Ein Downsizing-Projekt in den Vereinigten Staaten CICS-Applikationen laufen auch in einem PC-Netzwerk

02.12.1994

Von Hagen Cyrus*

PC-Netze sind durchaus in der Lage, mittlere Mainframes zu ersetzen. Das belegt zumindest das Beispiel des Orange County Besitzschaetz-Bueros (OCPA), Orlando, Florida, wo ein IBM-System 4381 ausgemustert wurde.

Eine Angestellte der OCPA steht mit einem Laptop vor einem Haus. Sie gibt Informationen ueber das Grundstueck ein, mit deren Hilfe die Grundsteuer fuer dieses Anwesen festgelegt wird. Sobald sie mit der Datenerfassung fertig ist, markiert sie ein Icon auf ihrem Schirm, und die Informationen werden ueber den Aether in die zentrale Datenbank von OCPA gesendet, die damit automatisch aktualisiert wird. Falls irgend etwas schieflaeuft oder der Supervisor eine Frage hat, kann die Angestellte ein E-Mail in gleicher Weise senden und empfangen.

Im OCPA-Buero analysiert der Supervisor ein Agrargebiet mit Hilfe eines digitalen Bildsystems. Dieses stellt Flaechen einer Quadratmeile in 24-Bit-Farben dar. Die Bilder sind detailgenau,

so dass er die Objekte so gruendlich begutachten kann, als waere er selbst dort. Diese Bilddokumente sind neben 1,5 Millionen anderen in einem optischen Bildsystem der OCPA gespeichert. Alle Daten sind ueber das Netzwerk allen Benutzern zugaenglich.

Vor drei Jahren arbeiteten die OCPA-Angestellten noch gaenzlich anders. Damals stuetzte sich die Datenverarbeitung auf ein IBM- System des Typs "4381".

Es gab keine Bildbearbeitung fuer Luftaufnahmen und Dokumente, geschweige denn PCs. Im Fruehjahr 1991 stand die IT-Abteilung der OCPA vor der Notwendigkeit, den Mainframe aufzuruesten.

Die Entscheidung wurde von der Sorge vorangetrieben, dass die IBM 4381 nicht maechtig genug waere, die gestiegene Verarbeitungslast zu tragen. Die IBM sollte ermitteln, ob man den bisherigen Rechner behalten koenne. In diesem Falle, so ergaben hausinterne Analysen, muessten zusaetzlich zu den momentanen Kosten jaehrlich etwa 1,8 Millionen Dollar aufgewendet werden. Die Erhaltung des Status quo wuerde also viel Geld kosten.

Dieser Planungsvariante standen technische Anforderungen fuer die naechsten Jahre gegenueber, die mit dem bisherigen System nicht zu erfuellen waren: Farbbildbearbeitung, offene Architektur und Anschluss an andere Betriebssysteme und Plattformen. Grossrechnersoftware war entweder hierfuer nicht verfuegbar oder abschreckend teuer.

Vielversprechende und preisguenstige Software existiert dafuer auf PC-Ebene. So reifte die Idee, die Datenverarbeitung auf ein PC- Netz zu migrieren.

Jedoch gab es 1991 wenig Information und keine praktische Erfahrung mit einem derart grossen Downsizing-Projekt. Dennoch entschied sich OCPA fuer das Vorhaben.

Um das wirtschaftliche Ergebnis vorwegzunehmen: Bereits im ersten Jahr nach Abschluss reduzierten sich die Kosten um 800000 Dollar bei einem Gesamtbudget von 1,8 Millionen Dollar.

Es folgt ein Tagebuch des Projekts, in dessen Rahmen Hunderte von CICS-Programme auf ein PC-Netz portiert wurden:

Fruehsommer 1991

Nach vierwoechiger Diskussion genehmigt das Topmanagement das Downsizing-Projekt. Die Plaene fuer die Netzarchitektur werden besprochen. Das neue System soll alle Funktionen des Mainframes uebernehmen koennen.Methoden fuer Datensicherung, Versionsvewaltung, Stapelverarbeitung und CICS-Unterstuetzung muessen entwickelt werden.

Diese Anstrengungen sind eine gute Gelegenheit, die Geschaeftsablaeufe zu analysieren und zu optimieren.

Sommer 1991

Die Analyse der Mainframe-Prozesse ist abgeschlossen. Listen werden kuenftig statt auf Tabellier- auf Normalpapier angefertigt, so dass sich kostenguenstige Laserdrucker verwenden lassen.

Die Auswahl von Systemsoftware beginnt. Fuer die Entwicklung von PC-CICS-Anwenundgen wird "CA-Realia" mit einem SPF-Editor und "Realia-CICS" von Computer Associates verwendet. Novells "Btrieve" soll das Datei-Management-System werden.

3.Juni 1991

Die Portierung der Cobol-Programme wird in Angriff genommen und Software fuer die Bildbearbeitung installiert. Wichtig ist, dass beide Systeme gleichzeitig verfuegbar werden.

14. Juni 1991

Als groesster Brocken erweist sich die Konvertierung des Cobol- Altsystems. Ueber 700 Stapel- und 250 Online-Programme muessen ueberarbeitet werden, um effizient unter dem gewaehlten Compiler zu laufen. In einem Jahr soll das Projekt abgeschlossen sein. Der Tag fuer das Abschalten der IBM 4381 wird vereinbart.

31. Juli 1991

Der erste groessere Job-Bereich ist konvertiert. Testlaeufe ergeben, dass das Programm auf dem neuen 486er-Server ueber zehn Stunden arbeitet, waehrend es auf dem Mainframe nur eine Stunde braucht. Scheitert das Projekt an Performance-Problemen?

22. August 1991

Eine Loesung ist gefunden. Batch-Jobs laufen jetzt auf einem separaten Server, der mit einem Glasfaserkabel als Backbone mit dem Datenbank-Server verbunden ist. Die Laufzeit reduzierte sich auf 25 Minuten, liegt also niedriger als auf dem Mainframe.

20. September 1991

Einige Mitarbeiter sehen resigniert im Mainframe die einzige Zukunft. Die uebrige Belegschaft besteht aus Computerfachleuten mit mehreren Jahren Erfahrung. Sie betrachten das Projekt als Abenteuer, das jede Hingabe wert ist. Weiteres Feilen an der Konvertierung: Die Mitarbeiter haben das Problem mit den Langlaeufern entdeckt. Jedes folgende Programm wird auf dem Mainframe ausgefuehrt, konvertiert und anschliessend auf dem PC ausgefuehrt. Die Ergebnisse werden verglichen und so weiter. Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess ist das Testen der duplizierten Datenbanken auf Mainframe und Server. Mit dieser Technik lassen sich Ungenauigkeiten zuverlaessig finden.

Herbst 1991

Eine breite Datenverbindung zwischen den einzelnen Servern soll geschaffen werden.

28. Oktober 1991

Der synchronisierte Entwicklungs- und Installationsprozess ermoeglicht es, waehrend der Konvertierung des Altsystems eine Bildbearbeitung zu installieren, zu testen und freizugeben, Dokumente zu erstellen und Anwender zu trainieren. HP-Optical- Disk-Jukeboxes werden installiert, um die Speicherkapazitaet fuer Bilder zu erhoehen.

8. November 1991

Ein Netzwerk ist installiert, das die Systeme unterstuetzt, die auf dem Mainframe unbezahlbar oder nicht verfuegbar waren. Digitale farbige Luftbilder helfen dem Sachbearbeiter nun bei seinen Immobilien-Untersuchungen, ohne dass er seinen Schreibtisch verlassen muss.

Jahreswende 1991/1992

Das Entwicklungsteam berichtet von einer schlechten Performance der CICS-Module. Die gegenwaertige Konfiguration verursacht sehr starken Netzverkehr, wodurch die Performance drastisch beeintraechtigt wird.

Um die Netzbelastung zu verringern, werden die entsprechenden CICIS-Module beim Login in jeweils 3 MB grosse RAM-Disks geladen. Ein Programm, das die Kennung des Benutzers liest, laedt nur die von ihm benoetigten Module. Ueber Windows sind alle anderen Systeme erreichbar. Dadurch wird das Netz entlastet, und die Antworten kommen schnell.

3. Februar 1992

Das Luft- und Bodenbildsystem wird implementiert.

Fruehjahr 1992

Eine Schnittstelle zwischen lokalem Netz (LAN) und Wide Area Network (WAN) wird konzipiert. Das eingesetzte TCP-IP-Gateway bewaehrt sich. Darueber erhalten die OCPA-Mitarbeiter via PC Zugang zum regionalen Geographic Information System (GIS), auf das sie bei ihrer Arbeit angewiesen sind.

Zur Benutzung von GIS braucht man ein leistungsfaehiges und teures (30000 Dollar) System. Eine Kooperation mit Geovision, Lizenzgeber von GIS, zur Erstellung einer PC-Version wird ueberlegt. Ueber ein solches System koennten Hunderte von PC-Benutzern Zugang zum GIS- System erhalten.

31. April 1992

Doug Seaborn, CEO von Geovision, gibt seine muendliche

Zusage fuer eine Zusammenarbeit.

Sommer 1992

Die Konvertierung der Cobol-Altprogramme ist abgeschlossen und getestet. Sie koennen in Produktion gehen. Damit werden jaehrlich Immobilien im Wert

von 33 Milliarden Dollar geschaetzt. Obwohl das System mehrmals erprobt wurde, entscheidet das Topmanagement, den Mainframe als Backup zu behalten, "falls einmal etwas schiefgeht".

Herbst 1992

Der IBM-4381-Grossrechner wird offiziell abgestellt. Die Verarbeitung im neuen System bewaehrt sich. Der seither weitgehend unbenutzte Mainframe soll nun doch abgebaut werden.

3. November 1992

Die Cobol-Systeme laufen zufriedenstellend, und die Bildverarbeitungssysteme sind stabil. Probleme macht die mangelhafte Leistung beim Scannen von Dokumenten.

Winter 1992-1993

Es wird die Entscheidung getroffen, das Projekt fuer das Luft- und Bodenbildsystem zu verlaengern. Ausserdem werden Moeglichkeiten eroertert, Daten vor Ort mit einem Laptop zu sammeln. Diese Diskussion fuehrt zur Entwicklung des "Project Field Link".

Fruehjahr 1993

Die Schulung der Mitarbeiter kostet fuenf bis zehn Prozent vom gesamten IT-Budget. Waehrend des Downsizing-Projekts wurde dieses Geld verwendet, um IT-Mitarbeiter und Anwender mit den neuen Techniken vertraut zu machen.

14. April 1994

Das Luftbildsystem geht in Produktion. Mehr als 910 Quadratmeilen sind in 24-Bit-Farben auf optischen Platten gespeichert und im Netz via HP-Jukeboxes verfuegbar. Die Genauigkeit der Darstellung reichte etwa dafuer aus, dass die Umweltschutzbehoerde EPA aufgrund dieses Bildmaterials einzelne sterbende Baeume inmitten lebender identifizieren kann.

Fruehsommer 1994

"Project Field Link" ist abgeschlossen. 50 Laptops der Marke AST/GRID Convertibles wurden angeschafft. Das entwickelte System nutzt Pen-Computing, Windows und neue Datenfunktechniken. Eine kurze Beruehrung des Bildschirm-Icons mit dem Stift, und die Daten werden zur zentralen Datenbank uebertragen.

Ein Nebeneffekt ist, dass sich mit Visual C++, Visual Basic und CA- Clipper objektorientierte Werkzeuge in der bisher von Cobol- Spezialisten gepraegte Entwicklungsmannschaft etabliert haben.

Masszahlen des Projekts:

- 750 Stapelprogramme konvertiert

- 150 Dialogprogramme konvertiert

- mindestens 80 Anwendungen im Netzbetrieb

- Laufzeit des Migrationsprojekts: 14 Monate

- 300 Dialogteilnehmer

Laufzeitvergleich zwischen Mainframe und PC/LAN

- Online: CICS-Performance wurde drastisch verbessert: konstantes Antwortzeitverhalten unter einer Sekunde

- Stapel: Mainframe; PC/LAN; Jobname

4,0 Stunden; 49 Minuten; Massenupdate

3,0 Stunden; 69 Minuten; Massenupdate

7,0 Stunden; 226 Minuten; Erstellen Gebaeudedatei

5,7 Stunden; 132 Minuten; Umsatzbericht

30 Minuten; 8 Minuten; Nachkalkulation

Das Zielsystem

Server: Compaq Systempro EISA 486

Hauptspeicher: 128 MB

Netzwerk-Betriebssystem: Novell 3.11

Plattensysteme: IDA-Subsystem mit insgesamt 30 GB

Entwicklungsumfeld: MS-Windows 3.1 und MS-DOS 6.0

Datenendgeraet: Compaq 486/50M mit 8 MB

Das Altsystem

Zentraleinheit: IBM 4381, Modell P22

Hauptspeicher: 32MB

Betriebssystem: MVS/XA

Plattensysteme: 3380, 3390 mit insgesamt 30 GB

Entwicklungsumfeld: TSO/ISPF

Datenendgeraet: IBM 3270