Geordneter Rückzug

Ein Jahr NSA-Affäre in Deutschland

02.06.2014
Der große Lauschangriff der NSA auf die Deutschen und ihre Kanzlerin sorgte im Sommer 2013 für große Empörung. Inzwischen bemüht sich die Bundesregierung, möglichst über andere Dinge zu reden. Das hat auch mit der Erkenntnis über die eigene Machtlosigkeit zu tun.

Zurückschauen kann lästig sein. Und ernüchternd. Die Bundesregierung richtet ihren Blick - ein Jahr nach den ersten Enthüllungen über den Datenhunger des US-Geheimdienstes NSA - daher demonstrativ nach vorne. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Minister sprechen dieser Tage betont wohlwollend über die deutsch-amerikanische Freundschaft. Über die Enttäuschungen und das verloren gegangene Vertrauen unter den Freunden mag niemand von ihnen mehr so gerne reden. Auch nicht über die eigene Erfolglosigkeit. Die Amerikaner haben die Bundesregierung in den vergangenen Monaten immer wieder auflaufen lassen. Nach der anfänglichen Empörung über die US-Ausspähung setzt Berlin inzwischen auf geordneten Rückzug.

Kanzlerin Merkel mit einem sicheren Telefon - benutzt hat sie leider ein anderes, das die NSA abhören konnte...
Kanzlerin Merkel mit einem sicheren Telefon - benutzt hat sie leider ein anderes, das die NSA abhören konnte...
Foto: Deutsche Messe

Anfang Juni 2013 brachte der Amerikaner Edward Snowden seine Erkenntnisse über die Datensammelwut der National Security Agency (NSA) an die Öffentlichkeit. Der Ex-NSA-Mitarbeiter übergab damals zahllose vertrauliche Geheimdienstdokumente an Journalisten. Sie zeigen, wie die NSA und andere ausländische Nachrichtendienste massenhaft Daten abgreifen, Kommunikationswege anzapfen und systematisch überwachen - mit Vorliebe auch in Deutschland. Selbst das Handy von Merkel hörte der US-Geheimdienst demnach jahrelang ab.

Damals, als die ersten Berichte auftauchten, war die Empörung in Deutschland groß. Das Geheimdienstkontrollgremium im Bundestag setzte etliche Sondersitzungen an. Die Bundesregierung sandte Fragenkataloge an die US-Regierung und bat um Aufklärung. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) reiste zu Gesprächen in die USA. Doch die Ergebnisse von all dem waren dürftig.

Die schriftlichen Fragen der Bundesregierung haben die Amerikaner bis heute nicht beantwortet. Das zwischenzeitlich von den USA in Aussicht gestellte "No-Spy"-Abkommen, das der gegenseitigen Ausspähung Grenzen setzen sollte, ist vom Tisch. Deutsche Geheimdienstler fragten auch vergeblich nach Zugang zur US-Botschaft in Berlin, um dort ominöse Dachkonstruktionen zu inspizieren, die Horchposten sein könnten.

Viel mehr als warme Worte gab es nicht von US-Seite. Ein paar Korrekturen der NSA-Praxis hat die US-Regierung versprochen, die Arbeit des Geheimdienstes aber grundsätzlich verteidigt. Einen Kurswechsel gibt es nicht. US-Geheimdienstobere ließen vielmehr wissen: Was wir tun, das macht doch jeder. So what?

Inzwischen hat im Bundestag ein Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre seine Arbeit aufgenommen. Er soll den vielen offenen Fragen nachgehen. Die Macht des Gremiums reicht aber nicht bis ins Ausland. Um Zeugen oder Akten aus den USA kann der Ausschuss nur bitten. Ob die Amerikaner dem nachkommen, ist fraglich.

Um den Zeugen Snowden gibt es im Ausschuss heftiges Gerangel. Der Amerikaner ist vorübergehend in Russland untergekommen, doch er sucht dringend nach einer neuen Bleibe. Die Opposition will ihn für eine Aussage nach Deutschland holen. Die Bundesregierung müsste dafür die Voraussetzung schaffen, will das aber nicht tun und begründet dies mit dem möglichen Schaden für das Verhältnis zu den USA.

Merkel sagte kürzlich, Deutschland könne sich keinen besseren Partner als die Vereinigten Staaten wünschen. Und der jetzige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärt wiederkehrend, die Kooperation mit den Amerikanern sei für die Sicherheit Deutschlands unverzichtbar. Die Beziehung zu den USA seien nun mal wichtiger als "das schwierige Thema NSA". Das klingt nach: Abhaken und Weitermachen.

Bei seinem jüngsten Besuch in Washington bemühte sich de Maizière, "das schwierige Thema" überhaupt nur am Rande anzusprechen. Statt sich mit Aufklärung und Aufarbeitung abzumühen, setzen beide Seiten nun auf darauf, in die Zukunft zu schauen - etwa auf das Thema Internetsicherheit. "Cyberdialog" nennt sich das in der deutsch-amerikanischen Regierungssprache.

Ob es überhaupt ein Ermittlungsverfahren in Deutschland wegen der NSA-Affäre geben wird, ist unklar. Mehrere Medien berichteten, Generalbundesanwalt Harald Range habe sich gegen den Schritt entschieden - aus Mangel an belastbarem Material. Opposition und Netzaktivisten reagierten empört. Sie sprechen von einer Verweigerung der Aufklärung, von Rechtsbeugung und einem Kotau der Ermittler. Eine offizielle Verkündung der Entscheidung steht aber noch aus.

Die NSA-Affäre hat auch die Frage aufgeworfen, wie es die deutschen Geheimdienstler mit dem Gesetz halten. Verfassungsrechtler beklagen, der Bundesnachrichtendienst (BND) agiere bei seiner Auslandsaufklärung im rechtsfreien Raum und könne - ähnlich wie die NSA - nahezu nach Belieben Daten sammeln, speichern und auswerten. Das Thema wird wohl bald das Bundesverfassungsgericht beschäftigen.

Auch Snowden wirft dem BND vor, mit ähnlichen Methoden zu arbeiten wie die NSA. "Die deutschen Dienste liegen mit den Amerikanern in einem Bett", sagte er kürzlich in einem Interview. Wohl aus diesem Grund gebe es von Teilen der Bundesregierung Widerstand gegen die Aufklärung der NSA-Praktiken. (dpa/tc)