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Ein Jahr Lkw-Maut: Von der Pannen- auf die Erfolgsspur

19.12.2005
Die Mautkontrolleure des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) pirschen sich auf der Autobahn 111 bei Berlin behutsam an den verdächtigen Sattelzug heran.

Bei Tempo 90 setzt BAG-Fahrer Ralf Nieke mit seinem Kleinbus zum Überholen an. Die elektronische Datenabfrage seines Kollegen ergibt: "Fahrzeug nicht eingebucht." An der nächsten Abfahrt lotst Nieke den Trucker aus dem fließenden Verkehr. Bei Prüfung des Fahrzeugscheins folgt die Überraschung: Das zulässige Gesamtgewicht beträgt nur 11,99 Tonnen. "Nur zehn Kilo mehr und er wäre mautpflichtig", sagt Nieke.

Ein Fall unter vielen. Die Kontrolle der Maut ist seit ihrer Einführung vor fast einem Jahr wie das Funktionieren des gesamten Gebührensystems selbst längst zur Routine geworden. 280 BAG-Fahrzeuge kreuzen seitdem auf dem 12.000 Kilometer umfassenden Autobahnnetz. Nach langwierigem spektakulärem Vorlauf war das neue Gebührensystem zum 1. Januar 2005 gestartet - nach einigen Pleiten und Pannen mit 16-monatiger Verspätung.

Das von Telekom und DaimlerChrysler gebildete Hersteller- und Betreiberkonsortium Toll Collect hatte sich bis in die Anfänge des Jahres 2004 hinein mehrfach kräftig überschätzt. Das hoch gepriesene technologische Wunderwerk aus Mobilfunk und satellitengestütztem Global Positioning System (GPS) war längst nicht soweit: Zwei Starttermine - 31. August und 2. November 2003 - konnten nicht eingehalten werden.

Bei Neuverhandlungen am 17. Februar drohte dem Vorzeigeprojekt gar das Aus. Erst ein Spitzengespräch mit Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 29. Februar brachte die Wende: Verträge wurden nachgebessert, der neue Fahrplan eingehalten - jedenfalls in der ersten Stufe einer einfachen Version für die Lkw-Bordcomputer (On-Board Units oder kurz OBUs). Sie können einmal eingegebene Daten wie Mauttarife und -strecken für die automatische Abbuchung der gebührenpflichtigen Abschnitte nutzen.

Erst zum 1. Januar 2006 steht die zweite volltechnisierte Stufe zur Verfügung. Nach einer Software-Auffrischung sollen die OBUs künftig zu weiteren automatischen Leistungen in der Lage sein: zur Erfassung neuer mautpflichtiger Autobahnstrecken und zur Differenzierung des Mauttarifs. So ist im späteren Verlauf 2006 an eine weitere Staffelung des Mauttarifs nach Schadstoffausstoß und an eine Einbeziehung noch auszuwählender Bundesstraßen in die Gebührenpflicht gedacht. Zur Entlastung der überfrachteten Autobahnen werden zeitlich verschiedene Gebühren geprüft: höhere am Tage und niedrigere nachts. Im Schnitt beträgt der Mautsatz derzeit 12,4 Cent je Kilometer. Dies soll sich zum Jahresanfang zunächst nicht ändern.

Nach Expertenangaben sind Ministerium und Konsortium seit April 2004 von der Pannen- auf die Erfolgsspur gewechselt. Das technische System funktioniere reibungslos - abgesehen von viel Kritik des Bundesverbandes Güterverkehr und Logistik, der das Kontrollsystem mit seinen auf Deutschland verteilten 300 Brücken und den BAG-Trupps für unzureichend hält. Dies führte zum Streit mit dem Ex-Verkehrsminister Manfred Stolpe, der das Kontrollsystem für ausreichend hielt. Es zeige realistisch an, dass die Mautprellerquote unter zwei Prozent liege. Stolpes Nachfolger Wolfgang Tiefensee (beide SPD) will den Anteil noch weiter zurückdrängen. Bis Ende November wurden laut Ministerium 120.000 Bußgeldverfahren abgeschlossen. Die Bußgelder umfassten 2,5 Millionen Euro.

Das Aufgreifen verdächtiger Brummis, die wegen des Gewichts von knapp unter 12 Tonnen am Ende doch legal ohne Maut fahren, könnte schon bald staatliche Einnahmeprobleme aufwerfen. Manche Spediteure greifen in die Trickkiste: "Die gehen zur Zulassungsstelle und lassen sich die Papiere umschreiben", sagt BAG-Kontroll-Leiter Harald Schmidt. "Dann darf der Spediteur zwar zehn Kilo weniger transportieren, aber das tut ihm nicht weh."

Das Verkehrsministerium rechnet für 2005 nur noch mit Mauterlösen von 2,85 Milliarden Euro - 150 Millionen unter der Zielmarke von drei Milliarden, aber etwas mehr als im Etat eingeplant. Das Ziel für 2006 nennt nun 2,9 Milliarden. Das System hat dennoch weiterhin alle Aussichten auf Erfolge, wenn damit bald umfassend Verkehrssteuerung betrieben und Ballungszentren zum Beispiel stärker bemautet werden. Spekuliert wird außerdem auf das große Auslandsgeschäft: China hat bereits intensive Gespräche mit der Bundesregierung aufgenommen. (dpa/tc)