Die Lehrmittel der Zukunft stecken in den Kinderschuhen:

Ein Standard bei Teachware fehlt noch

06.06.1986

Vielerlei Teachware-Produkte tummeln sich seit kurzem auf dem Softwaremarkt. Dem Anwender geht bei diesem bunten Treiben nicht selten die Übersicht - auch über den Nutzen - verloren. Deshalb legte an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln ein Forschungskreis eine Teachwareanalyse vor. Als ein Ergebnis kann gelten: Während die technische Oberfläche der Lernprogramme meist eine komfortable Bedienung ermöglicht. bleiben pädagogische Ansprüche vielfach unberücksichtigt - Voraussetzung indes für ein gewinnbringendes Lernen.

Lernprogramme sind Programme die die pädagogische Vermittlung von Lerninhalten zum Ziel haben Sie entsprechen den Regeln der programmierten Unterweisung und sollen dem Benutzer ein hohes Maß an selbstbestimmtem, differenziertem und individualisiertem Lernen ermöglichen. Die Begriffe Teachware und Lernprogramme finden allgemein synonyme Verwendung.

Die geläufigsten Lernprogrammtypen sind die tutoriellen-, Trainings- und Simulationsprogramme. Sie unterscheiden sich in Struktur und Inhalt. Tutorielle Programme vermitteln dem Anwender neue Lerninhalte, bieten Übungsmöglichkeiten und Lösungsüberprüfungen durch Tests (zum Beispiel Lernprograme zur Hardwarehandhabung). Traningsbeziehungsweise Übungsprogramme beschränken sich auf die Abfrage bereits vorhandenen Wissens wie Vokabeltrainingsprogramme), Simulationsprogramme wiederum versuchen, reale Abläufe und Gegebenheiten nachzubilden. Lernprogramm zu Räuber-Beute-System in der Ökologie.

Eine klare Abgrenzung dieser Typen ist nur in der einschlägigen Fachliteratur zu finden. Das Marktangebot zeigt eine nur in Ansätzen erfolgte Strukturierung. Die Folge sind wenig methodisch und inhaltlich differenzierte Programme.

Die Qualität des Marktangebots läßt die Frage nach pädagogischen Richtlinien, die den Programmen zugrunde liegen, aufkommen. In Fachzeitschriften werden einzelne Programme diskutiert und Empfehlungen gegeben, aber ein allgemeiner Standard wurde bislang nicht erarbeitet.

Zur Überprüfung und Beurteilung von Lernprogrammen wurde nun ein Evaluationsmodell aus Kriterienkatalog, Bewertungssystem und Programmanalyse entwickelt. Der Kriterienkatalog umfaßt 80 operationalisierte Kriterien. Auf der Grundlage dieses Katalogs basiert ein Kurzkatalog, der dem Programmbenutzer in kurzer Zeit ein Abchecken von Programmen erlaubt.

Die Anforderungen an Lernprogrammen lassen sich auf folgende wesentliche Punkte reduzieren: Eine benutzeradäquate Handhabung der Programme soll technische Schwierigkeiten vermeiden, und die Strukturanalyse der Lerninhalte muß pädagogischen Mindestanforderungen genügen.

Mit dem Kriterienkatalog wird ein Programm auf verschiedenen unterrichtswissenschaftliche, pädagogisch-psychologische, ergonomische und technische Gesichtspunkte geprüft. Eine detaillierte Aufgliederung des Bewertungsmusters in

- anthropogene Voraussetzungen

- sprachliche Form

- didaktische Gesichtspunkte

- Methodik

- Gestaltung und äußere Form

- zusätzliche Materialien

verdeutlicht die Erfassung der wesentlichen Fragenkomplexe. Die Chronologie der einzelnen Kriterien entspricht allgemeinen Unterrichtsprinzipien, die in modifizierter Form durchaus auf die programmierte Unterweisung übertragbar sind. Ein Bewertungssystem hierarchisiert die Kriterien nach Prioritäten.

Die Programmanalyse von 40, dem Marktangebot entsprechenden Produkten, gibt Aufschluß über den derzeitigen Entwicklungsstand der Lernprogramme.

Eine dem Benutzer angepaßte Methodik verlange Aussagen über Lernvoraussetzungen und eine möglichst genau definierte Zielgruppe. Beide Forderungen werden nur zu einem Fünftel erfüllt. Nur bei 12,5 Prozent der Programme sind die Angaben über die notwendigen Lernvoraussetzungen auch vor der Benutzung des Programms klar ersichtlich.

Unabhängig von den vermittelnden Lerninhalten sollen die Regeln der Orthographie, Interpunktion und Grammatik eingehalten werden. Nur 67,5 Prozent der Programme waren in fehlerfreiem Deutsch formuliert. Der Satzbau war bei 17,5 Prozent zu bemängeln, ebensoviele Programme enthielten auch stilistisch fragwürdige oder zu lange Sätze.

Lerninhalte sollen nur eindeutig und strukturiert vermittelt werden. Immerhin kamen 87,5 Prozent der Hersteller dieser Forderung durch die Einteilung der Programme in Lerneinheiten nach. Informationen zu den Lernzielen des Programms, beziehungsweise zu den Lernzielen einzelner Lerneinheiten, liegen allerdings nur bei einem Drittel vor.

Als interaktives Medium soll der Computer auf Eingaben reagieren. Die unmittelbare Rückmeldung auf jede gelöste Aufgabe kennzeichnet nicht nur die Dialogorientierung des Programms, sondern ist auch spontane Reaktion auf die jeweilige Benutzereingabe. 12,5 Prozent der Programme ignorieren dieses Grundprinzip der programmierten Unterweisung.

Die Möglichkeiten der Individualisierung eines computergesteuerten Lernprogramms erreichen ihre Grenze in der Anpassung des Programms an den Lernfortschritt des Benutzers, das heißt der Rechner diagnostiziert qualitativ und quantitativ - mittels eines Fehleranalyseverfahrens - die Schwächen seines jeweiligen Benutzers. Aufgrund dieser Daten wird der Benutzer automatisch in eine ihm entsprechende Programmverzweigung geführt. Die Realisation dieser technischen Möglichkeiten ist nur im PC-Bereich gegeben. Kein untersuchtes Programm weist diese Differenzierungsmaßnahme auf.

Tests zur Selbstkontrolle fehlen häufig

Ein vergleichsweise minimaler programmiertechnischer Aufwand besteht in der ausschließlich quantitativen Fehleranalyse. Die sich daraus ergebenden Differenzierungsmöglichkeiten sind jedoch vergleichsweise gering. Nur jedes vierte Programm verwirklicht hinsichtlich dieses Kriteriums der rechnerischen Fähigkeiten des Home- und Personalcomputers.

Zur Selbstkontrolle des Lernenden im Hinblick auf die zu erreichenden Lernziele sind Tests eine Möglichkeit, Leistungen zu messen und zu vergleichen. Ein Test, nach einer in sich abgeschlossenen Lerneinheit, verschafft dem Benutzer einen Überblick über seinen Kenntnisstand und -zuwachs. Nur ein Drittel der Programme haben Tests vorgesehen. Sechs von zehn Produkten nehmen eine Leistungsbewertung durch Noten vor. Die Notengebung kann jedoch kein adäquates Mittel sein, einem Lernenden Aufschluß darüber zu geben, in welchen Bereichen noch Schwächen bestehen. Erst differenzierte Hinweise, eventuell verbunden mit dem Vorschlag, eine bestimmte Lektion zu wiederholen, sind eine effektive Hilfe für den Lerner, sich mit seinen Wissenslücken auseinanderzusetzen. Beurteilungen müssen daher unbedingt so gestaltet sein, daß sie zu weiterem Lernen ermutigen und nicht demotivieren.

Keine "Help-Funktion" bei Fehlern

Vielfach kann der Benutzer eine Aufgabe nicht lösen, obwohl ihm nur ein kleiner Schritt bis zur richtigen Antwort fehlt. Über die Hälfte der Programme (57,5 Prozent) bieten dem Lernenden nach einer falschen Antwort weder einen neuen Lösungsversuch noch gestufte Hilfen. Eine Verstärkung nach einer richtigen Antwort entfällt bei jedem fünften Programm. Verstärkende Elemente sind, was die Leitungsmotivation angeht, unverzichtbar. Sie müssen allerdings so abwechslungsreich gestaltet sein, daß sie nicht langweilig oder ermüdend wirken. Nur die Hälfte der Programme variieren die verstärkende Aussage.

Standard für jedes Programm, ungeachtet seines Umfangs, sollte ein Inhaltsverzeichnis oder Auswahlmenü sein. 87,5 Prozent der Hersteller bieten dem Benutzer eine derartige Übersicht. Orientierungshilfen, was den Standort des Programms angeht (Kapital, Lerneinheit, Seite), geben nur 40 Prozent der Programme. Ebenfalls 40 Prozent enthalten eine Kommandozeile, die über wichtige Funktionen (Beenden, Hilfen etc.) und deren Tastenbelegung informiert.

Softwareergonomische Aspekte bei der Gestaltung des Bildschirms werden von allen Herstellern berücksichtigt. Die Aufteilung des Bildschirms in Freiflächen erfolgt bei allen Programmen. Möglichkeiten des Farbwechsels und ausreichender Kontrast zwischen Forder- und Hintergrundfarbe beinhalten 80 Prozent der Programme. Akustische Signale, sofern sie vorgesehen sind, können dahingegen nur bei knapp der Hälfte abgeschaltet werden. Nahezu alle Hersteller dokumentieren das Lernprogramm mit einem Begleitheft. Das Begleitmateral gibt meist (65 Prozent) eine Übersicht über die Struktur und die Inhalte des Programms wieder. Die Erklärungen in den Handbüchern stimmen zu 90 Prozent mit der Realisation im Programm überein.

Technisch okay - pädagogisch ein Flop

Die Teachwareanalyse auf der Grundlage des Kriterienkatalogs zeigt zwei bestimmende Tendenzen hinsichtlich der inhaltlich-pädagogischen und programmiertechnischen Gestaltung auf. Die technische Oberfläche der Lernprogramme, die Handhabung des Programms und des Computers wird von den Herstellern doch weitgehend auf ein einfaches verständliches Maß reduziert. Freilich sind bei einzelnen Programmen auch kleinere technische Hürden zu überwinden; in aller Regel wird dem Benutzer eine komfortable Bedienung ermöglicht.

Die inhaltliche Darbietung der Themen läßt pädagogische Ansprüche vielfach unberücksichtigt. Gerade aber die pädagogische Aufbereitung eines Themas ist Voraussetzung für gewinnbringendes Lernen.

Die Ergebnisse der Programmanalyse verdeutlichen die zu erwartenden Schwierigkeiten der Benutzer im Umgang mit den Lernprogrammen. Jedes Programm (oder Begleitheft) muß folgende Anwenderfragen hinlänglich klären:

- Ist das Programm für micht geeignet; entspricht es meinem Alter und Kenntnisstand?

- Welcher Inhalt wird mir vermittelt?

- Was habe ich nach der Durcharbeitung gelernt?

- Wird auf meine Schwächen eingegangen?

- Werde ich bei schweren Aufgaben unterstützt?

- Habe ich Übungsmöglichkeiten?

- Kann ich durch Tests meinen Leistungsstand ermitteln?

- Gibt mir das Programm eine festgelegte Lernabfolge vor, oder kann ich meinen Lernweg mitgestalten?

- Kann mich das Programm zur Durcharbeitung motivieren?

Wie die Untersuchung zeigt, ist die Entwicklung der Lernprogramme für Computer noch in den Anfängen. Vielseitige Einsatzfelder für die Aus- und Weiterbildung zeigen schon jetzt einen großen Bedarf. Im schulischen Bereich werden Lernprogramme als spezielle Förderungshilfen für Schüler eingesetzt. Im Weiterbildungsbereich stützen sich Fortbildungsmaßnahmen auf den Einsatz geeigneter Programme.

Lernprogramme können sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie als Medium, also als Handwerkszeug für Vermittler und Lerner gedacht sind. Erst die pädagogische Verantwortung macht Lernprogramme zu Lernmitteln der Zukunft.

Die Verfasser:

Prof. Dr. Hans Messelken ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Sprachdidaktik, Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln.

Wolfram Peters ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Empirische Sprachdidaktik, Köln, und freier Mitarbeiter der DBB-Akademie, Königswinter.

Uta Gomfers ist Lehrerin für Sekundarstufe I und freie Mitarbeiterin der DBB-Akademie, Königswinter.

Anne Görders, Ulrike Klatt und Hans-Peter Wolf sind freie Mitarbeiter der DBB-Akademie, Königswinter.

Informationen:

Universität zu Köln, Seminar für Deutsche und Englische Sprache und ihre Didaktik, Deutsche Abteilung, Professor Dr. Hans Messelken, 5000 Köln 41, Gronewaldstraße 2, Postfach 41 07 20 Fernruf 470-1

Mit dem Computer lernen - Beurteilungskriterien

Computerunterstützte Lernverfahren sollen analysiert werden, da diesem Schulungsmedium künftig wachsende Bedeutung in der Aus- und Weiterbildung eingeräumt wird. Aufgrund einer bundesdeutschen Marktübersicht wird ein differenzierter Kriterienkatalog zur Beurteilung der Programme geliefert. Parameter dabei sind pädagogische. didaktische und methodische sowie technische Prinzipien und Gestaltungsform. Der vorliegende Bericht faßt Ergebnisse einer Untersuchung zusammen, die vergangenes Jahr am Lehrstuhl für Empirische Sprachdidaktik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakulatät der Universität zu Köln durchgeführt wurde. Dieses Projekt ist eine Auftragsforschung für die Akademie des Deutschen Beamtenbundes (DBB).