Workflow/Letzlich mehr Arbeit und mehr Kontrolle?

Eine Herausforderung für alle Betriebsräte

04.09.1998

Hersteller von Workflow-Management-Systemen umwerben ihre potentiellen Kunden vor allem mit dem Argument, daß diese Technik der Steuerung und Bearbeitung strukturierter Abläufe vielfältige Möglichkeiten zur Verbesserung der Geschäftsprozesse und damit zur Effizienz- und Produktivitätssteigerung bieten. Die Produkte reduzierten die Dauer der Vorgänge, machten den Bearbeitungsstand transparent und verbesserten so die Kundenorientierung.

Die betriebliche Realität zeigt allerdings, daß die Ergebnisse oft deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Schon die Einführung erweist sich als langwierig, und die Akzeptanz bei den Mitarbeitern läßt zu wünschen übrig. In dieser Reihenfolge werden meistens Klagen aufgezählt.

Dreht man die Reihenfolge um, kommt man der Realität schon näher. Häufig sind die Mitarbeiter nur unzureichend an der Erhebung und Modellierung von Abläufen beteiligt. Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten bleiben weitgehend ungenutzt. Schon Grundkonzepte der Anwendungen sind deshalb an der Realität vorbei gestaltet.

Die Einführung eines Workflow-Management-Systems bedeutet die Durchleuchtung der gesamten Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens - und meistens auch ihre Neugestaltung. Dies hat Konsequenzen, die in ihrer Tragweite nicht mit den technischen Herausforderungen anderer DV-Projekte zu vergleichen sind. Dieser Prozeß ist nicht nur für das Management und die DV-Spezialisten eine schwierige Aufgabe. Er hat Konsequenzen, die Betriebs- und Personalräte auf den Plan rufen, jedenfalls wenn sie die Gestaltung des Systems im Interesse der Beschäftigten beeinflussen wollen.

Die wichtigsten Risiken bei der Einführung von Workflow-Management-Systemen sehen Betriebs- und Personalräte vorwiegend in drohendem Arbeitsplatzabbau: Botengänge und einfache Datenerfassungstätigkeiten werden entfallen. Außerdem drohen ihrer Ansicht nach Arbeits- und Leistungsverdichtung sowie Dequalifizierung mit entsprechenden Folgen für die Gehaltsstrukturen und den Möglichkeiten der Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Nicht vergessen seien schließlich die Belastungen der Beschäftigten während der Einführung, beispielsweise Streß und Mehrarbeit durch Systemabstürze oder schlichtes Nichtfunktionieren.

Klassische Schutzpolitik der Arbeitnehmervertreter

All dies sind Themen klassischer Schutzpolitik von Arbeitnehmervertretern. Sie bieten ausreichend Gründe, sich in der Betriebsratsarbeit eingehend mit der Einführung eines Workflow-Systems zu beschäftigen und eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung anzustreben. Darüber hinaus besteht allerdings die - nicht weniger wichtige - Chance, die künftigen Arbeitsbedingungen im Interesse der Arbeitnehmer zu gestalten. Man könnte im Unternehmen auch einen durch Mitarbeiterorientierung geprägten kontinuierlichen Verbesserungsprozeß auf den Weg bringen.

Dazu reicht es allerdings nicht, fertigen Hersteller- oder Arbeitgeberkonzepten zuzustimmen oder diese ablehnen zu dürfen. Vielmehr muß die betriebliche Interessenvertretung zu einem sachkundigen Moderator von Beteiligungsprozessen werden.

In der Regel ist die Einführung eines Workflow-Management-Systems so langwierig und komplex, daß es unmöglich ist, bereits im voraus in einer Betriebsvereinbarung alle Einzelheiten zum Systemeinsatz zu regeln. Es empfiehlt sich deshalb ein mehrstufiges Vorgehen.

Zuerst muß sich die Arbeitnehmervertretung sachkundig machen. Dazu muß sie sich von der Unternehmensleitung frühzeitig grundlegende Informationen über das Projekt, seine Hintergründe und zu erwartende Auswirkungen beschaffen. Betriebsräte sollten eventuell an Präsentationen von Systemherstellern in Referenzbetrieben teilnehmen, einen Erfahrungsaustausch mit deren Betriebsräten aufbauen. Gegebenenfalls müssen sie Beratung durch externe Sachverständige (nach Paragraph 80, Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes) in Anspruch nehmen. Frühzeitig über Chancen und Risiken des Projekts informierte Interessenvertreter haben eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber.

Sorgen macht Leistungs- und Verhaltenskontrolle

Eine erste Vereinbarung mit dem Unternehmen sollte sich auf die Vorgehensweise im Entwicklungs- und Einführungsprozeß des Systems beschränken. Dieses Abkommen sollte vor allem die umfassende Information und Beteiligung der Arbeitnehmervertretung sowie der Beschäftigten, Möglichkeiten zur kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse und des Systems, die Bereitstellung ausreichender Zeit, Personalkapazität und anderer Ressourcen regeln.

Eventuell lassen sich bereits zu diesem Zeitpunkt einige Grundsätze oder Leitgedanken vereinbaren: etwa zu Arbeitsorganisation und menschengerechter Arbeitsgestaltung, über Qualifizierungsfragen, zum Datenschutz sowie über das Sorgenkind Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Hieraus könnte später eine präzise Betriebsvereinbarung zum Einsatz des Systems entstehen.

Bei der Erhebung des Ist-Konzepts sollte der Betriebsrat darauf hinwirken, daß Beschäftigte aller Qualifikationsgruppen beteiligt werden. Ihnen muß dafür ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Bereits hier kann es notwendig sein, in Schulungen Grundkenntnisse über Geschäftsprozesse sowie über Zweck und Möglichkeiten von Workflow-Systemen zu vermitteln.

Auch die Bedeutung informeller Bearbeitungswege und kollegialer Kontakte gilt es in der konzeptionellen Phase angemessen zu berücksichtigen. In Unternehmen mit kooperativem Betriebsklima läßt sich das Pflichtenheft mit den Anforderungen an das System möglicherweise durch ein "soziales Pflichtenheft" ergänzen. Dies würde die Anforderungen aus Sicht der Beschäftigten und ihrer Vertretung aufführen.

Bei der Modellierung der Abläufe sollten Betriebsräte möglichst auf die Zusammenführung von Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade achten. Damit ganzheitliche und abwechslungsreiche Tätigkeiten - zum Beispiel qualifizierte Sachbearbeitung - entstehen, sollten Elemente von Planung, Ausführung und Kontrolle integriert werden. Arbeitsvorgänge sollten so gestaltet sein, daß sie eine Kooperation der Beschäftigten fördern.

Die Beschäftigten brauchen Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Es kann nicht Sinn eines teuren Workflow-Systems sein, daß Arbeitnehmer noch öfter die Hierarchie in Anspruch nehmen: etwa zur Bearbeitung von Sonderfällen, zur Reihenfolge der Auftragsbearbeitung, vor der Weiterleitung an Experten oder der Zurückweisung von Aufträgen, zwecks Rückholens bereits bearbeiteter Aufträge etc.

Gruppen, deren Mitglieder gleiche Bearbeitungsrechte haben, können auch selbständig intern die Arbeitsverteilung regeln. Eingriffe von Vorgesetzten in solche Absprachen sollten nur nach Rücksprache mit der Gruppe erlaubt sein. Doch leider ist es nicht einmal selbstverständlich, daß Mitarbeiter jederzeit Verbesserungsvorschläge zum System und zu den Abläufen machen können.

Besondere Aufmerksamkeit sollten Betriebs- und Personalräte bei der Arbeitsgestaltung den - oft neu entstehenden - Arbeitsplätzen in der Scanstelle widmen. Den dort Beschäftigten müssen die Möglichkeiten eines beruflichen Aufstiegs und der Qualifizierung erst einmal geschaffen werden. Ein geeignetes Mittel dazu kann beispielsweise die Verlagerung einfacher Sachbearbeitungstätigkeiten in die Scanstelle sein.

Auch auf die Einbeziehung jener Beschäftigten, die bislang einfache Tätigkeiten der Datenerfassung, der Registratur oder ähnliches verrichten, sollte die betriebliche Interessenvertretung ein besonderes Augenmerk richten. Diese Arbeitsplätze sind extrem gefährdet, und es lohnt sich, frühzeitig darüber nachzudenken, wo sich den Betroffenen neue berufliche Perspektiven im Unternehmen eröffnen könnten. Das erfordert in der Regel geeignete Schulungskonzepte.

Erhebliche Belastungen für die Beschäftigten sind damit verbunden, daß die Einführung eines Workflow-Systems häufig die Umstellung auf nahezu ausschließliche Arbeit am Bildschirm zur Folge hat. Für die Interessenvertreter ist es daher wichtig, die Einrichtung der Arbeitsplätze in puncto Hardware nach dem Stand der Technik und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen mitzugestalten und Pausenregelungen zu vereinbaren. Die Forderung nach ergonomischer Arbeitsumgebung bezieht sich auch auf die Software.

Betriebsräte können sich zur Durchsetzung dieser Forderungen auf das Arbeitsschutzgesetz, die europäische Bildschirmrichtlinie und deren Umsetzung in deutsches Recht beziehen. Wichtig sind die Bildschirmarbeitsverordnung sowie die von der Verwaltungsberufsgenossenschaft erlassenen Sicherheitsregeln für Bildschirmarbeitsplätze im Bürobereich.

Um den Streß, der für die Beschäftigten durch die Einführung entsteht, in Grenzen zu halten und ihre motivierte Mitarbeit zu ermöglichen, sollte genügend Personal vorhanden sein. Zur effektiven Nutzung des Systems brauchen die Mitarbeiter gute fachliche Schulungen, die an ihre Ausbildung und Erfahrungen anknüpfen und ausreichend Übungszeit vorsehen. Zudem sollten die Kurse Grundlagen zur Einordnung der eigenen Tätigkeit in den Gesamtablauf und zur Praxis des betrieblichen Datenschutzes vermitteln.

Die Teilnahme an Schulungen sollte allen Beschäftigten und nicht nur bevorzugten Gruppen offenstehen. Das Angebot von Nachschulungen ist sinnvoll, um Ängste abzubauen, die das Lernklima beeinträchtigen, und um Teilnehmer bei Nichterreichung von Lernzielen möglichst weitgehend zu sichern.

Die Offenlegung der Auswertungen verlangen

In den technischen Möglichkeiten, Bearbeitungsgänge nach den verschiedensten Kriterien zu durchleuchten und damit auch personen- oder gruppenbezogene Leistungs- und Verhaltenskontrollen vorzunehmen, sehen viele Betriebs- und Personalräte eine der größten Gefahren von Workflow-Systemen. Tatsächlich verwenden offenbar viele Unternehmen Systemstatistiken zur Steigerung des Wettbewerbs zwischen den Gruppen und damit zur Erhöhung des Leistungsdrucks.

Daß statistische Auswertungen zwar die Bearbeitungsstände und -zeiten offenlegen, jedoch weder Gründe dafür noch Verbesserungsmöglichkeiten zeigen, scheint für hierarchisch geprägte Unternehmen kein Einwand zu sein. Sie neigen zur Auswertung personenbezogener Leistungsdaten. In solchen Fällen empfiehlt es sich für Betriebsräte, Vereinbarungen zur Begrenzung dieser Möglichkeiten abzuschließen.

Dabei sollten sie sich auf das Bundesdatenschutzgesetz beziehen, den betrieblichen Datenschutzbeauftragten und notfalls externe Sachverständige hinzuziehen. Die gespeicherten Daten müssen dem festgelegten Zweck dienlich sein, und Zugriffsrechte auf personenbezogene Daten sind festzulegen. Möglichst wenig Daten sollten langfristig und zentral gespeichert werden. Wenn schon, dann sollten diese Daten aggregiert und verdichtet sein, um einen unmittelbaren Personenbezug zu verhindern.

Für die Betroffenen müssen Statusabfragen und Auswertungen nachvollziehbar sein. Eine Interpretation der Daten sollte nicht ohne die Betroffenen stattfinden, zumindest gebührt ihnen das Recht auf Kommentierung der Auswertungsergebnisse. Zweckdienlich kann auch eine Vereinbarung sein, wonach nur solche Datensammlungen zugelassen sind, die für den kontinuierlichen Verbesserungsprozeß benötigt und genutzt werden.

Angeklickt

Welche Erfahrungen haben die betrieblichen Arbeitnehmervertretungen bislang mit der Einführung von Workflow-Systemen gemacht? Worauf müssen sie bei deren Einführung achten, und wie können sie den Prozeß sinnvoll mitgestalten? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Fachtagung "Workflow und Groupware qualifiziert gestalten", die Anfang Juli 1998 die Technologieberatungsstelle des DGB Hessen e.V. und das Kooperationsbüro Multimedia und Arbeitswelt der Deutschen Postgewerkschaft in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen und der IG Medien veranstaltet haben.

Jutta Weber-Bensch ist Mitarbeiterin der Technologieberatungsstelle Kassel des DGB.