Probleme. Als er sich mit seinem neuen Werkzeug gerade angefreundet hatte und größere Probleme in Angriff nehmen wollte, erklärten ihm die EDV-Leute, daß solche Aufgaben besser und kostengünstiger im Stapelbetrieb zu lösen seien. Natürlich mit einem neuen, größeren und schnelleren Terminal. Dagegen war nichts einzuwenden. Unangenehm war nur, daß er nun ein Terminal für die kleineren Dialogarbeiten und ein anderes für die größeren Stapelarbeiten hatte. Beide waren so verschieden in ihrer Handhabung und der Anordnung ihrer Bedienungselemente!

Damals begann man damit, ihm von unterschiedlichen Prozeduren zu erzählen, von Schnittstellen und Übertragungsgeschwindigkeiten, Wählleitungen und Standleitungen voll- und halbduplex, synchron und asynchron, Polling und Selecting. Das eine Terminal konnte Dies, das andere Das; alles hatte seine spezifischen Vor- und Nachteile.

Irgendwann, als die Terminals immer mehr wurden, hatte er sich dann entschlossen, hierfür einen eigenen Raum einzurichten, seinen Terminal-Raum.

Schließlich, im letzten Urlaub, geriet er ins Grübeln. Er dachte darüber nach, wie sich seine Arbeit in den letzten Jahren verändert hatte. Beschäftigt er sich heute womöglich mehr mit Schnittstellen DFV-Prozeduren und Hardware-Handling als mit seinem eigentlichen Fachgebiet? Ist er vielleicht auf kaltem Wege zum EDV-Spezialisten geworden? Ist die Arbeit, auf die er heute den Löwenanteil seiner Zeit verwendet, wirklich so viel kreativer? Oder hat er etwa nur eine Routinearbeit gegen eine andere ausgetauscht?

Wenn er sich heute in seinem Terminal-Reich umschaut, wird er den Verdacht nicht los, daß die EDV-Leute seine Probleme lösen wollen, ihre eigenen aber gar nicht erst wahrnehmen. Oder sollte es im Zeitalter der Minicomputer und Mikroprozessoren wirklich nicht möglich sein, ein Terminal zu bauen, das weitgehend seine Sprache spricht, die Sprache des Benutzers, und sich gefälligst selbst darum kümmert, welche technischen Erfordernisse bei der Kommunikation mit diesem oder jenem Hardware- oder Softwareprodukt zu beachten sind?

Zumindest in der Blütezeit des Königtums soll es ja so gewesen sein, daß man bis zu einem gewissen Grade auf die Bedürfnisse des Monarchen eingegangen ist. Ob die EDV-Leute da im Geschichts-Unterricht nicht richtig aufgepaßt haben?

Wolfgang Schulte ist Leiter der Vertriebsunterstützung der General Electric Informations-Service GmbH, Köln.

Diese Glosse ist im Juli 1980 in den "MARK III Nachrichten", der Kundenzeitschrift der General Electric Informations-Service GmbH, erschienen.