Token-Ring-Protokoll 802.5 läutete neue Ära ein

Eine gute Netzplanung bedeutet immer auch Investitionsschutz

15.05.1992

Lange Zeit waren sternförmige Netztopologien an der Tagesordnung in deutschen Großunternehmen. Dies änderte sieh erst mit der Einführung der Token-Ring-Technologie durch die IBM. Heinrich Fau läßt ein Stück Netzwerkgesehichte Revue passieren und beschreibt zudem wichtige Anhaltspunkte, wenn es darum geht, in Sachen LAN- und WAN-Komponenten die richtige Entscheidung zu treffen.

Bis vor einigen Jahren verfügten alle Datennetze über eine Baum- oder Stern-Topologie, deren Anfalligkeit jedoch immer wieder Probleme hervorrief. Wurde der Baum abgesägt, kam es zum Totalausfall des Netzes. Bei neueren LAN- und WAN-Strukturen legten Anwender daher besonderes Augenmerk auf die Vermeidung einer Unterbrechung des Hauptstranges und installierten entsprechende Wegeredundanzen, die über eine automatische Backup-Zuschaltung verfügen.

Mit der steigenden Anzahl von Terminals wurden die Netze kontinuierlich ausgebaut und Hochleistungsrechner überwiegend über SNA und Ethernet (CSMA/CD 802.3) vernetzt. Aufgrund der Topologie war es dabei relativ einfach, das Netz ständig um weitere sternförmige Strukturen zu erweitern - wenn man davon absieht, daß die Entfernungen begrenzt waren. Vor allem durch den Einsatz von Lichtwellenleitern (LWL) ließen sich große Datenmengen störungsfrei, schnell und abhörsicher über weite Strecken übermitteln. Die enorme LWL-Bandbreite ermöglichte es zudem, eine Vielzahl unterschiedlicher Daten zu übertragen

Mit der Einführung des Token-Ring-Protokolls 802.5 läutete die IBM eine neue Ära in der LAN-Datenkommunikation ein. Das Token-Ring-Prinzip erscheint auf den ersten Blick recht einfach. Man etabliert einen (Haupt)-Ring, der alle Bereiche eines Unternehmens durchläuft und dadurch ein Backbone bildet. An den entsprechenden Orten wird der Ring über Brücken "angezapft". Hinter den Brücken entstehen wiederum kleinere (Sub)-Ringe. Abhängig vom Bedarf des Anwenders, kann der Backbone eine Datenübertragungsrate bis zu 16 Mbit/s gewährleisten. Darüber hinaus bieten Token-Ring-Strukturen ein hohes Maß an Sicherheit in puncto Totalausfall da bei einer Unterbrechung des Ringes automatisch der Backup-Pfad aktiviert wird und der Anwender dadurch weiterarbeiten kann.

Die häufig vorhandenen LWL-Netze in Großunternehmen waren jedoch aufgrund ihrer sternförmigen Auslegung nur sehr schlecht für eine Token-Ring-Konzeption geeignet. In vielen Fällen kam es daher teilweise zu neuen, diesmal ringförmigen Erschließungen der Unternehmen. Dies war jedoch mit auch mit Ethernet zunächst nicht zu realisieren. Verschiedene Hersteller reagierten jedoch sehr schnell und bieten inzwischen "aktive" Ethernet-Komponenten an, die sich ringförmig schalten lassen.

Bei dieser in der Branche oft als "Krieg der Netzwerktopologien" bezeichneten Grundsatzfrage sind in Anwenderkreisen hauptsächlich zwei Lager auszumachen. Bei den meisten Unternehmen stehen die gewachsenen DV-Strukturen der Verwaltungen (meist IBM-Lösungen) den Produktionsbereichen (DEC-Domäne) gegenüber - also: Token Ring kontra Ethernet. Die Diskussion darüber, welche Topologie letztlich innerhalb eines Netzes zum Einsatz kommen soll, ist jedoch rein akademischer Art. Grund: In der täglichen Praxis des Anwenders sind in der Regel weitaus mehr Möglichkeiten gegeben, als dies angesichts des Streits über unterschiedliche Philosophien zunächst den Anschein hat.

Die meisten Großanwender haben gleichzeitig mehrere Netze installiert - oft mit separaten Verkabelungsstrukturen -, deren gemeinsame Nutzung jedoch nicht möglich ist. Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt hier nicht bei bereits existierenden heterogenen Netzen, sondern vielmehr in Übertragungsmedien, die heterogen nutzbar sein sollen. Das ist jedoch der Knackpunkt: Verschiedene Protokolle setzen ein entsprechendes Transportmedium voraus. So benotigen Token-Ring-Strukturen beispielsweise ein IBM-Kabel Typ 1, Ethernet

hingegen Thick(Yellow)- beziehungsweise Thinwire-Verdrahtungen . Darüber hinaus ist es sehr teuer, jedes Gebäude eines Unternehmens mit einem LAN-Backbone zu erschließen. Das gilt insbesondere für Token-Ring-Topologien. Vielerorts werden daher das Betriebsgelände beziehungsweise einzelne Gebäude oder Etagen über Brücken am Backbone angebunden (sie-

he Abbildung 1). Auf diese Weise ist es zwar notwendig, selbst bei geringster Terminalzahl immer eine Brücke einzusetzen die dadurch aber gleichzeitig aufgebaute Wegeredundanz bietet besten Schutz gegen einen Totalausfall.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wie definiert man einen Totalausfall? Wenn ein Fileserver an einem Subring ausfallt oder bei Baggerarbeiten ein Erdkabel gekappt wird, bedeutet dies nicht in jedem Fall den Netz-GAU. Anders jedoch sieht es beim Ausfall eines Mainframes oder eines Front-End-Prozessors aus. Einige Anwender scheinen dies jedoch nicht entsprechend zu berücksichtigen und bleiben bei ihrer Baum- beziehungsweise Stern-Struktur, stellen auf LWL- oder STP/UTP-Verkabelung um und installieren lediglich eine einzige Rangierstelle. Bei einem völligen Zusammenbruch des Netzes ist dann nicht nur diese ohne Funktion, sondern auch alle Subringe.

Konzeptionsfehler hoben verheerende Folgen

Wie ist also eine adäquate Absicherung zu erreichen? Grundsätzlich kann ein Token-Ring-LAN als eine für sich allein zu betrachtende Stern-Topologie aufgebaut sein. Mit einem Ring-Stern-Aufbau - begrenzt auf wenige Verteilungspunkte - erreicht man bereits ein Höchstmaß an Sicherheit. Dabei können wichtige LAN-Ressourcen wie Brücken und Fileserver an mindestens zwei zentralen Punkten (Verteilerräumen) aufgestellt werden (siehe Abbildung 2). Von diesen aus erfolgt dann die Erschließung der Subringe.

Eine Brücke ist dabei nicht im gleichen Gebäude wie der Subring installiert, sondern an einem dieser zentralen Punkte. Der Verlauf des Ringes beginnt jedoch schon in einem der Verteiler. In Verbindung mit einem zweiten Front-end-Prozessor oder einem anderem Gateway kann das Backbone doppelt ausgelegt werden. Auf diese Weise kann Benutzer das LAN relativ leicht zu überwachen (siehe Abbildung 3).

Im einzelnen sind bei.einer vergleichbaren Konzeption folgende Kriterien erfüllt: Sämtliche Brücken sind schnell erreichbar, im Fehlerfall müssen nur kurze Wege zurückgelegt werden. Die abteilungsbezogenen Fileserver bleiben innerhalb der Systembetreuung. Mehrere Gebäude und Unternehmensbereiche kommen mit einem Subring aus, obwohl sie räumlich getrennt sind, zudem ist ein beliebiges Verschalten einzelner Bereiche möglich. Hinzu kommt eine Brückenersparnis bei einer geringen Terminalzahl pro Gebäude/Unternehmensbereich.

Für diese Art des LAN-Aufbaus sind allerdings mehrere LWL-Fasern als üblich einzuplanen. Dies erweckt jedoch nur auf den ersten Blick den Anschein höherer Kosten. Daß dem nicht so ist, liegt an der deutlich höheren Verfügbarkeit, dem kürzeren Backbone-Verlauf und der größeren Verknüpfungsmöglichkeit unterschiedlicher Topologien. In diesem Zusammenhang ist es durchaus angebracht, auf die Bezeichnung "Ringe" zu verzichten und von "LAN-Segmenten" zu sprechen. Ob sich dahinter dann letztlich Token Ring oder Ethernet verbirgt, ist zweitrangig. Entsprechende LAN-Strukturen sind mit einer standardmäßigen Netzhardware nur schwer zu installieren. Einige Hersteller erkannten den Bedarf und bieten mittlerweile Modularsysteme an, die mehrere Topologien unterstützen. So kann eine Modularbox mehrere Ring- beziehungsweise Ethernet-Segmente versorgen. Der Platzbedarf im Verteilerschrank ist entsprechend gering. Auch entsprechende Brücken sind im 19-Zoll-Format und somit kompakt unterzubringen. Insgesamt wird daher weniger LAN-Hardware benötigt als im Standardfall. Auch die Offenheit für FDDI-Backbones bleibt bestehen, da im Bedarfsfall jederzeit ein Hochgeschwindigkeits-Backbone durch Implementation von FDDI-Boxen installiert werden kann.

Ohne ausführliche Planung sind derartige Strukturen allerdings nicht zu realisieren - zu viele unterschiedliche Netze sind in der Regel beim Anwender entstanden und zwingen ihn zu kostspieligen Zusatzmaßnahmen. Gefragt ist hier daher in erster Linie die Erfahrung von Netzspezialisten, die ein Konzept erstellen, das herstellerneutral ist und somit alle Übertragungsarten berücksichtigt. Vom Anwender gebildete Arbeitsgremien sind nur begrenzt in der Lage, alle relevanten Erkenntnisse zu berücksichtigen.

Die Frage nach geeigneten Endgeräten ist eines der brennendsten Probleme des Anwenders überhaupt. Vielerorts wird ein für alle Applikationen geeignetes Terminal gefordert. Die Frage ist nur: Ist das überhaupt sinnvoll? Denn die Bereiche, in denen die Terminals eingesetzt werden, sind sehr unterschiedlich. So benötigt man oft im Lagerbereich nur ein Datensichtgerät; im Sekretariat ein Textsystem, der Sachbearbeiter hingegen braucht einen PC und der Entwickler eine Workstation.

Wo alles auf einmal "über ein Netz gehen soll", stellt man schnell fest: Das Nervenzentrum ist nicht nur der Host, sondern das gesamte Netz mit all seinen Komponenten. So gesehen bildet ein LAN oder WAN immer das DV-Rückgrat eines Unternehmens. Konzeptionsfehler haben daher verheerende Folgen.

Immer wichtiger wird daher die Auswahl der LAN-Komponenten, denn die Qualität des Netzes beginnt schon lange vor der Datendose. Im Klartext: Eine sündhaft teuere Workstation hinter der Datendose ist wertlos, wenn beim Netz gespart wurde. Die Planung einer LAN- oder WAN-Struktur ist immer aufwendig und kostenintensiv. Gleichwohl betreibt der Anwender hier immer auch ein Stück Investitionsschutz.