Gastkommentar

Eine Frage an die Branche: Beraten und verkauft?

25.02.1994

Nicht immer, aber viel zu oft nehmen DV-Projekte, die einem Beraterstab zur erfolgreichen Durchfuehrung anvertraut wurden, einen ungeplanten Verlauf: Sie werden mit mehr oder weniger Eklat eingestellt, da es keine Hoffnung mehr gibt, mit vertretbaren Mitteln zum gewuenschten Ergebnis zu gelangen. Dem betroffenen Beratungskunden bleibt nur uebrig, das traurige Resultat zu konstatieren: Viel Geld und viel Zeit sind unwiederbringlich verloren, die Schuld wird wie der Schwarze Peter hin- und hergereicht, und der Geschaedigte muss zu allem Unglueck feststellen, dass er sich im juristischen Niemandsland befindet.

Bekanntlich gehoeren Makler und Werbeleute zu den Berufsgruppen mit dem schlechtesten Image. Das beschriebene Phaenomen koennte schnell dazu fuehren, dass die DV-Berater den Spitzenreitern der Negativhitliste den Rang streitig machen. Den serioesen Beratungshaeusern kann an einer derartigen Popularitaet nicht gelegen sein, so dass es an der Zeit ist, den schwarzen Schafen in den eigenen Reihen das Leben schwerer zu machen.

Angeblich soll Schaden zu Klugheit fuehren. Im Kontext der unserioesen Beratung scheint dies nicht zuzutreffen. Offensichtlich fehlt ein Fruehwarnsystem: Der Beratungskunde muss Indizien an die Hand bekommen, die ihm dabei helfen, die Erfolgswahrscheinlichkeit seines Projektes und die Kompetenz seiner Berater zu beurteilen, damit er sein DV-Budget rechtzeitig vor inkompetenten Zugriffen in Sicherheit bringen kann.

Vergleicht man DV-Projekte, die nach ein bis zwei Jahren als gescheitert entlarvt werden mussten, so findet man in der Tat genuegend gemeinsame Indikatoren, die den schlechten Verlauf schon in einer fruehen Phase angekuendigt haben:

Besonders signifikant ist das Fehlen eines muendlich oder schriftlich dokumentierten Vorgehensmodells. Der Kunde kennt die Einzelschritte des Projektes nicht, vertraut darauf, dass schon alles seine Richtigkeit haben wird und hinterfragt weder Methode noch Arbeitsqualitaet.

Genauso typisch ist die Art der Kommunikation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Ein in erfolgreichen Projekten normales Ringen um die Sache findet nicht statt. Die Berater scheinen im Verborgenen zu agieren, und die Projektergebnisse werden behandelt wie eine geheime Kommandosache. Ueberaus oft anzutreffen ist die Besiedelung von Nebenkriegsschauplaetzen: Es werden ploetzlich Ergebnisse praesentiert, deren Zusammenhang mit der eigentlichen Projektaufgabe hoechstens erahnt werden kann.

Die Erklaerung dieser Erscheinung ist einfach: Mangels sinnvoller Einbindung in eine kompetente Projektabwicklung suchen sich die kreativen der frustrierten Projektmitarbeiter neue Betaetigungsfelder. Sie entwickeln technische Standards und Software-Tools, basteln zur Unzeit Prototypen, entwickeln unabgestimmt neue Methoden oder beschaeftigen sich exzessiv mit Dokumentationsfragen. Ein Beispiel: In einem Grossprojekt, das Standardsoftware fuer Zeitungsverlage herausbringen sollte, entstanden weder Daten- noch Funktionsmodelle, sondern nach eineinhalb Jahren Laufzeit wurde ein komplettes, professionell gemachtes Data-Dictionary praesentiert, dessen unerwartete Existenz nun wieder Fragen aufwarf, die mit Prioritaet und zu Lasten der Projektaufgabe diskutiert wurden.

Last, but not least: Auffaellig viele Wechsel in Projektteam und Projektleitung sind ein Alarmsignal, das auch den gutmuetigsten Kunden dazu veranlassen sollte, auf Transparenz und Darstellung von Projektergebnissen zu bestehen. Fuer das Wechselsymptom gibt es mehrere Erklaerungen: Schlecht laufende Projekte zeichnen sich immer dadurch aus, dass die involvierten Mitarbeiter wenig motiviert sind. Selbst wenn sie nicht in verantwortlicher Position operieren, spueren sie sehr wohl, dass mit dem Projekt etwas nicht in Ordnung ist und bemuehen sich deshalb bei ihren Vorgesetzten um einen anderen Einsatz. Eine weitere Ursache fuer Mitarbeiteraustausch ist die Tatsache, dass Projekte, die kundenseitig keine ernsthafte Ueberwachung erfahren, von weniger serioesen Kandidaten als Ausbildungs- oder Parkstation fuer Beraterlehrlinge missbraucht werden. Besonders haeufig tritt dieses Phaenomen bei Festpreisprojekten auf. Der Kunde ist also gut beraten, im Falle jeder personellen Veraenderung nach den tatsaechlichen Ursachen zu forschen. Dies gilt ganz besonders dann, wenn ihm auch schon andere der genannten bedenklichen Erscheinungen aufgefallen sind.

Selbst bei geduldigen Kunden gibt es im Falle eines notleidenden Grossprojektes nach zirka einem Jahr eine erste ernstzunehmende atmosphaerische Stoerung, der die Beraterfirma meistens dadurch begegnet, dass sie Besserung gelobt, einen weiteren Mitarbeiterwechsel vornimmt und erstmalig darueber nachdenkt, welche Methoden und Verfahren einem erfolgreichen Projektverlauf zutraeglich waeren. Bei dieser Gelegenheit stellt sich leider nicht selten heraus, dass die notwendige Verfahrenstechnik nicht im erforderlichen Masse beherrscht wird, so dass es wiederum zu einer Umbesetzung kommen muss, damit das Projektteam ueber das Wissen verfuegt, das es schon ein Jahr lang haette anwenden sollen.

In den authentischen Situationen, die fuer die obigen Schilderungen Pate gestanden haben, hat der Kunde sich in jedem Fall auf einen neuen Versuch eingelassen und damit erreicht, dass nun auch der verbliebene Rest des Budgets daran glauben musste. Erst wenn die Kasse leer und der geplante Endtermin bedrohlich nahe gerueckt ist, wird der Mut aufgebracht, den unerfreulichen Fakten ins Auge zu sehen.

So paradox es zunaechst klingen mag: je laenger ein Projekt seine schiefe Bahn verbergen kann, um so glimpflicher kommen die Verursacher davon. Im Laufe der Zeit entsteht in der Person des Auftraggebers ein unfreiwilliger Verbuendeter, der ein grosses Eigeninteresse entwickelt hat, den offenkundigen Flop in einen Scheinerfolg umzumuenzen. Diese Form der Projektbeendigung funktioniert natuerlich nur, wenn kein sichtbares Ergebnis, beispielsweise eine funktionierende Software, erwartet wird.

Bisher ging es um die Signale, die ein bereits schieflaufendes Projekt aussendet. Am besten ist es natuerlich, wenn es zu Abwegen gar nicht erst kommt. Der ratsuchende Kunde hat es hier wahrhaft schwer. Das hinter der Bezeichnung "Berater" steckende Berufsbild ist heterogener nicht denkbar. Es gibt weder Zertifikate noch Diplome noch Standardqualifikationen, die einem Kunden die Sicherheit geben koennen, wenigstens eine Minimalausstattung an Beratungsqualitaet einzukaufen. Eine Orientierung an der Groesse des Beratungshauses hat sich keinesfalls bewaehrt, gibt es doch genuegend Projektbeispiele, in denen gerade die Branchenriesen eine unruehmliche Rolle gespielt haben. Die ungerechtfertigte Annahme, dass ein grosses Haus alles kann, gehoert sicher zu den haeufigsten Ursachen fuer Beraterprobleme.

Wer den richtigen Beratungspartner finden will, muss sich darueber klar sein, dass Know-how-Aufbau und Spezialisierung auch fuer grosse Beratungshaeuser erhebliche, mit hohen Risiken behaftete Investitionen sind. Das ist um so wahrer, je komplexer die zu loesenden Probleme werden und je anspruchsvoller und facettenreicher die Informationsverarbeitung sich entwickelt. Serioese und kompetente Beratung ist deshalb mit groesserer Sicherheit von einem Unternehmen zu erwarten, dessen deklarierte und demonstrierte Staerken genau dort liegen, wo die gegebene Problemstellung sie benoetigt. Mitarbeiterzahl und Umsatzstaerke hingegen sind qualitaetsneutral, eine gute Prognose ist hier ebenso wahrscheinlich wie eine schlechte.

Es gibt den boshaften Spruch, dass der Kunde genau die Berater bekommt, die er verdient. Wie immer in solchen Faellen kann man das beruehmte Koernchen Wahrheit nicht verleugnen. Wenn die falschen Kriterien angelegt und ungeeignete Merkmale honoriert werden, darf man sich nicht wundern, wenn die Anbieter in die richtigen Faehigkeiten nur halbherzig investieren und der Kunde letztlich ein unzureichendes Beratungsangebot mit zu niedrigem Spezialisierungsgrad vorfindet.

Resuemee: Jedes misslungene Projekt gibt dem Misstrauen und dem angegriffenen Ruf der Beraterbranche neue Nahrung. Fuer serioese Beratungsunternehmen wird es immer schwerer, das Vertrauen eines potentiellen Kunden zu gewinnen. Fuer den Kunden wird es immer spannungsreicher, den schmalen Grat zwischen notwendigem Vertrauen und gesunder Skepsis schwankungsfrei zu beschreiten.

Die Unternehmen brauchen mehr denn je den Mut, innovative Projekte in Angriff zu nehmen. Wie man beobachten kann, ist es mit diesem Mut nicht allzuweit her. Das Client-Server-Thema steht schon laengere Zeit auf Platz eins der Hitliste, wenn es ums Diskutieren, Fabulieren oder bestenfalls ums Konzipieren geht. Beherzte, ernstgemeinte Anstrengungen, in eine neue DV-Welt zu migrieren, sind allerdings immer noch selten.

Schwindendes Vertrauen in eine kompetente Beraterunterstuetzung ist mit Sicherheit einer der Gruende dafuer. Das ist verstaendlich, aber die Datenverarbeiter unserer Unternehmen koennen es nicht verantworten, den unseligen Zustand reduzierter Innovationskraft noch laenger zu konservieren. Sie sollten dazu beitragen, die Ursachen zu beseitigen, und das koennte damit beginnen, den schwarzen Schafen der Branche so frueh wie moeglich die Chancen zu entziehen.