Ein bißchen Lotus 1-2-3

15.11.1985

Wenn wir wüßten, wohin sich die Datenverarbeitung entwickelt, so hätten wir einen Anhaltspunkt dafür, was DV-Ausbildung für morgen bereits jetzt berücksichtigen sollte. Wir wissen es natürlich nicht. Schlimmer noch: Wir können offensichtlich nicht einmal die Trends, wie sie sich heute darstellen, richtig beurteilen. Doch dazu später.

Kluge Leute aus dem öffentlichen Ausbildungsbetrieb wollen indes ganz präzise wissen, was Informatiker, die zur Zeit noch die Hochschulbank drücken, in ihrem ersten Job verdienen können. Das motiviert ungemein zum Weitermachen - Lehrer werden kann man ja

wenn es schiefgeht, immer noch.

Arbeitsmarkt-Analysten wollen überdies wissen, wie viele Informatiker 1990 von der deutschen Wirtschaft und der DV-Industrie summa kumularum gebraucht werden - auf ein paar Stellen, bei den Stellen hinter dem Komma, kommt es dabei nicht an. Zitierfähige Quellen wird man freilich nicht finden - wer läßt sich schon seine Meinung durch Information versauen.

Worauf wollen wir hinaus ? Nun, keineswegs auf die "Theorie-und-Praxis"-Diskussion. Zu diesem Thema ist alles gesagt. Und computerweltfremde Informatik-Professoren - wir konnten sie nirgends finden. Galliumarsenid und Keramik sind schon eher die Stoffe, aus denen die Entwicklerträume sind. Man traf sich anläßlich interessanter Hardware- und Software-Inszenierungen kleinerer und mittlerer High-Tech-Firmen - und immer kamen gute Gespräche heraus.

Wir lassen, wie es sich gehört, viele Meinungen gelten - mit einer Ausnahme: daß auf dem Hintergrund der Mikro-Schwemme auch der DV-Ausbildungsmarkt auf den Kopf gestellt wird. Das liest sich oft so: Bald würden sämtliche Arbeitsplätze, ob im Büro oder in der Fabrik, mit sogenannten "Personal Computern" ausgestattet, müßten Manager und Sachbearbeiter Mikro-Know-how vorweisen, um "vermittlungsfähig" zu sein, wie es im Jargon der Nürnberger Statistiker heißt. Dies eröffne ganz neue Berufschancen im DV-Bereich. Motto: Basic, MS-DOS und ein bißchen Lotus 1-2-3 - fertig ist die Tagträumerei.

Richtig ist, daß ohne "Computer-Führerschein" nichts mehr geht. Aber was ändert sich wirklich - vor allem unter Ausbildungsgesichtspunkten ? So gut wie gar nichts. Kaum neue Berufsbilder. DV-Sachbearbeiter etwa: geschenkt. Was hätte der zu tun ? Disketten putzen! Nein, dem DV-Manager, sprich: Wirtschaftsinformatiker im Unternehmen, stellt sich "Datenverarbeitung am Arbeitsplatz" als Organisationsaufgabe - technisch ein DDP-Problem (Distributed Data Processing).

Es ist schlichtweg irreführend, hier von "Personal Computing" im Sinne einer Eins-zu-eins-Beziehung von Rechner und Benutzer zu sprechen. Kleincomputer, wie gehabt, haben wir Firmencomputer, um die sich niemand kümmert, weil die individuelle Motivation fehlt. Will sagen: Die PC-Revolution findet statt - und keiner geht hin.

Fein, daß das Know-how-Gefälle zwischen DV-Spezialisten und Endbenutzern abgebaut wird. Diesen Effekt hat die Mikrocomputerei immerhin. Und natürlich kann der PC-Freak sein Hobby zum Beruf machen - als Software-Entwickler etwa, der auf eigene Rechnung arbeitet. Ansonsten bietet die "große" Datenverarbeitung ausgezeichnete Entwicklungsmöglichkeiten - ein bißchen Lotus 1-2-3 reicht freilich nicht aus.

Nachdruck aus dem Sonderheft "CW-UniService" der COMPUTERWOCHE