Mit dem Auge des Adlers

Ein Tag im Leben eines Entwicklers

27.10.2011
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.

Entwickler aus Leidenschaft

10:30 Reisner öffnet sein rotes Buch, in das er alles hineinschreibt, was er heute noch erledigen will. Ohne Stift und Papier wäre er aufgeschmissen. "Das mag für einen Softwareentwickler altmodisch anmuten", schmunzelt er, "aber auf Papier kann ich Skizzen malen und zum Beispiel in Schaubildern den Datenfluss aufzeigen oder Strukturen auf einen Blick erkennen."

Vorteil der Projektarbeit beim Kunden: "So bekomme ich Einblick in die unterschiedlichsten Anwendungen und Prozesse."
Vorteil der Projektarbeit beim Kunden: "So bekomme ich Einblick in die unterschiedlichsten Anwendungen und Prozesse."
Foto: Friedrich Schanda/Pentasys

Komplexe Strukturen begreifen, durchdenken, verändern oder neu entwerfen gehört zu den Kernkompetenzen von Entwicklern. Je komplexer, desto reizvoller, findet Reisner, der am liebsten Applikationen entwickelt und dafür mit neuen Frameworks arbeitet. Im aktuellen Projekt hat er kaum neuen Code zu schreiben, da die Applikationen bestehen bleiben und sich nur die Plattform ändert. Dennoch muss Reisner manchmal tief in den Java-Code eintauchen, um etwa einen Fehler zu finden. Nach der Migration einer Datenbank suchte er zum Beispiel fast zwei Tage lang nach einem Bug, führte die betroffene Prozedur immer wieder aus, tauschte sich mit dem Kunden aus, um neue Fahndungswege zu finden. Erst als er den Fehler gefunden und korrigiert hatte, konnte er die Prozedur von der Developer- in die Integrationsumgebung einspielen. Hier kann Reisner überprüfen, ob sie auch im Zusammenspiel mit anderen Anwendungen funktioniert. Seine Änderungen am Code hält er gleich in der technischen Dokumentation fest, damit der Kunde weiß, was geändert wurde.

11:20 "Das ist doch alles Käse." Nach dem dritten Versuch, sich mit der produktiven Datenbank beim Kunden remote zu verbinden, gibt Reisner auf. Kein Zugriff für den externen Dienstleister, obwohl dieser versprochen war. Das Unvorhergesehene ist eine Konstante im Projektalltag, die aller Planung zum Trotz ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Bereitschaft zu Plan B oder C erfordert. Reisner bleibt nichts anderes übrig, als die geänderten Systeme "im Blindflug" zu testen und dann nächste Woche zum zweiten Dienstleister zu fahren, um von dort aus in die Datenbank zu gelangen. Ein neuer Aspekt in der "Offene-Punkte-Liste", in der Projektleiter Ufer und Reisner alle Probleme erfasst haben und die die Basis für das wöchentliche Treffen mit Kunden und zweitem Dienstleister bildet.

12:30 Reisner nimmt sich Jacke und Brotzeitbox und geht trotz des Nieselregens eine Runde spazieren. Die Mittagspause verbringt er gern an der frischen Luft, "das macht den Kopf wieder frei".

Glücksbringer: Das Marzipanschweinchen aus dem ersten Projekt hat Reisner elf Jahre und unzählige Projekte später noch.
Glücksbringer: Das Marzipanschweinchen aus dem ersten Projekt hat Reisner elf Jahre und unzählige Projekte später noch.
Foto: Friedrich Schanda/Pentasys

14:00 Kollegin Irina, die gerade ein Fachkonzept für ein anderes Projekt erarbeitet, hat ein Problem, das sich auf Zuruf nicht lösen lässt. Günther Reisner schaut ihr über die Schulter und hilft. Im Lauf des Tages wird er immer wieder von den Kollegen gefragt. Nicht nur daran merkt man, dass er zu den erfahrenen Entwicklern gehört. Auch das Marzipanschweinchen neben seinem Bildschirm ist dafür ein Indikator: Einst der Glücksbringer für sein erstes Projekt, hat es im Lauf der Jahre unter der Celluphanfolie auch den letzten Schimmer seiner quietschrosa Farbe verloren.

14:22 Ein einziger falscher Buchstabe kann mitunter eine ganze Applikation zum Erliegen bringen. Als Softwareentwickler braucht Reisner den Blick eines Adlers. Das zeigt die nächste Stunde, in der er verschiedene Versionen von Dutzenden SQL- und Unix-Skripten vergleicht und aktualisiert. Sein Blick ruht auf dem Bildschirm, konzentriert scannt er Zeile um Zeile, pflegt schnell die Änderungen, oft nur ein Buchstabe, ein. Am Ende hält er die Anpassungen nicht nur in der technischen Dokumentation fest, sondern erstellt auch eine read.me-Datei mit Hinweisen, was vor der Übertragung der Skripte in die Produktivumgebung zu beachten ist.