JavaScript-Erfinder Brendan Eich im Interview

"Ein Überwachungssystem, das Nutzer ausplündert"

21.09.2022
Von 
Matthew Tyson ist Java-Entwickler und schreibt unter anderem für unsere US-Schwesterpublikation Infoworld.com.
JavaScript-Schöpfer Brendan Eich verabscheut das "Überwachungssystem" der Online-Werbung. Im Interview verrät er, was er dagegen unternimmt.
Bislang profitieren vor allem Big-Tech-Unternehmen von Online-Werbung. Das soll sich künftig grundlegend ändern, wenn es nach JavaScript-Erfinder Brendan Eich geht.
Bislang profitieren vor allem Big-Tech-Unternehmen von Online-Werbung. Das soll sich künftig grundlegend ändern, wenn es nach JavaScript-Erfinder Brendan Eich geht.
Foto: Leremy - shutterstock.com

Brendan Eich ist nicht nur der Vater der Programmiersprache JavaScript, sondern auch Mitbegründer und Ex-CTO von Mozilla sowie Gründer und aktueller CEO von Brave Software. Die Kollegen unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.com hatten vor kurzem die Gelegenheit, mit dem Softwareexperten und Manager unter anderem über die Sünden von Big Tech, das Scheitern des Web-Werbemodells sowie Kryptowährungen, Web3-Irrsinn und die Blockchain zu sprechen. Darüber hinaus verrät Eich im Interview auch, wie Brave Browser und Basic Attention Token die Internetnutzer künftig in den Mittelpunkt rücken sollen.

"Das war nicht, was wir bewirken wollten"

Zunächst möchten wir uns für die Entwicklung von JavaScript bedanken, einer Sprache, die für das Internet von grundlegender Bedeutung ist und so vielen Entwickler-Karrieren Auftrieb gegeben hat. Außerdem gilt Ihnen unser Dank dafür, dass Sie IE6 einen Pflock ins Herz gerammt haben.

Nun aber zur Gegenwart: Sie haben den Brave-Browser und das Basic Attention Token entwickelt, um die Schnittstelle zwischen Benutzern und digitalen Werbetreibenden zu verbessern. Diese ist in ihrer jetzigen Form vor allem von Ineffizienzen und Datenschutzmängeln geprägt. Brave soll nun ermöglichen, dass die Nutzer mit Hilfe des Basic Attention Token über die Werbegelder verfügen können. Ist das eine korrekte Zusammenfassung?

Brendan Eich: Online-Werbung hat sich zu einem Überwachungssystem entwickelt, das die Benutzer hinsichtlich des Werts ihrer Aufmerksamkeit ausplündert, die Publisher durch hohe Gebühren und Intransparenz abzockt, zum Anzeigenbetrug verleitet sowie die Verbreitung von Malware durch Ad-Exchanges ermöglicht. Das war nicht, was wir mit unserer Arbeit in den 1990er Jahren bei Netscape an Cookies und JavaScript bewirken wollten.

Brave bietet eine Antwort, die den Nutzer in den Mittelpunkt stellt und Interessenkonflikte zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer beseitigt, wie sie am deutlichsten in Chrome zu sehen sind. Hier werden standardmäßig alle Tabs und Fenster der Nutzer getrackt, wenn sie sich in einem Tab bei einem Google-Konto anmelden. Chrome blockiert auch nicht standardmäßig Tracking. Hier hat Brave Pionierarbeit geleistet und ist den anderen Browsern in Bezug auf neue Tracking-Bedrohungen immer noch voraus. Angesichts des Geschäftsmodells von Google ist das jedoch nicht überraschend.

Brendan Eich begann seine Karriere bei Silicon Graphics, war Mitbegründer von Mozilla und ist heute CEO von Brave Software.
Brendan Eich begann seine Karriere bei Silicon Graphics, war Mitbegründer von Mozilla und ist heute CEO von Brave Software.
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Der Basic Attention Token (BAT) liefert die Grundlage für das private, Client-seitige Opt-in-System für Werbung und Autorenbeiträge von Brave namens Brave Rewards. Benutzer, können private Anzeigen erhalten, die ihnen BAT gutschreiben, die sie wiederum bei einer Verwahrstelle (etwa Uphold, Gemini, bitFlyer) einlösen können. Standardmäßig handelt es sich bei den BAT um Blindsignaturzertifikate, die anonym an die Schöpfer ausbezahlt werden. Der Benutzer gibt ein Trinkgeld, konfiguriert monatliche Beiträge oder trägt über die Browser-Privatansicht und die Besuchszeit-Analyse "automatisch" bei.

Brave mit BAT bindet den Benutzer in die Aufmerksamkeitsökonomie ein, die immer noch den größten Teil des Internets finanziert, und stellt den Benutzer an die erste Stelle: 70 Prozent der Bruttoeinnahmen aus privaten Anzeigen gehen an den Benutzer. Dabei steht es den Usern frei, diese einzubehalten oder zurückzugeben. Wir priorisieren die Wahl des Nutzers vor Verlegern und Dritten, ohne Ausnahme. In Anbetracht der zunehmenden Zahl von bezahlten und werbefinanzierten Einnahmemodellen für Urheber im Internet sind wir zuversichtlich, dass die Nutzer großartige Urheber unterstützen werden. Wir werden auch in Zukunft innovative Wege finden, wie Nutzer Urheber direkt, anonym und sogar pseudonym unterstützen können.

"Das zweite goldene Zeitalter der Programmiersprachen"

Sie sind ein CEO. Programmieren Sie noch?

Eich: Nur zum Spaß zu Hause. Zu meiner Hauptarbeit gehört es auch, Code zu lesen - aber auf der Ebene der Qualitätssicherung, wenn es um Fehlersuche geht, sowie auf strategischer Ebene. Beispielsweise bei der Bewertung neuer Kryptografie- und Blockchain-Systeme.

Bjarne Stroustrup, Schöpfer von C++, sagte in einem Interview mit dem MIT Technology Review im Jahr 2007, Unternehmenspraktiken könnten Personen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und technischer Raffinesse feindlich gegenüberstehen. Können Sie das nachvollziehen? Haben Sie eine Idee, wie man das Kreativitätsproblem in Unternehmen entschärfen kann?

Eich: Ja, das zieht sich durch meine ganze Karriere - von SGI bis Netscape. Als diese Unternehmen groß wurden und begannen, unternehmensorientiert zu agieren, kam genau das zum Ausdruck. Bei Mozilla und Brave musste ich meinen eigenen Job erfinden, an neuen Wegen zur Herstellung innovativer Produkte mitarbeiten und andere rekrutieren. Das war großartig und ich bereue es nicht, einige Big-Tech-Optionen, die sich auf meinem Weg ergeben haben, ausgeschlagen zu haben.

Wir sind wirklich neugierig, was es für eine Erfahrung war, eine Blockchain aufzubauen. Wie hoch war der Aufwand dafür - im Vergleich zur Entwicklung eines Browsers oder einer Programmiersprache?

Eich: Wir mussten keine Blockchain aufbauen, da BAT als ERC-20-Token auf Ethereum eingeführt wurde. Dank Bridges wie Wormhole ist BAT jetzt auf mehreren Blockchains vertreten. Der Aufbau eines höheren Levels half uns, früher auf den Markt zu kommen und auf den Schultern von Giganten wie Vitalik (Ethereum) und Satoshi (wir haben Brave Rewards auf Bitcoin als Prototyp entwickelt) zu wachsen.

Es wurde viel darüber diskutiert, ob KI und maschinelles Lernen menschliche Programmierer vollständig ersetzen könnten. Was denken Sie - eine reale Bedrohung?

Eich: Nicht für den Beruf des Programmierers, auch wenn besseres Machine Learning die Code-Entwicklung beschleunigen wird. Sie bietet eben auch neue Angriffsflächen und schafft Sicherheitslücken. Ich habe kürzlich zum Thema getwittert, also verweise ich Sie einfach darauf:

Wo liegen die Grenzen bei den Programmiersprachen und der Softwareentwicklung im Allgemeinen?

Eich: Ich habe mein Studium in der Blütezeit der Systemsoftware-Forschung absolviert, aber diese Zeiten sind längst vorbei. Die Grenze scheint mir jetzt das 'zweite goldene Zeitalter' der Programmiersprachen zu sein, mit Errungenschaften wie Rust (das ich bei Mozilla als Executive Sponsor unterstützt habe). Auch das Reverse Debugging funktioniert jetzt gut (zum Beispiel rr-project.org und darauf aufbauende kommerzielle Angebote). Die Leute, die sich mit formalen Methoden beschäftigen, und andere, die bereit sind, die Solidität aufzugeben, können jetzt auf eine Art und Weise und mit einer Effizienz Fehler verifizieren oder finden, von der wir in den 1980er Jahren nur träumen konnten.

Diese Grenzbereiche haben sich zu neuen Ökosystemen entwickelt, die neue Märkte unterstützen. Es gibt auch eine Verbindung zu Blockchains: Formale Methoden sind zwingend erforderlich, um Fehler in Smart Contracts und Protokollen zu finden. Zero Knowledge Proofs erfordern eine maschinelle Verifizierung, wie die Nomenklatur deutlich macht. Ich würde mir wünschen, dass mehr Programmiersprachen und Strenge in Sachen DevOps zum Einsatz kommen. Es gibt ein paar Startups, die daran arbeiten.

"Es wird zu einem Kampf kommen"

In einem Interview äußerten Sie kürzlich, dass die aufkommende "Web3"-Szene den frühen "Wild West"-Tagen der Dotcom-Ära ähnele: viele Möglichkeiten, aber auch viel Raum für Dummheiten. Das Web hat sich trotz der Dotcom-Blase der späten 90er Jahre sehr gut bewährt. Sehen Sie, dass wir eine euphorische Krypto-Blase erleben werden, gefolgt von einer mürrischen Korrektur und einer stabileren Rolle für kryptobasierte Dienste?

Eich: Kryptowährungen sind volatil. Selbst Stablecoins können leider unerwartete Shelling-Punkte finden oder aufgrund von Design-Fehlern scheitern. Das wird sich angesichts der zunehmend volatilen politischen und globalen Umstände, in denen wir leben, wahrscheinlich fortsetzen. Boom- und Bust-Zyklen, die von den Zentralbanken und ihren Verbündeten gesteuert werden, dauern in der Regel ein Jahrzehnt. Krypto-"Jahreszeiten" können Jahre bis halbe Jahre dauern. Ich erwarte, dass sich die beiden Zyklen im Laufe der Zeit ausgleichen werden, was auch immer die Regulierungsbehörden tun.

Fest steht jedoch: Kryptowährungen und Blockchains/DLT werden bleiben. Zu viele wohlhabende Menschen setzen auf diesen Bereich, vor allem als Absicherung gegen Probleme mit Fiat-Währungen. Die Situation lässt sich nicht so einfach oder schnell umkehren.

Was ist Ihrer Meinung nach das größte Versprechen von Blockchain?

Eich: Ich stimme mit Moxie Marlinspike darin überein, dass kryptografische Protokolle auch für Client/Server-basierte Produkte erforderlich sind, um Eigenschaften wie Anonymität (Aktivitäten, die nicht mit einer Kennung verknüpft werden können) durchzusetzen.

Wo zu viele Gegenparteien ein zu großes Risiko darstellen, oder besonders dort, wo sich Gleichgestellte direkt im Netzwerk treffen können, sind Blockchains großartig. Wir haben einen Prüfer des BAT-Smart-Contracts direkt über Ethereum bezahlt, da war kein Bankenunsinn mit Überweisungsgebühren und Verzögerungen erforderlich (die Gas Fees waren damals noch niedrig).

Für mich ist das Versprechen von Blockchain mit der User-First-Agenda von Brave verbunden: Netzwerkeffekte führen zu Gewinnern auf dem ersten und zweiten Platz, zu Oligopolen und Monopolen. Im Web2 ("Web 2.0" in der ursprünglichen Formulierung) sammeln solche Gewinner natürlich Nutzerdaten, um sie zu optimieren. Das führt unweigerlich dazu, dass die Nutzer als Schafe missbraucht werden: Ihre aufmerksamkeitsbasierten Daten werden eingesammelt, während gleichzeitig Schatzkammern für Hackerangriffe und Werbebetrüger geschaffen werden. Probleme mit dem Datenschutz, Trolle, Tyrannen, Psyops und all die anderen Big-Tech-Krankheiten sind die Folge dieser zentralisierten Datenerfassung.

Das Web3-Ideal muss daher die Nutzerdaten an der ultimativen Grenze verteidigen: Ihre Geräte, die Supercomputer in Ihrer Tasche und auf Ihrem Schoß. Diese können sich dann sowohl direkt als auch indirekt über kryptografische Protokolle mit Blockchain-Knoten und Web3-Servern verbinden, die keine Daten sammeln, um missbräuchliche Marktmacht zu schaffen. Die Menschen behalten die Macht am Rande von p2p und kryptografisch geschützten Client/Server-Netzwerken.

Diese Vision kehrt die schäbige Wertehierarchie der Web2-Big-Tech-Giganten um, die natürlich behaupten, sich um die Nutzer zu kümmern, die aber vor allem ihren Aktionären, Anzeigenkäufern, Verlegern, Drittanbietern von Werbetechnologien und anderen noch weniger respektablen Akteuren (Nationalstaaten und Agenturen mit drei Buchstaben zum Beispiel) dienen müssen. Es wird also zu einem Kampf kommen, aber wir - die Nutzer - sind ihnen zahlenmäßig überlegen.

"Machen Sie es wie Steve Jobs"

Haben Sie einen Rat für Gründer und Menschen mit Startup-Träumen in der heutigen Welt?

Eich: Studieren Sie die Geschichte, einschließlich alter Bücher aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als die "neue Klasse" der Manager aus dem Brain Trust von Vannevar Bush hervorging. Studieren Sie die heterodoxe Ökonomie, denn die Mainstream-Ökonomie ist voll von Höflingen und Scharlatanen. Schauen Sie sich verschiedene Denkschulen an. Studieren Sie Unternehmen und Firmen genug, um zu wissen, was Sie vermeiden sollten.

Machen Sie es wie Steve Jobs und suchen Sie nach den Pain Points der Nutzer, die von den Marktgewinnern, die zu groß und selbstgefällig geworden sind, ignoriert oder vernachlässigt werden. Benutzer wissen oft, dass sie ein schmerzhaftes oder auch nur geringfügig juckendes Problem haben, auch wenn sie keine Lösung vorschreiben oder das Problem genau beschreiben können. Arbeiten Sie mit Lead Usern. Sie erfinden neue Kategorien von Produkten und Dienstleistungen. Ohne sie können Sie nicht gewinnen.

Sie sind auch ein Investor. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie sich ein Unternehmen ansehen?

Eich: Ich bin kein großer Investor, aber ein Freund hat mich auf Burton Klein aufmerksam gemacht. Seine Typologie der Unternehmen ist zutreffend. Wenn Sie ein Klein-Type-1-Unternehmen finden, das investierbar ist und sich weiterentwickelt, sollten Sie investieren. Wir alle erinnern uns an Type-1- und Type-2-Firmen, die wie Raketen abhoben, beispielsweise Netscape oder Google. Die Type-4-Firmen werden verkauft, wenn sie politisch nicht mehr erwünscht sind.

Was ist Ihre Definition von "Erfolg"?

Eich: Anderen geholfen zu haben, eine bessere Welt zu schaffen. Um es mit Harry Tuttle zu sagen: Wir sitzen alle im selben Boot. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.