Uniklinik Ulm telefoniert mit Voice over IP

Ein Netz für alle Datenarten

17.05.2002
Für das Daten- und Telefonnetz eines neuen Verwaltungsgebäudes setzte das Universitätsklinikum Ulm auf eine innovative Technologie: Statt mit einer herkömmlichen Telefonanlage wurden die ersten Arbeitsplätze über Voice over IP (VoIP) mit der Außenwelt verbunden. CW-Bericht, Jan Schulze

Daten- und Sprachübertragung über ein einheitliches, auf gemeinsamen Standards basierendes IP-Netz - als "Voice over IP" ist diese Idee seit einiger Zeit en vogue, und entsprechende Produkte sind am Markt verfügbar. Trotz aller Vorteile, die ein konsolidiertes Netz verspricht, konnte VoIP aber der herkömmlichen Telefonie noch nicht den Rang ablaufen. Bis jetzt setzen Anwender die neue Technologie in der Regel nur in überschaubaren Pilotinstallationen ein. So auch das Universitätsklinikum in Ulm. In einem ersten Projekt wurden rund 100 Arbeitsplätze über eine VoIP-Lösung mit Telefonie ausgestattet.

Anlass für das Projekt war der geplante Umzug eines Teils der Klinikumsverwaltung in ein neues Gebäude - für die IT-Abteilung der Klinik eine Chance, beim Aufbau der notwendigen Daten- und TK-Infrastruktur technologisch neue Wege zu gehen.

"Man muss schauen, dass man technisch am Ball bleibt", beschreibt Markus Feiler, Mitarbeiter der IT-Abteilung, die Stimmung. Aus seiner Sicht ist VoIP im Kommen und wird mittlerweile auch von den TK- und Netzherstellern angeboten. Es sei deshalb auf jeden Fall gut, die Technologie rechtzeitig ins Haus zu holen und erste Erfahrungen damit zu machen. Das Projektteam versprach sich von dem VoIP-Einsatz einige konkrete Vorteile, etwa eine bessere Computer-Telefonie-Integration (CTI), als sie bei der bislang eingesetzten Telefonanlage der Fall war.

Bereits Mitte 2000 begann die IT-Abteilung, sich mit dem Thema zu befassen. Da die Klinik über langfristige Verträge an die bestehenden TK-Anlagen gebunden war, ließ sich ein Pilotprojekt zu VoIP nur in einem neuen Gebäude starten, das von den bestehenden Verträgen nicht abgedeckt wird. Der Verwaltungsumzug war erst für Anfang 2003 vorgesehen. So konnten die IT-Mitarbeiter genug Zeit für eine ausführliche Vorbereitung und Tests einplanen.

Dieser Zeitrahmen wurde jedoch schnell zu Makulatur. Ein Teil der Verwaltung musste vorzeitig das bisherige Gebäude verlassen und ein Provisorium beziehen. Bereits bis Januar 2001 sollte dort eine Infrastruktur für Daten und Telefonie zur Verfügung stehen. "Wir sind damit etwas überfahren worden, dass das Projekt um zwei Jahre vorgezogen wurde", räumt Feilers Kollege Helmut Schöllhorn ein.

VoIP kostet nicht mehrDa die Uniklinik zur flächendeckenden Versorgung herkömmliche Telefonanlagen des Herstellers Siemens einsetzt, ließen sich die Verantwortlichen für das Provisorium zunächst eine Subanlage von Siemens anbieten. Alternativ kalkulierte das Projektteam den Einsatz von VoIP. Das Ergebnis der Rechnung: Für das neue Gebäude war der Einsatz einer VoIP-Lösung zumindest nicht teurer als eine normale TK-Anlage. Die Uniklinik entschied sich für die neue Technologie. Auf der Produktseite fiel die Wahl auf den amerikanischen Hersteller Cisco. Mit der Realisierung beauftragte die Klinik den Cisco-Partner NK Networks.

Die Umsetzung der Netzinfrastruktur im Gebäude stellte das Projektteam nicht vor Probleme. VoIP nutzt dieselben Basistechnologien wie ein Datennetz. Deshalb waren die Arbeitsplätze nur mit normalen Netzzugängen auszustatten. Eine separate Verkabelung für die Sprachübertragung, wie sie bei herkömmlichen Telefonsystemen üblich ist, fiel weg.

Schwieriger war es, das VoIP-Subsystem im provisorischen Gebäude an den Knotenpunkt der zentralen Telefonanlage in der Hauptverwaltung anzubinden. Statt für eine teure Standleitung zwischen den Gebäuden entschieden sich die Projektverantwortlichen für ein WLAN (Wireless Local Area Network) über eine Richtfunkstrecke. Möglich war das, da beide Standorte in Sichtweite liegen.

Nachdem die Mitarbeiter umgezogen waren und statt ihrer gewohnten Telefone die VoIP-Endgeräte benutzten, begannen die Probleme: Die Bandbreite der Richtfunkstrecke erwies sich mit 11 Mbit/s als zu gering. Sie konnte Sprache nicht in der gewohnten Qualität übertragen.

Zur Lösung dieser Schwierigkeit baute die IT-Mannschaft eine zweite WLAN-Strecke für VoIP auf. Technisch war das eine Herausforderung, erinnert sich Feiler. Die Frage lautete: "Wie bündelt man zwei Funkstrecken so, dass sich damit Sprache übertragen lässt?" Das Problem dabei ist, dass bei Sprache die Datenpakete unbedingt in der richtigen Reihenfolge und in möglichst konstanten zeitlichen Abständen beim Empfänger ankommen müssen. Auf Funkstrecken könnten diese Zeiten jedoch stark variieren, erläutert Feiler. Wenn man die Bandbreite durch ein im Datenverkehr übliches Routing auf zwei Strecken verteile, sei die korrekte Paketreihenfolge auch nicht gewährleistet, da beide Strecken unterschiedlich schnell sein könnten: "Was dann herauskommt, hört sich an, als ob man mit dem Handy durch einen Tunnel fährt."

Diesen Effekt umging das Projektteam durch eine Art Einbahnstraßenregelung: Eine Strecke überträgt die Sprache vom Endgerät zum zentralen Knoten an der Haupttelefonanlage, die andere Strecke übernimmt den Transport zurück zum Endgerät. Dadurch werden beide Funkstrecken gleichmäßig ausgelastet. Maximal 20 zeitgleiche Gespräche lassen sich laut Schöllhorn mit dieser Bandbreite übertragen. Aktuell werden zu Spitzenzeiten maximal 16 Gespräche gleichzeitig geführt.

Neben der anfänglich zu geringen Bandbreite kam es auch zu Akzeptanzproblemen seitens der Anwender. Die Kritik sei zu Beginn sehr emotional gewesen, erinnert sich Feiler: "Es war ein neues Telefon, es sah anders aus, und sauber funktioniert hat es in den ersten beiden Wochen auch nicht." Viele Anwender vermissten Funktionen, die sie von ihrem bisherigen Telefon gewohnt waren. Typische Merkmale wie "Rückruf bei Besetzt" fehlten. Auch dass die Benutzerführung und Anleitungen nur in englischer Sprache verfügbar waren, störte einige Mitarbeiter der Krankenhausverwaltung.

Diesen Problemen begegnete die IT-Abteilung, indem sie zum Beispiel in Eigenregie deutsche Benutzeranleitungen erstellte. Manche Funktionen, welche die Anwender forderten, konnten über andere Leistungsmerkmale der VoIP-Lösung nachgebildet und die Benutzer individuell darauf geschult werden.

Dass einige der üblichen TK-Leistungsmerkmale bei der Cisco-Lösung nicht implementiert sind, sieht Feiler zum Teil in Ciscos amerikanischer Herkunft begründet: "Dort ist der Umgang mit dem Telefon ein anderer." Etwa die Rückruffunktion sei ein speziell auf den deutschen Telefonumgang abgestimmtes Merkmal. "Es hat eine Zeitlang gedauert, bis Cisco auf die Idee kam, Funktionen zu implementieren, die für Deutschland typisch sind." Nun sei vorgesehen, einige dieser Merkmale mit der nächsten Softwareversion auszuliefern.

Als ein Nachteil gegenüber herkömmlichen TK-Systemen hat sich die umständliche Einbindung von Papier-Faxgeräten herausgestellt. Diese ließen sich nur mit einem erhöhten Aufwand installieren. Auch Änderungen der Faxnummer, Umzüge der Faxgeräte oder dergleichen sind deutlich komplizierter als bei normalen Telefonanlagen.

Im täglichen Betrieb haben Feiler und Schöllhorn mittlerweile jedoch überwiegend positive Erfahrungen mit VoIP gesammelt. Störungen waren nicht zu verzeichnen, obwohl in der Verwaltung keine hochverfügbare Lösung eingeführt wurde. Auch das Management der neuen Lösung stellt aus Sicht der IT-Mitarbeiter keine besondere Herausforderung dar, da überwiegend die herkömmlichen Netztechnologien zum Einsatz kommen: "Wenn das Datennetz vernünftig aufgebaut ist, stellt VoIP nur eine zusätzliche Applikation dar", so Feiler. Als nächster Schritt steht zum März 2003 die Ausstattung des Verwaltungsneubaus an. Dort werden insgesamt 250 Personen über VoIP telefonieren.

Zumindest vorerst soll diese Technologie auf den Verwaltungsbereich beschränkt bleiben. "Wenn wir das in den klinischen Bereich einführen möchten, brauchen wir vorher noch mehr Erfahrung damit", gibt Feiler zu bedenken. Schließlich können in einer Klinik durchaus Menschenleben von einem funktionierenden Telefon abhängen.

Auch sind die bestehenden Gebäude der Uniklinik noch an langfristige Verträge mit dem TK-Anlagenhersteller gebunden. Ein mögliches VoIP-Projekt im klinischen Bereich könnte deswegen laut Schöllhorn erst in ein paar Jahren anstehen: "Für 2008 ist ein kompletter Neubau der chirurgischen Klinik geplant."

Die Vorteile von VoIPVoice over IP hat gegenüber herkömmlicher Telefonie einige Vorteile im Unternehmenseinsatz:

-Bessere Integration in die IT (CTI = Computer-Telefonie-Integration), zum Beispiel Wählen direkt aus Adressdatenbanken wie Microsoft Outlook.

-Bessere Administrierbarkeit durch zentrales Software-Management.

-Geringere Infrastrukturkosten, da Daten und Sprache über ein gemeinsames Netz transportiert werden. Zusätzliche TK-Netze entfallen.

-Geringer Schulungsaufwand der Administratoren, da die im Netz üblichen Basistechnologien zum Einsatz kommen.

Abb: Aufbau des VoIP-Systems

Die IP-Telefone sind über Switches mit dem Netz verbunden. Das Subsystem selbst greift über WLAN auf das Kliniknetz zu. Quelle: Universitätsklinikum Ulm