Gastkommentar

Ein zertifiziertes QM-System ist noch kein wirkungsvolles

05.04.1996

Seit einigen Monaten ist eine Diskussion ueber Sinn und Unsinn des Zertifizierens von Qualitaets-Management-Systemen nach DIN EN ISO 9000 ff. entbrannt. Die Kombattanten zeichnen sich eher durch Emotionalitaet als durch Sachverstand und schluessige Argumente aus. Mit Begriffen wie Bluff, Irrefuehrung, Taeuschung, potemkinsche Doerfer etc. wollen die Diskutanten Aufmerksamkeit erregen. Substantiell lassen sich die vorgetragenen Beschwerden gegen die Zertifizierung aber auf die folgenden Aussagen reduzieren:

Die Einrichtung eines QM-Systems nach DIN EN ISO 9000 ff. und dessen Zertifizierung erfuellen die damit verbundenen Erwartungen nicht, den betraechtlichen Kosten stuenden keine messbaren wirtschaftlichen Vorteile gegenueber, deren Realisierung ohnehin eine Erfindung zur Bereicherung der Berater sei. Diese Behauptungen muessen in einer seit Monaten gefuehrten Diskussion ueber den Sinn und Unsinn des Zertifizierens von QM-Systemen herhalten.

Nun ist schwerlich zu bestreiten, dass das Angebot an "Qualitaetsberatern" sehr heterogen ist, um es einmal vorsichtig auszudruecken. Insbesondere findet man unter denen, die sich berufen fuehlen, nur wenige, die an verantwortlicher Stelle ein solches System in der Praxis selbst mit Erfolg implementiert haben. Der Rest redet notgedrungen wie die Jungfer vom Kind. Wenn dabei unberechtigte Erwartungen geweckt werden, so sollte man die daraus resultierenden Enttaeuschungen denjenigen vorwerfen, die sie aus Unkenntnis und durch irrefuehrende Verheissungen verursacht haben.

Um ein solches ueberzogenes Versprechen handelt es sich, wenn ein "zertifiziertes" von vornherein mit einem "wirkungsvollen" QM- System gleichgesetzt wird. Die Verfasser des nationalen Vorwortes zu DIN ISO 9004 hatten das unmissverstaendlich klargestellt. Aber nach wie vor wird so getan, als ob mit DIN EN ISO 9000 ff. eine Norm vorlaege, an die man sich beim Aufbau eines QM-Systems zu halten habe. Mit Ausnahme der 9004 ist das jedoch nicht so. Auch 9004 ist zwar hilfreich, genuegt aber als Handlungsanleitung bei weitem nicht und hat in der Nachbarschaft der Normen DIN EN ISO 9000 bis 9003 nichts verloren. Denn das sind Empfehlungen, wie Lieferant und Kunde die Arbeitsqualitaet des Auftragnehmers pruefen beziehungsweise dokumentieren koennen.

Frueher genuegte es dazu, die erhaltenen Waren zu untersuchen und den Befund statistisch auszuwerten. Dieses mechanische, grundsaetzlich erst nach erfolgter Fertigung einsetzende Verfahren reicht angesichts komplexer werdender Waren nicht mehr aus. Just- in-time-Produktion, Null-Fehler-Forderung und die Entwicklung von Rechtsprechung und Gesetzgebung im Verbraucherinteresse haben bei Kunden den Wunsch aufkommen lassen, die Qualitaetsfaehigkeit eines potentiellen Lieferanten unabhaengig von einem bestimmten Auftrag oder jedenfalls vor seiner Vergabe zu ermitteln. Besonders Hersteller von sicherheitssensiblen Produkten wie Automobilen, Arzneimitteln oder Kernkraftwerken sind darauf angewiesen.

Da es fuer die Wirtschaft eine unzumutbare Belastung waere, wenn jeder Hersteller seine Lieferanten selbst auditieren muesste, wurden Kriterien erarbeitet und in der Normenreihe DIN EN ISO 9000 bis 9003 festgehalten, auf deren Grundlage ein sachverstaendiger Dritter die Qualitaetsfaehigkeit eines Unternehmens in einem Zertifikat bestaetigen kann. Der wirtschaftliche Nutzen fuer die Kunden liegt auf der Hand. Auch der Lieferant sollte aber ein Interesse daran haben, sich nur noch direkt bei seinem Kunden und auf standardisierte Art bewerten lassen zu muessen. Der eigenliche Zweck der Normenreihe ist es also, den in der Vergangenheit erbluehten Audit-Tourismus zu eruebrigen.

Ein jedes Unternehmen betreibt Qualitaets-Management auf seine Weise, sofern es sich nicht auf dem direkten oder indirekten Weg in den Konkurs befindet. Und wenn es bereits auf eine laengere Existenz - sagen wir von 15 bis 20 Jahren - zurueckblicken kann, so ist mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die meisten Anforderungen an die Qualitaetssicherung erfuellt sind. Die Frage ist nur, ob das auch dokumentiert wird, so dass es gegebenenfalls ueberprueft und externen Interessenten demonstriert werden kann.

Daher wird zum Zweck der Zertifizierung ein gewisser Formalismus erforderlich sein, weil ein Auditor nur bestaetigen kann, was er auch gesehen hat. Jedenfalls aendert sich eine existierende QM- Organisation dadurch in ihrem Wesen nicht, dass man sie in einen zertifizierungsfaehigen Zustand bringt. Allerdings kann das Zertifikat der erste Schritt zu einem wirkungsvollen Qualitaets- Management sein. Freilich ist auch dann der eigentliche Weg erst noch zu gehen.