IBM und die Entwicklung der Datenerfassung:

Ein Start mit vielen Hindernissen

28.02.1975

MÜNCHEN - Vor etwa fünf Jahren stieß IBM auf ein immer wichtiger werdendes Problem: Sie mußte mit der wachsenden Herausforderung der Mitbewerber auf dem Gebiet der Datenerfassung fertig werden.

IBM-interne Untersuchungen hatten ergeben, daß die Locher und Prüfer 029/059 unzureichend waren im Vergleich zu Univac's 1701/ 1710. Zu diesem Zeitpunkt spielte das IBM-Management mit dem Gedanken, 96stellige Lochkartengeräte an die 360er-Systeme anzuschließen. Gerade die 5496 war gleichwertig mit der 1701/1710-Kombination, wie dies aus den IBM-Dokumenten, die 1969 im Rechtstreit Telex/lBM veröffentlicht wurden, hervorging.

Eine ähnlich schwache Marktaufnahme fand das Magnetband-Erfassungsgerät IBM/50. Es arbeitete ungepuffert und verwendete für die Formatsteuerung Lochkarten. Im Vergleich mit den MDS-Magnetband-Erfassungssystemen schnitt dieses System ebenfalls mit einem "Ungenügend" ab.

Das erste Magnet-Band-Kassetten-System für die Datenerfassung wurde in den USA von der Firma Viatron vorgestellt. Ein IBM-Report bewertete das Viatron-System 21 als ein ernstzunehmendes Konkurrenzprodukt: Vor allem durch den geringen Preis könnte es den Datenerfassungs-Markt entscheidend beeinflussen.

Mietpreis 39 Dollar

Dieses System 21 setzte sich aus einem Bildschirm, einer Schreibmaschinen-Tastatur mit Drucker und zwei Kassetten-Systemen zusammen, die von einem Mikro-Prozessor gesteuert wurden. Ursprünglich sollte es in den Vereinigten Staaten für einen monatlichen Mietpreis von 39 US-Dollar angeboten werden.

Aber die IBM schlief nicht. Unter dem Code-Namen "Poke" wollte der Computer-Gigant, so ist es aus IBM-Dokumenten ersichtlich, ein Datensammel-System ankündigen, dessen maximale Ausbaufähigkeit bei 72 Erfassungsplätzen liegen sollte. Aber Viatron's Erfassungsplatz kostete nur den dritten Teil einer "Poke"-Erfassungs-Station. Dieser beträchtliche Preisunterschied jedoch hätte wahrscheinlich IBM's Chancen stark geschmälert, zu dieser Zeit im Bereich der Daten-Sammel-Systeme größere Marktanteile erobern zu können. Noch Anfang 1970 erklärte nämlich IBM, Viatron sei "der ernsthafteste Mitbewerber im Datenerfassungs-Markt".

Parallel zu "Poke" plante IBM verschiedene Daten-Erfassungs-Systeme, die unter der Code-Bezeichnung "Viking" bekannt wurden. Konfigurationen mit 8 und 16 Erfassungsplätzen sollten Preisvorteile bringen. IBM machte allerdings auch hier eine Einschränkung: "Es sei denn, man vergleicht dieses System mit denen von Inforex und Viatron." "Viking l" wurde von IBM unter den existierenden Datenerfassungs-Systemen, ausgenommen Viatron und Sycor, als ausgezeichnet bewertet. (Das Sycor-System wird in der Bundesrepublik von Olivetti angeboten.)

"Viking im Vergleich"

Bei den kleineren Datensammel-Systemen (bis zu acht Datenerfassungs-Stationen) schnitt "Viking" sehr gut ab, allerdings wiederum mit folgender Ausnahme: Von der Funktion her zwar als "gleichwertig" beurteilt, war "Viking" den Inforex-Systemen preislich unterlegen.

Unter den größeren Installationen hätte "Viking I" wahrscheinlich nicht direkt mit den Datensammel-Systememen konkurrieren können. "Die 2260, das Erfassungssystem Viking II, oder eine andere Kombination von IBM Datenerfassungs-Systemen würde sicherlich den Bedürfnissen der Computer-Anwender mehr entsprechen", hieß es in einer internen IBM-Bewertung.

Im dritten Quartal des Jahres 1970 faßte IBM die Markt-Situation für "Viking l" mit folgender, bündigen Stellungnahme zusammen. "Der späte Ankündigungstermin (drittes Quartal) macht es äußerst schwer, die Marktchancen der Viking I abzuschätzen. Ihre Einführung würde zu spät kommen, um die vollen Vorteile der System-Konzeption so zur Geltung zu bringen, daß sie Viking I im Vergleich zu den Konkurrenz-Produkten überlegen, zumindest aber gleichwertig mache."

Keine Produkt-Ankündigung

Bereits 1971 berichteten die IBM-Reports: Viking wäre nicht mehr in der gleichen Wettbewerbs-Situation wie vor einem Jahr. Und im August 1971, kurz vor dem geplanten Ankündigungstermin, stellte IBM fest, daß die Viking-Preise nicht mit denen führender Mitbewerber - Inforex, CMC und Univac - konkurrieren könnten. Das Ergebnis dieser Feststellung war: Eine Neubewertung der Wettbewerbs-Situation, neue System-Konzeptionen - aber keine Produkt-Ankündigung.

Zwei Jahre später, im Dezember 1974, kam die 3741, eine überarbeitete Viking-Version, auf den Markt. In ihr war anstelle einer Magnetband-Kassette die Diskette eingebaut.

Jetzt taucht natürlich die Frage auf, warum IBM mit der Ankündigung von intelligenten Datenerfassungs-Systemen so hartnäckig zurückgehalten hatte. Eine der Antworten darauf ist das Mietgeschäft mit Lochern. Es erschien IBM wohl als zu einträglich, um es einfach beiseite zu schieben. Wie dem auch sei: Noch zwei Jahre zuvor hatte IBM-Chef Thomas J. Watson jr. in einer Vorstandssitzung erklärt: "Das Problem im Datenerfassungsmarkt ist seit vier, spätestens aber seit zwei Jahren bekannt. Und wir haben noch immer keine Lösung." Watson wollte wissen, "Warum?"

Festen Tritt gefaßt

Die Antwort darauf war ziemlich einfach. Die Produktplanung für die Datenertassung war in der falschen Abteilung "gelandet". Watson wurde mit der Erklärung "getröstet": Diese Koordinationsprobleme würden verstärkt in Angriff genommen ... und: "Zur Zeit stehen wir in diesem Marktbereich nicht gut da, aber das wird sich mit dem neuen Plan sehr bald ändern."

Nach diesem sehr langsamen "hemmnisreichen", Start im wachsenden Markt der Datenerfassungs-Systeme hat IBM wieder festen Tritt gefunden: Der gepufferte Locher 129 ist vom Markt gut aufgenommen worden. Die Anzahl der im Feld stehenden Datenerfassungs-Systeme 3741 vergrößert sich stetig. Und wie es Jetzt aussieht, hat IBM mit dem eben in den USA angekündigten System /32 (Computerwoche Nr. 4, Seite 1) die Ära der Datensammel-Systeme übersprungen, bevor sie da groß eingestiegen ist.

(aus COMPUTERWORLD) rai