Positive Erfahrungen bei den Fischerwerken

Ein Leitstand ermoeglicht die Feinsteuerung in der Fertigung

05.03.1993

In ihrem Hauptgeschaeft waren die Fischerwerke lange Zeit fast reine Serienfertiger: Kunststoffduebel in allen erdenklichen Variationen wanderten aus dem Lager auf Abruf in die Regale von SB-Laeden und Baustoffmaerkten. Mittlerweile hat sich die Variantenzahl an Duebeln auf gut 1000 erhoeht. Dazu kommt das wachsende Projektgeschaeft. Besondere Bauvorhaben wie zum Beispiel der Kanaltunnel oder die Sanierung der Pyramiden in Aegypten erfordern spezifische Duebelzuschnitte.

Kundenauftragsfertigung bedeutet aber in der Regel engere Liefertermine und verlangt mehr Flexibilitaet im Fertigungsablauf. Urspruenglich sah es bei den Fischerwerken im Bereich der Metallverarbeitung so aus, dass der Meister monatsweise Auftragslisten abarbeitete und Auftraege im Raum standen, ohne dass der Vertrieb im Entferntesten wusste, wann sie durchkamen. Das erzwang ernsthaftes Nachdenken in Tumlingen.

Den Verantwortlichen im Bereich Technik bot sich 1988 folgendes Bild: Das PPS-System "Miacs" von Bull, das Anfang der 80er Jahre installiert worden war und auf Serienfertigung zugeschnitten ist, deckte als reines MRP-1-Paket die Materialwirtschaft und Stammdatenverwaltung ab. Kapazitaetsabgleiche aber fehlten. Im Bereich des Qualitaetswesens (QDE) und der Betriebsdatenerfassung (BDEsah es noch ziemlich duester aus: An bestimmten Stellen des Fertigungsdurchlaufs fand eine Pruefung von Teil- und Endprodukten statt - manuell und ohne direkte Rueckkopplung in den Produktionsprozess.

Schnell wurde der Projektgruppe klar, dass eine zukuenftige computerunterstuetzte Loesung auf jeden Fall einen Kapazitaetsabgleich umfassen musste. Um Stillstands-und Ruestzeiten zu reduzieren sowie die Auslastung der Maschinen zu erhoehen, war eine Optimierung der Auftragsreihenfolge oberstes Gebot.

Doch welche Softwarepakete waeren dafuer geeignet gewesen? PPS- Systeme, die die Feinsteuerung mitabdecken, steckten noch in den Kinderschuhen. Da stiessen die Tumlinger unverhofft auf die Idee des Leitstandes, die sich Ende der 80er Jahre gerade ausbreitete.

Drei Leitstaende nahmen die Schwarzwaelder unter die Lupe. Funktional lagen sie alle etwa gleich. Nur in einem Punkt unterschied sich der Leitstand "FI-2" von der IDS grundlegend von den anderen: Er bot Offenheit. Das war fuer das Team ausschlaggebend. Der Technische DV-Leiter Alfred Haas: "Wir wollten ein Gesamtkonzept in unserer Fertigungssteuerung umsetzen, kein Sammelsurium."

Die einzige Unsicherheit bei FI-2 bestand im Background des Herstellers. War der intelligente Leitstand des Hochschullehrers Scheer moeglicherweise nur eine Eintagsfliege? Ein halbes Jahr dauerte die Testphase, bis die Zweifel bei den Fischertechnikern ausgeraeumt waren. Die Partner aus Saarbruecken waren bereit, sich mit den Schwarzwaeldern aufs Experimentieren einzulassen.

Keines der angebotenen Programme bot naemlich die Moeglichkeit, das aktuelle Betriebsgeschehen darzustellen und auszuwerten. Den Tumlingern schwebte ein integrativer Leitstand vor: "Er sollte Kristallisationspunkt sein zwischen PPS-, BDE- und QDE-System", so Alfred Haas.

Es galt zu experimentieren. "Wenn eine Computerloesung funktionieren soll, geht es schliesslich nicht nur um Hard- und Software, sondern vor allen Dingen auch um die passende Organisationsform", erlaeutert der Technische DV-Leiter. Die Metallverarbeitung mit traditioneller Werkstattfertigung diente als Testbereich.

Hier schafften die Tumlinger die zentrale Fertigungssteuerung ab. Augenfaelligste Veraenderung: Der ehemals "weit oben" agierende Disponent sitzt heute direkt neben dem Meister. Als die Erfahrungen mit den manuell gefuehrten Rumpfarbeitsplaenen positiv bewertet wurden, schufen die Pioniere im August 1991 die Schnittstelle vom Leitstand zum BDE/QDE-System. Der Informations- Regelkreis PPS-Leitstand-BDE/QDE war geschlossen.

In der Praxis funktioniert das heute so: Der Leitstand uebernimmt aus dem PPS-System woechentlich und mit einem Horizont von vier Wochen die Auftraege. Die Auftragsfreigabe, ein bis zwei Tage vor Produktion, liegt nun beim Meister, der per Simulation versucht, die Reihenfolge nach bestimmten Kriterien zu optimieren.

Die Plausibilitaets-Funktion des Leitstands sorgt dabei dafuer, dass keine Eckdaten wie Endtermin oder Leistungsgrenzen verletzt werden. Bei Eilauftraegen, Engpass-Maschinengruppen oder Materialknappheit entscheidet der Disponent nach Absprache mit dem Vertrieb oder dem Materialbeschaffer, welche Auftraege absolute Prioritaet erhalten.

Auf der elektronischen Plantafel des FI-2-Leitstands, einer DECstation 5000/200, koennen die Steuermaenner die Fertigungssituaion mit einem Blick erfassen: Farblich und groessenmaessig unterschiedliche Balken geben den Zustand des Auftrags an - von "freigegeben" ueber "Stoerung" bis "in Bearbeitung".

Ueber die Hauptfunktion der Reihenfolgen-Optimierung hinaus, bietet der Leitstand noch vielfaeltige Features wie statistische Auswertungen zum Beispiel der Soll-Ist-Vergleiche von Auftraegen oder von Arbeitsplatzbelegung. Zur besseren Uebersicht kann sich der Meister eine schematische Darstellung der Maschinengruppen, Zustandsinformationen etc. auf den Bildschirm holen.

Doch noch hat das System seine Grenzen. Die automatische Auftragsoptimierung, die der Leitstand FI-2 im Standard-Repertoire hat, scheitert bei den Fischerwerken derzeit noch an fehlenden Parametern wie Ruestschluesseln, Materialinformationen oder Werkzeugbedarf. Hier liegen die Zukunftsprojekte der Fischerwerke.

Und das Ergebnis heute? Alfred Haas und seine Mitstreiterin Martina Gerstenmayer: "Wir sind auf dem richtigen Weg, unser Ziel - die Nutzung der Anlagen mindestens um fuenf Prozent zu erhoehen - auch zu erreichen. Das heisst, die Investitionen amortisieren sich in rund zwei Jahren."

Reduzierend wirkt die integrative Leitstandsloesung aber auch auf andere Kostenfaktoren wie Lagerbestaende oder Personal. Obwohl es sich schwer messen laesst, ist Alfred Haas ueberzeugt, dass auch die Ziele der verbesserten Transparenz und Flexibilitaet schon zu einem guten Stueck erreicht wurden.

Indizien dafuer sind zum Beispiel die kuerzeren Intervalle bei der Feinterminierung, realistischere Terminzusagen an den Vertrieb oder bessere Koordination zwischen Teilefertigung und Endmontage. "Das Leitstandskonzept war goldrichtig fuer unsere Situation", lautet das Resuemee des Technischen DV-Leiters.

*Gabi Visintin ist freie DV-Journalistin in Filderstadt-Bonlanden bei Stuttgart.

Aus einer Tueftlerbude entstanden

Angefangen hat alles in einer alten Schule. 1949 erfand der gelernte Schlosser Artur Fischer in Tumlingen, einem kleinen Ort im Nordschwarzwald, den Fotoblitzer mit Synchronausloesung, der spaeter unter dem Namen "Agfa-Lux" ein Verkaufsrenner wurde.

Ab 1956 tueftelte Artur Fischer auf einem ganz anderen Gebiet. Zwei Jahre spaeter gelang dem Schwaben die Erfindung des S-Duebels. Mit ihm begann eine neue Aera in der Befestigungstechnik.

Inzwischen haben die Fischerwerke ueber 5000 Patente angemeldet. Die Produkte reichen vom Injektionsduebel bis zum Zykon-Anker aus Metall, vom Kassetten-Aufbewahrungssystem bis zum technischen Spielzeug der Marke "Fischertechnik", das heute Ingenieure auch zur Konstruktion ganzer Fertigungsstrassen in Miniaturgroesse benutzen.

Vertreten sind die Fischerwerke heute durch zwoelf Tochtergesellschaften in ueber 30 Laendern. Rund 1 800 Mitarbeiter, davon etwa 1000 Beschaeftigte in Tumlingen, erwirtschafteten 1991/1992 rund 330 Millionen Mark Umsatz.

Der Leitstand FI-2

Der Leitstand FI-2 ist das Bindeglied zwischen einem uebergeordneten PPS-System, das die Grobplanung vorgibt, und den unteren Ebenen der Fertigung wie DNC, BDE und Qualitaetssicherungs- Systemen im Produktionsbetrieb. Im Mittelpunkt von FI-2 steht eine relationale Datenbank, deren Datenstrukturen so flexibel entworfen sind, dass sie fuer die verschiedenartigsten Steuerungsprobleme Informationen bereitstellen kann.

FI-2 uebernimmt aus dem PPS-System die Fertigungsauftraege mit Eckterminen fuer Beginn und Ende der Arbeitsgaenge. Automatische Steuerungsregeln ermoeglichen eine Umdisposition der Auftraege nach bestimmten Optimierungskriterien. Dabei wird die Plausibilitaet der Auftragsplanung ueberprueft. Rueckmeldungen aus dem BDE-System schliessen den Informationskreislauf.