TV-Kanal mit virtuellem Marktplatz

Ein Händlernetz für Bohnen und Schnaps geht online

17.09.1999
MÜNCHEN (CW) - Vergangene Woche nahm in Großbritannien das erste satellitengestützte Branchenfernsehen mit angeschlossenem Internet-Handelsplatz seinen Betrieb auf. Der von der Company Electronic Food and Drink Exchange (Efdex) betriebene Service richtet sich an die Nahrungsmittelindustrie.

Zur Zeit kommt das Branchenfernsehen von Efdex aus TV-Studios in Reading bei London. "Schon jetzt verfügen wir über so viele Reporter und Produzenten, daß wir zwölf Stunden am Tag senden können", schwärmt Vorstand Tim Carron Brown, der sich bereits als Gründer der britischen Handelspublikation "Marketing Week" einen Namen gemacht hat. Rund 55 Korrespondenten berichten aktuell von Fischmärkten, Getreidebörsen und Importzentren. Verbreitet werden die Produkt- und Preisinformationen sowie zielgruppenspezifische Werbung und Sonderangebote per Satellitensystem von Eutelsat.

Zum Empfang benötigt der Kunde eine handelsübliche Satellitenschüssel sowie eine E-Box, die mit einem PC verbunden ist. Die E-Box stammt von der kalifornischen SCM Microsystem Inc., Los Gatos, die hierzulande eine Vertretung in Pfaffenhofen an der Ilm hat. Der Hersteller von Zugangskontroll- und IT-Produkten für OEMs schloß diesbezüglich mit Efdex einen Vertrag mit 18monatiger Laufzeit im Wert von 18 Millionen Dollar. Die Nachrichten werden im MPEG-4-Format bei 800 KB/s übertragen.

Doch der digitale Lebensmittelkanal bildet nur einen Teil des Efdex-Projekts. Dazu kommt ein Online-Handelssystem, dessen Software im wesentlichen von der britischen IBM-Multimedia-Group stammt. Die Kunden erhalten die Preisinformationen zu Kaffee, Ketchup und Knoblauch auf einer Bildschirmhälfte des PCs, die andere Hälfte nimmt das Angebots- und Bestellsystem ein. Offerten lassen sich an alle angeschlossenen Efdex-Kunden adressieren, aber auch an ausgewählte Handelspartner, die einen geschlossenen Nutzerkreis aufbauen können.

Für Online-Verweigerer und den technischen Support verfügt Efdex über ein Call-Center, das sich im britischen North Harbour befindet. Es wird mit Hilfe des Tivoli-Frameworks "TME" von der IBM gewartet. Der IT-Branchenriese stellt auch die 19 Knoten mit je vier Prozessoren, die in symmetrischem Multiprocessing laufen.

Rund 100 Millionen Dollar sollen nach Angaben der Betreiber bis dato in die Entwicklung des Online-Handelssystems geflossen sein. Um etwaigen technischen Vorbehalten vorzubeugen, stattet Efdex seine ersten Kunden mit PC, E-Box, Software und Satellitenschüssel aus.

Das ist laut Tom Zielinski, IT- und Technology Director bei Efdex, notwendig, da beispielsweise längst noch nicht alle Hotels mit dem Gebrauch von PCs, geschweige denn mit virtuellen Handelsplätzen vertraut sind.

Zum Start kann Efdex bereits namhafte Kunden präsentieren: zum Beispiel die Lebensmittelkette Tesco, die Hotels der Radisson SAS Group und das Ritz in London, den Großhändler Teest sowie die Produzenten Barilla und United Bisquits. Sie alle gehören zu den 20 Handelspartnern, die am Betaprogramm von Efdex teilnehmen. Ende dieses Monats soll die Zahl auf 200 ausgedehnt werden, und am 1. November will Efdex 3000 Anbieter und Käufer an das virtuelle Handelsforum angeschlossen haben.

Produzenten, Lebensmittelhändler und Großabnehmer wie Hotels und Restaurants auf einem virtuellen Marktplatz zusammenzubringen klingt auf den ersten Blick vielleicht unspektakulär. Dennoch trägt das Projekt den Keim für das ganz große Geschäft in sich. Die Lebensmittelbranche setzt weltweit rund elf Billionen Dollar jährlich um. Efdex-Planer gehen davon aus, daß beispielsweise in den USA rund 15 Prozent des Handels über den virtuellen Markt laufen könnten. Die Firma nähme dadurch rund drei Milliarden Dollar pro Jahr ein. Die Handelspartner sollen vorerst keine Teilnahmegebühren an Efdex zahlen. Kommt jedoch ein Geschäft zustande, will das Unternehmen 1,2 Prozent der Transaktionssumme kassieren.

Das Konzept scheint zumindest namhafte Finanziers zu überzeugen. Dazu zählen Bill Cox, dessen Familie einen beträchtlichen Anteil an der Dow-Jones & Company Inc. besitzt, und Ian Molson, Erbe des Brauerei-Imperiums "Canadian".

Obwohl das Geschäft international angelegt ist, wählte Efdex einen nationalen Markt für den Start aus. Die britischen Inseln verfügen über eine recht geschlossene Infrastruktur für den Lebensmittelhandel, erläutert Tom Zielinski. Diese wolle das Unternehmen nutzen. Zwar können die Anbieter schon jetzt aus aller Welt stammen, als Käufer kommen jedoch nur Briten in Frage.

Aber schon Weihnachten beginnt der Efdex-Handel in den USA, und im Frühjahr 2000 soll ein Netz in Frankreich hochgezogen werden. Vorbild ist nach Efdex-Angaben der Finanzplatz von Bloomberg (siehe:www.bloomberg.com).