FÜR SIE GELESEN

Eine gewisse Schwerfälligkeit

11.05.1990

In einem Gespräch mit dem Chefredakteur der hauseigenen Zeitschrift "Siemens-Mitteilungen" (SM), Willi Meier, bezog Siemens-Vorstand Hermann Franz Stellung zu Fragen der Unternehmenskultur im Zusammenhang mit der Siemens-Nixdorf-Fusion. Headline: "Unsere Unternehmenskultur wird sich durchsetzen."

SM: Kooperationen wie Siemens-Matsushita oder die jetzt geplante Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG haben Fragen nach der Zukunft des Unternehmens und auch Besorgnis in Teilen der Belegschaft ausgelöst. Was kann man dem entgegenhalten ?

Franz: Der immer härter werdende internationale Wettbewerb, die technische Entwicklung, hohe FuE-Aufwendungen, kürzer werdende Innovationszeiten, die Öffnung der Märkte und damit verbunden die Globalisierung von Produkten und Systemen zwingen alle Unternehmen, darüber nachzudenken, wie sie sich auf die veränderten Verhältnisse einstellen können.

Wir haben im vergangenen Jahr unser Unternehmen neu strukturiert mit der klaren Zielsetzung, schlagkräftiger und flexibler zu werden und die einzelnen Arbeitsgebiete auf den Märkten, in denen sie tätig sind, abzusichern. Das werden wir in den meisten Fällen aus eigener Kraft heraus schaffen.

Wir betreiben aber auch Arbeitsgebiete, in denen unsere Möglichkeiten begrenzt sind; entweder weil wir die erforderlichen Wettbewerbspositionen auf dem Weltmarkt nicht aus eigener Kraft erreichen können, oder weil der Aufwand dafür zu groß wäre. In solchen Fällen ist es notwendig, Kooperationen einzugehen. Wir haben bei der Neustrukturierung unseres Unternehmens klar und deutlich gesagt, daß diese auch dazu dienen sollte, die Bereiche kooperationsfähig zu machen.

SM: Nun hat es Kooperationen auch in der Vergangenheit gegeben, ohne daß dadurch Unruhe entstanden ist.

Franz: Das ist richtig. Aber es waren mehr Akquisitionen als Kooperationen. Wir haben über Jahre hinweg viele Firmen erworben; darüber hat es nie Diskussionen gegeben - weder intern noch bei den Unternehmen, die wir erworben haben.

SM: Aber die Kooperationen, um die es jetzt geht, sind damit nicht ganz vergleichbar. In der letzten Wirtschaftsausschußsitzung ist das von Belegschaftsvertretern auf den Punkt gebracht worden: "Unsere Mitarbeiter sind gern bei Siemens, es trifft sie schon, wenn sie jetzt rausgehen sollen."

Franz: Zunächst einmal: Mitarbeiter, die zu unseren Beteiligungsgesellschaften im In- und Ausland gehen, verbleiben doch im Gesamtunternehmen und verlassen Siemens nicht.

Zum anderen: Wenn man sich am Weltmarkt orientieren muß, gibt es in manchen Fällen keine Andere Wahl, als die Volumen- und Kostenvorteile wahrzunehmen, die sich aus der Zusammenfassung von Aktivitäten ergeben. Das haben wir im Fall Plessey in Form einer Akquisition getan; im Fall Rolm durch eine Vereinbarung, durch die wir Fertigung und Entwicklung praktisch bei uns integrieren.

Im Fall Nixdorf mußten wir den Weg gehen, unser Gesamtgeschäft mit Daten- und Informationstechnik mit dem Nixdorf-Geschäft in einem neuen Unternehmen Siemens-Nixdorf

zu vereinigen, weil Nixdorf ein an der Börse gehandeltes Unternehmen ist, das nicht ohne weiteres übernommen werden kann.

Durch die Einbringung unserer Aktivitäten werden wir die Mehrheit bekommen. Mit der Mehrheit hat man auf der einen Seite das Sagen, auf der anderen Seite aber auch die Verantwortung. Wir werden uns der Verantwortung für das neu entstehende Unternehmen Siemens-Nixdorf nicht entziehen.

SM: Besteht das Problem aber nicht darin, daß dabei zwei sehr starke und unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinander treffen?

Franz: Die Unternehmenskultur von Siemens ist bestimmt durch die Tradition, durch die technische Qualifikation und generell durch den technischen Hintergrund unseres Hauses, nicht zuletzt aber durch die Seriosität im geschäftlichen Auftreten. Das sind die guten Eigenschaften.

Es gibt sicher auch andere, beispielsweise eine gewisse Schwerfälligkeit und ein Eingebundensein in eine große Organisation, in der der einzelne sich nicht unmittelbar in der Verantwortung fühlt. Nixdorf hat andere Eigenschaften, denn es ist ein aus dem Mittelstand heraus gewachsenes Unternehmen, das sich in sehr kurzer Zeit entwickelt hat. Es zeichnet sich aus durch ein hohes Maß an Flexibilität und durch ausgesprochene Kundennähe; aber auch da gibt es sicherlich Eigenschaften, die nicht nur positiv sind.

Wenn es gelingt, bei einem Zusammenschluß von Siemens und Nixdorf die guten Eigenschaften beider Unternehmen zu erhalten und zu fördern und die negativen zu beseitigen, dann ist der Erfolg dieses gemeinsamen Unternehmens vorprogrammiert. Ich bin der Meinung, daß unsere Unternehmenskultur so stark ist und daß auch unsere Mitarbeiter, die in diesem neuen Unternehmen tätig sein werden, so selbstbewußt sind, daß das, was letztendlich entsteht, sehr stark von unseren positiven Werten bestimmt sein wird.

SM: Es hat vor 20 Jahren einen Vorgang gegeben, der vergleichbar ist: die Gründung der KWU und der TU.

Franz: Ich halte diesen Vergleich für durchaus berechtigt. Aus dem Zusammenschluß der Kraftwerks-Aktivitäten zweier großer Unternehmen, der durch die Marktentwicklungen erzwungen worden war, ist ein außerordentlich erfolgreiches Gemeinschaftsunternehmen entstanden, in dem die Siemens-Kultur nie untergegangen ist. Dennoch hat KWU eine eigenständige und sehr deutliche Unternehmenskultur entwickelt die auch heute noch, viele Jahre nach Rückkehr in die Siemens AG, weiterwirkt.

SM: Das Beispiel KWU macht vielleicht auch klar, daß die Gründung solcher Gemeinschaftsunternehmen für die Mitarbeiter kein Nachteil sein muß.

Franz: Ich weiß, daß viele Mitarbeiter um ihren sozialen Besitzstand fürchten Die sozialen Leistungen bei Siemens und Nixdorf sind nicht gleich. Wir werden dafür sorgen, daß unsere Mitarbeiter nicht benachteiligt werden. Es wird ein Arrangement geben, das tragfähig ist, wie wir es seinerzeit bei der KWU auch geschafft haben.

SM: Sie deuteten bereits an, daß weitere Kooperationen nicht auszuschließen sind und daß es dabei auch schwierigere Situationen geben kann als bei Siemens-Nixdorf.

Franz: Bei Siemens-Nixdorf werden wir eine klare Mehrheit und damit auch die Möglichkeiten der Gestaltung innerhalb des Unternehmens haben.

Ob das auch bei künftigen Kooperationen immer gelingen wird, ist offen, weil wir möglicherweise Kooperationen mit Unternehmen eingehen müssen, die auf ihrem Spezialgebiet wesentlich stärker sind als wir. Wir müssen uns im klaren sein, daß solche Situationen kommen können, wenn wir bestimmte Arbeitsgebiete absichern und die dort vorhandenen Arbeitsplätze erhalten wollen.

In manchen Fällen wäre die Alternative die, aus diesen Gebieten auszusteigen - und damit wäre keinem geholfen. In allen Fällen gilt aber, daß wir uns unserer Sorgfaltspflicht für unsere Mitarbeiter bewußt sind und darauf achten werden, daß insgesamt betrachtet für keinen Nachteile entstehen werden.