Thema der Woche/

Ein neues Zahlungsmittel entsteht: Cybermoney

05.07.1996

Liza Minellis Erfolgslied "Money makes the world go round" könnte demnächst umgetextet werden in "Money goes around the world" und deutschen Banken als werbewirksamer Slogan dienen.

Nicht das Berlin der Zwischenkriegszeit wie in Bob Fosses Erfolgs-Musical "Cabaret" ist der Ort der Handlung, sondern Hilmar Koppers Geldspeicher im hessischen Frankfurt. Das Stück, das geprobt wird, handelt von selbstgeschöpftem Geld, und das Klingeln der Cyber-Kassen spielt, so hoffen die Banker, die Musik dazu. Als Bühne dient dem Deutsche-Bank-Team die ganze Welt.

In der Main-Metropole laufen derzeit die Vorbereitungen zu einem Pilotprojekt, das den bargeldlosen Einkauf im Internet auf Akzeptanz und Sicherheitsrisiken hin abklopfen soll. Als Partner der Banker agiert die niederländische Digicash N.V. des Verschlüsselungsspezialisten David Chaum.

Schon ab Herbst sollen Privatpersonen sechs Monate lang im Internet nach Lust und Laune einkaufen können, bezahlt wird per Mausklick von der Festplatte. Die Kundschaft - sowohl Interessenten als auch Anbieter müssen ein Konto bei der Deutschen Bank einrichten - lädt sich zu Lasten ihres Bankkontos zunächst elektronische Münzen vom Deutsche-Bank-Server auf den heimischen PC.

Im Pilotprojekt ist die Summe auf den regulären maximalen Ausstellbetrag eines Euroschecks (400 Mark) begrenzt. "Die elektronischen Münzen werden in D-Mark ausgegeben und bezeichnet", erklärt Christof Blum, Projektleiter bei der Deutschen Bank. Den Teilnehmern am Versuch entstehen keine Bankgebühren.

Wird der Käufer im Internet fündig, bestätigt er per Maustaste den Warenpreis, den Geldempfänger und die Artikelbeschreibung. Die E-Cash-Software zieht den Betrag aus dem Münzvorrat und transferiert ihn auf das PC-Konto des Verkäufers.

Gleichzeitig und für den Benutzer unsichtbar bestimmt die Software per Zufallsgenerator für jede Münze eine "Seriennummer". Damit soll verhindert werden, daß eine Cyber-Mark doppelt ausgegeben wird. Die Münze wandert, verpackt in einem verschlüsselten "Umschlag", zur Bank. Diese autorisiert den Betrag, ohne die Seriennummer zu decodieren, und retourniert die Münze im Umschlag an den Ausgangsrechner. Der virtuelle Umschlag macht die Transaktion nachprüfbar und verbleibt beim Käufer. Erst danach erfolgt der eigentliche Geldtransfer.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise, die auch als "verdeckte Unterschrift" bezeichnet wird, liegt in der Wahrung der Anonymität: Die Bank kennt die Seriennummern nicht, kann also auch den Weg zurückgegebener "Münzen" nicht verfolgen. Dem Verkäufer bleibt sein Kunde ebenfalls verborgen, zumindest, solange nur elektronisch verfügbare Güter eingekauft und nicht Waren an eine Adresse geliefert werden.

Das E-Cash-System ist deshalb die derzeit vielversprechendste Methode für den Zahlungsverkehr im Internet. Bereits 1992 legte die EU-Kommission das Forschungsprojekt "Cafe" (Conditional Access for Europe) auf, das den "gläsernen Bürger" vermeiden will. Unter der Führung von Chaum fand sich ein Zwölfer-Konsortium zusammen, das die technischen Grundlagen für den Einsatz von Smartkarten und elektronischen Geldbörsen entwickelte.

Nachdem im November 1995 dieses Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde, arbeitet man jetzt an "Semper" (Secure electronic Marketplace for Europe), an dem als Vertreter des Handels auch der Hamburger Otto Versand teilnimmt. "Derzeit werden die Anforderungen definiert, die für die Einführung neuer und sicherlich auch einfacher zu handhabender Zahlungsmodalitäten in Europa bestehen", erklärte Annette Busse, Pressesprecherin des Versandhauses. Erste Details sollen im Oktober bekanntgegeben werden.

Die Einführung von Cyber-Geld kommt für Busse bei Otto allerdings kaum in Frage: "Wir verfahren mit Anfragen aus dem Internet wie mit unseren sonstigen Bestellungen. Und das bedeutet sofortige Lieferung der Ware, bezahlt wird nach 14 Tagen per Rechnung." Bestellungen aus dem Ausland werden nur akzeptiert, wenn eine deutsche Liefer- und Rechnungsadresse angegeben ist.

Das Marktforschungsinstitut Input schätzt für das Jahr 2000, daß im WWW Waren und Dienstleistungen für rund 165 Milliarden Dollar den Besitzer wechseln. Davon sollen allerdings nur 45 Milliarden Dollar auf das Geschäft mit den Endkunden entfallen. Der Quelle-Versand in Fürth sichert sich bereits jetzt die Netzkundschaft und liefert im Internet bestellte Waren unter anderem auch gegen Angabe einer Kreditkartennummer aus.

Keine Chance haben ausländische Internet-Surfer, an Waren aus dem Neckermann-Katalog heranzukommen. "Wir müssen derzeit Bestellungen aus dem Ausland ablehnen", bedauert Andrew Simpson, der bei den Frankfurtern für das Marketing in neuen Medien zuständig ist.

Auch im Hause Neckermann gilt die Devise: Erst die Ware, dann das Geld. Das sei für die Kunden bequemer, da die Produkte ausprobiert und bei Nichtgefallen zurückgesendet werden können. Selbst wenn die Kundschaft die Bezahlung bei Bestellung akzeptieren würde, wären vermutlich die Buchhaltungssysteme der Versandhäuser allein mit der Erstellung von Gutschriften für retournierte Waren ausgelastet.

Dennoch sucht auch Neckermann nach einem Ausweg aus der geografischen Marktbegrenzung. Demnächst will man mit einer noch geheimgehaltenen Lösung an die Öffentlichkeit treten. Simpson glaubt allerdings, daß für seine und ähnlich geartete Firmen, der elektronische Zahlungsverkehr nicht von herausragender Bedeutung sein wird: "Wir bieten ja Produkte an, die physikalisch zugestellt werden." Etwas anderes sei es, wenn man mit Informationen oder Software handle, da müsse sofort bezahlt werden, sonst tauche der Kunde im Netz unter. "Wie soll man als Anbieter dann an sein Geld kommen?"

Das Thema Sicherheit spielt denn auch in der laufenden Diskussion die zentrale Rolle. Eine Studie von Forrester Research zeigt, daß Firmen damit rechnen müssen, bei Geschäften über das Internet einen von 1000 Dollars wegen Betrugs zu verlieren.

Das weitgehend ungesicherte globale Netzwerk kennt weder den Schutz der Privatsphäre noch Vorkehrungen gegen Datenmißbrauch. Mit Firewalls, PIN-gestützten Kryptokarten und ausgeklügelten Verschüsselungsmechanismen versucht die DV-Industrie, Hackversuche abzuwehren. Da elektronisches Geld per se duplizierbar ist, müssen sich Ausgabeinstitute auch gegen die doppelte Verwendung eines Cyber-Geldscheins absichern.

Und wer trägt das Risiko, wenn Geld abhanden kommt oder die prall gefüllte Festplatte abstürzt? Für letzteren Fall sieht der Deutsche-Bank-Manager Blum beim E-Cash-System keine Probleme, da der Kunde sich bei richtiger Installation der Software die verlorengegangenen Münzen mittels Recovery-Mechanismus neu berechnen lassen kann.

Keine Chance auf Erstattung hat allerdings, wer grob fahrlässig mit seinem Internet-Geld umgeht. "Dem Kunden sollte bewußt sein, daß er es mit einem bargeldartigen Zahlungsmittel zu tun hat, das es vor Mißbrauch durch Unbefugte zu schützen gilt", warnt Blum.

Da es derzeit noch keine allgemeinverbindlichen Regelungen gibt, können die Frankfurter eigene Ideen einbringen. Beurteilt man die bisherige Praxis der Banken beim Mißbrauch von EC-Karten, so dürfte beim Internet-Handel das Risiko soweit als möglich auf die Kunden verlagert werden. "Die Teilnahmebedingungen werden die Sorgfaltspflichten definieren", erwartet Blum für die Zukunft. Immerhin will die Deutsche Bank den Projektteilnehmern die entsprechenden Haftungsbedingungen vor Ausgabe der Cyber-Moneten mitteilen.

Die Banken dürften die durch Home-Banking und andere Verfahren entstandenen Chancen keineswegs nur dazu benutzen, veränderten Kundenbedürfnissen Rechnung zu tragen. Sie wittern auch Einnahmequellen in Form von Abgaben, die sowohl Kunden als auch Anbieter zu zahlen hätten. So erklärten 14 Prozent der von Forrester Research befragten US-Banken, sie wollten mit Home-Banking zusätzlich Geld verdienen.

Denkbar wäre, daß der Endverbraucher eine monatliche Grundgebühr für den bereitgestellten Service berappen muß. Der Händler könnte beim Rücktausch der Cyber-Münzen mit einem entsprechenden Prozentsatz belastet werden.

Dem Bankgewerbe steht durch die neuen Kanäle eine unbekannte Konkurrenz ins Haus. Derzeit ist kaum abzuschätzen, wer in Zukunft Bank- und Finanzdienstleistungen anbieten wird. Allerdings eröffnet sich den Instituten ein riesiges Einsparungspotential: die Schließung von Zweigstellen. Bereits vor einem Jahr schätzte die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf eine Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte & Touche LLP, daß in den kommenden fünf bis zehn Jahren die Hälfte aller US-Bankfilialen verschwinden werde - und mit ihnen rund 450000 Arbeitsplätze.

Mit Problemen anderer Art beschäftigen sich zur Zeit die Zentralbanken. "Die vordringlichste wirtschaftliche Verantwortung moderner Zentralbanken liegt im Schutz der Währung", erläuterte Wendelin Hartmann, Direktoriumsmitglied der Deutschen Bundesbank, kürzlich in Basel.

Wenn sich Netzgeld gegenüber Bargeld auf lange Sicht durchsetze, sollten die Zentralbanken überlegen, selbst als Emittenten aufzutreten. Außerdem müßten diese Mittel dann in die Berechnungen von Geldmenge und Mindestreservesätzen einbezogen werden.

Um die nationalen und internationalen Geldmärkte stabil zu halten, befürwortet Hartmann zudem, nur Institute zur Ausgabe von Kartengeld zu ermächtigen, die der Bankenaufsicht unterstehen. "In allen EU-Staaten sind entsprechende Initiativen bei den Gesetzgebern angestoßen worden."

Hartmann hält es allerdings für nicht allzu gefährlich, wenn Nicht-Banken als Ausgabestellen von künstlichem Geld agieren. Er gibt ihnen schlichtweg keine Chance, damit beim Publikum breite Akzeptanz zu finden. Dennoch sollten die Zentralbanken diese Aktivitäten genau verfolgen, da die meist weltweit operierenden Unternehmen sich möglichen nationalen Sanktionen leicht entziehen könnten. "Es besteht kein Zweifel, daß solche erfolgreichen Systeme in die Herzen der nationalen Währungshoheiten stoßen würden."

Angeklickt

Gesucht wird das geeignete Zahlungsmittel für das Einkaufen im Internet. Die Transaktionen mit Cyber-Geld müssen den Sicherheitsanforderungen von Käufern, Verkäufern und Ausgabestellen Rechnung tragen und sollen das Erstellen von Kundenprofilen ausschließen.

Die Deutsche Bank startet demnächst ein Pilotprojekt, und auch die Zentralbanken werden hellhörig. Sie könnten selbst als Emittenten auftreten.