Ein Drittel der Systemhaeuser ist dringend sanierungsbeduerftig Kurt Iser Siemens Private Netze (PN), Leiter Internationaler Partnervertrieb

24.11.1995

Nun ist es also endlich soweit: Quer durch den gesamten Computer- und Kommunikationsmarkt ertoent das hohe Lied vom "qualifizierten Systemhaus" als begehrtem Partner im beratungsintensiven Produkt- und Systemgeschaeft. Mittelstaendische Systemhaeuser erfreuen sich in Europa und weltweit bei den IT-Herstellern verstaerkter Wertschaetzung. Alle "lieben" jetzt ihre Partnerunternehmen, zumindest deren Vertriebskraft, Infrastruktur, Branchenwissen und Kundenpotential.

Selbst Branchenprimus SAP mit seinem Renner R/3 macht heute kein Hehl daraus, dass die angestrebte Marktfuehrerschaft im Mittelstand nur mit Hilfe spezieller Systemhaeuser zu erreichen ist. Andere haben schon vorher gehandelt, Partnerkonzepte entwickelt, Partner gewonnen und gemeinsam entsprechende Erfahrungen gesammelt.

Keine Frage, diese Entwicklung hat der Branche gutgetan. Denn nicht die Technik ist heute und morgen das Problem, sondern die Frage der richtigen Vermarktung. Der Kundennutzen steht letztlich im Vordergrund und ist der Schluessel zum Erfolg. Viele Erzeugnisse, die vor einigen Jahren noch Privileg des Direktvertriebs waren, werden heute als Consumer-Produkte ueber neu entstandene Massenkanaele vermarktet. Und selbst dort, wo Beratung, Betreuung und Service unverzichtbar sind, ist der Direktvertrieb angesichts des Margenverfalls weltweit gezwungen, sich auf das Grosskunden- und Strekkengeschaeft zu konzentrieren.

Was uebrigbleibt, sind immerhin noch 95 Prozent der Wirtschaftslandschaft, also der vielzitierte Mittelstand. Und der schaetzt nun einmal die Zusammenarbeit mit ortsnahen, flexiblen und branchenkundigen Systemhaeusern mit ihrer Philosophie "der Gesamtloesung aus einer Hand". Goldene Zeiten also fuer mittelstaendische Systemhaeuser? Die Antwort faellt nicht leicht. So sehr der Aufstieg dieser Firmen angesichts der Marktbeduerfnisse auch zu begruessen ist, man darf nicht uebersehen, dass ein Teil der Systemhaeuser unter erheblichen Defiziten leidet.

Ob es sich dabei um die mangelnde Marktausschoepfung, die fehlende Konzentration auf die eigenen Kernstaerken, das unzureichende Dienstleistungsgeschaeft oder um Finanzierungs- und Personalprobleme handelt, Grundlage dafuer bildet stets ein bedenkliches Strategiedefizit.

Faellt der Begriff "Strategie", so schalten manche Mittelstaendler auf Durchzug. Kein Wunder, denn zahlreiche Systemhaeuser verfuegen heute noch ueber kein klares Unternehmenskonzept. Menschlich mag dies angesichts der latenten persoenlichen Ueberbelastung vielleicht verstaendlich sein. Aber das interessiert weder Mitbewerber noch Kreditgeber. In der Praxis dominiert kurzfristiger Aktionismus. Fuer die laengst faellige Anpassung der Unternehmensstrategie fehlt es nicht nur an Zeit und Methoden, sondern auch an dem notwendigen Mut zur ehrlichen Bestandsaufnahme einschliesslich einer gruendlichen Staerken-Schwaechen-Analyse.

Mehr als ein Drittel der deutschen Systemhaeuser ist heute nach uebereinstimmender Auffassung von Insidern dringend sanierungsbeduerftig. Einige noch ganz frische Konkursantraege koennen hier nur als finale Bestaetigung gewertet werden. Und dennoch schieben nicht wenige Patienten die laengst faellige Operation immer wieder vor sich her.

Ueber die Gruende kann man raetseln: Angst vor der Wahrheit, vor Gesichts- und Prestigeverlust? Oder nur das Gefuehl, vor einem Berg von Problemen zu stehen? Dabei geht es im Kern eigentlich nur um die Beantwortung von drei grundsaetzlichen Fragen: Wo stehen wir? Wo wollen und muessen wir hin? Was muessen wir dafuer tun?

Wer sich mit diesen Fragen konsequent auseinandersetzt, kommt von der Ist-Situation zwangslaeufig zur Definition von Strategie und Zielen. Die anschliessend festzulegenden Massnahmen stehen dann auf einem soliden Fundament. Strategie wird so zum permanenten und pragmatischen Ueberlebensfaktor.

Es ist bitter, aber wahr: Viele Unternehmen, speziell in der Computer- und Informationsindustrie, sind nicht an unabwendbaren Schicksalsschlaegen gescheitert, sondern an der eigenen Unfaehigkeit, rechtzeitig auf neue Entwicklungen und Trends zu reagieren. Solche Strategiedefizite muessen nicht sein. Wer nach vorne denkt und sein Unternehmenskonzept kontinuierlich ueberprueft, ist auf dem richtigen Weg. Dies gilt fuer Grossbetriebe ebenso wie fuer mittelstaendische Unternehmen. Es waere an der Zeit, dass der Mittelstand die ihm gegebene Kernstaerke der Flexibilitaet auch im strategischen Bereich endlich besser nutzt.