Zeitarbeit ist auf dem Vormarsch

Ein Arbeitgeber, viele Jobs und noch mehr Erfahrung

03.11.2000
Von VON Gabriele
Die früher oft verpönte Zeitarbeit boomt. Denn das Image von der unqualifizierten Aushilfe, die nur für einige Wochen im Betrieb bleibt, ist längst veraltet. Bester Beweis: Immer mehr Unternehmen vertrauen professionellen Personaldienstleistern. Besonders, wenn es um IT-Fachleute geht.

Von der Germanistin zur Netzwerkadministratorin? Marianne Sitter hat es geschafft und damit einen beruflichen Werdegang, der recht ungewöhnlich ist. Oder etwa nicht? Bei ihrem Arbeitgeber, der Deutschen Industrie Service AG in Offenbach, sind Quereinsteiger keine Seltenheit, denn die Suche nach neuen Mitarbeitern gehört zum Alltag des Unternehmens, das sich mit Arbeitsvermittlung und Zeitarbeit beschäftigt. Die DIS AG ist einer der großen Personaldienstleister auf dem deutschen Markt und beschäftigt mit 160 Niederlassungen rund 6000 Mitarbeiter - in den Bereichen Büro, Industrie, Engineering, Finance und Information Technology.

"Ich war arbeitslos und habe eine Weiterbildung zur Netzwerkadministratorin gemacht, die vom Arbeitsamt gefördert wurde", schildert Sitter ihre berufliche Ausgangssituation. Trotz guter Zeugnisse und abgeschlossener Fortbildung war es für sie nicht einfach, in Trier und Umgebung, wo sie damals wohnte, den Einstieg in die neue Arbeitswelt zu schaffen. "Keine Berufserfahrung", bekam sie zu hören. Die entscheidende Wende brachte ein Tipp ihres Arbeitsvermittlers: "Versuchen Sie es doch mal bei einem Zeitarbeitsunternehmen", wurde ihr geraten. Der zweite Versuch wurde ein voller Erfolg. Marianne Sitter bekam einen Arbeitsvertrag bei DIS in Köln. Genauer gesagt beim Geschäftsbereich Information Technology, der heute bundesweit 23 Niederlassungen betreibt. "Nach kurzer Zeit hatte ich meinen ersten Auftrag bei einem Kunden", erinnert sich die 42-Jährige. "Ein Sprung ins kalte Wasser, aber auch ein tolles Sprungbrett in den Job", lacht sie. Immerhin fast ein Jahr ist sie dort geblieben,

hat praktische Berufserfahrung gesammelt, ihre Sprachkenntnisse aufpoliert - und manchmal schon darüber nachgedacht, ob sie nicht auf Dauer für diese Firma arbeiten soll. "Ich hatte ein gutes Betriebsklima und einen spannenden Job, aber ..." Das "Aber" war eine Anfrage von DIS, weiter für das Unternehmen selbst zu arbeiten - ohne den Einsatz als Zeitarbeitskraft; und sie hat sich dazu bereit erklärt. Wenn auch nicht auszuschließen ist, dass sie irgendwann doch noch einmal bei einem Kundenprojekt einspringt.

Noch immer viele Vorurteile

"Zeitarbeit ist ein Thema, das mit Vorurteilen auf beiden Seiten zu kämpfen hat." Sabina Krüger-Trewer, DIS-Niederlassungsleiterin IT in Köln, kennt das Metier Zeitarbeit aus langjähriger Erfahrung und zählt vor allem Großunternehmen aus dem Kölner Raum zu ihren Kunden. Aber sie weiß auch: "Wer einmal mit uns zu tun gehabt hat, schätzt unsere Dienstleistung." Das kommt nicht von ungefähr. Wer in dieser hart umkämpften Branche als Anbieter erfolgreich sein will, muss allerhand an Service bieten. "Dazu gehören genaues Wissen um den Arbeitsmarkt ebenso wie die Kenntnis der Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen", sagt sie. Natürlich muss, wer gute Bewerber an sich binden will, auch für deren Qualität und Motivation sorgen. "Schulung und Weiterbildung sind für uns ein zentrales Thema", so Krüger-Trewer. So werden Mitarbeiter für Kundenwünsche nicht selten extern trainiert. "Demnächst werden wir mit einer

eigenen Internet-Akademie auch eine hausinterne Weiterbildungsmöglichkeit haben", blickt sie voraus. Aber das ist nicht alles. "Mitarbeiter sind unser Kapital, und das Wort Wertschätzung ist bei uns auch keine hohle Phrase, sondern wird gelebt", betont sie. Beratung über Weiterbildung, Qualifikationen und Einsatzmöglichkeiten, Karrierechancen und Berufsplanung gehören dazu.

"Wir nehmen dennoch nicht jeden", räumt sie energisch mit weiteren Vorurteilen auf. Wer sich und seine Fähigkeiten überschätzt, fällt spätestens beim DIS-Eingangstest auf. Wer noch dazu meint, in der IT winkten wegen der heiß diskutierten Personalsituation die Traumgehälter auch für Anfänger, der irrt. Chancen haben dagegen diejenigen, die sich schnell anpassen können und lernbereit sind. "Für qualifizierte Mitarbeiter ist finanziell und beruflich bei uns der Weg nach oben immer offen", ist die Niederlassungsleitern überzeugt. Viele Zeitarbeiter werden von Kunden auch persönlich immer wieder angefordert - wenn sie nicht abgeworben werden. Darum ist das Unternehmen, das im vergangenen Geschäftsjahr seine Umsatzerlöse um rund 27 Prozent auf 326 Millionen Mark steigerte, auch gerade eine Kooperation mit einer Internet-Jobbörse eingegangen. "Damit können wir unseren Bekanntheitsgrad erhöhen, und auf einen Pool von

fast 60000 registrierten Bewerbern zugreifen", heißt es in Offenbach.

Das Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, kennt auch Michael Gockel, Geschäftsleiter des Dortmunder Personaldienstleisters Tec Line. Der Newcomer in Deutschland, der hier erst 1999 gegründet wurde, geht konsequent den Weg der Spezialisierung - sei es bei der Arbeitskräftevermittlung oder bei der Zeitarbeit. Die Dortmunder haben technische Fachberufe in der Elektrotechnik, Kommunikationstechnik und der DV fest ins Visier genommen. Dabei können sie sich auf Erfahrungen aus den Niederlanden stützen, woher auch das Tec-Line-Management stammt.

"Wir wollen kein Allrounder, sondern Spezialist mit entsprechender Kompetenz sein", heißt das Konzept, das aus den Niederlanden adaptiert wurde. Von dort stammen auch einige der kreativen Ansätze, die das Team anbietet. "Wenn wir Aufträge für hochspezialisierte Fachkräfte bekommen und Bewerber haben, die diese Anforderungen nicht vollständig erfüllen, dann schulen wir unsere Mitarbeiter nach den Wünschen der Kunden", verspricht Gockel. Und nicht nur das: "Natürlich suchen die Unternehmen am liebsten junge Leute mit Berufserfahrung, die dann noch gewisse Zusatzqualifikationen mitbringen sollen", weiß er. "Die können wir auch nicht immer aus dem Hut ziehen." Ein Modell, ebenfalls bei den Nachbarn im Westen erprobt, ist ein Trainingsprogramm, das bei der Vermittlung von Mitarbeitern quasi den "umgekehrten Weg" geht. Statt arbeitslose Bewerber weiterzubilden, ohne einen genauen Bedarf zu kennen, werden hier nur mit dem Unternehmen gemeinsam

ausgewählte Teilnehmer geschult.

Diplom zählt wenig

Sie erwerben zunächst die Zertifizierung eines großen Softwareherstellers, wie Oracle oder Microsoft, und gehen dann in ein mehrmonatiges Training im Unternehmen. Gockel listet die Vorteile eines solchen Modells auf:"Der Bewerber hat in jedem Fall das begehrte Zertifikat. Das Unternehmen kann langfristig einen potenziellen Mitarbeiter testen und ihn so ausbilden, wie es für seine Zwecke am besten ist."

Im Gegensatz zu Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Japan oder den Niederlanden hat die Zeitarbeit in Deutschland eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Personaldienstleister werden oft als eine Art Feuerwehr angesehen, die einspringen soll, wenn auf keinem anderen Weg mehr Personal zu beschaffen ist. "Das sieht in der IT schon anders aus", sagt Klaus Lenker, Geschäftsführer der Firma Computer People Deutschland. Gerade hier würden immer weniger die einzelnen Berufsqualifikationen abgefragt, sondern ein Profil für konkrete, an einem bestimmten Arbeitsplatz zu lösende Probleme. "Bei Arbeitgebern und- nehmern ist es eigentlich selbstverständlich, dass Mitarbeiter nur für bestimmte Zeit an eigenen oder an Kundenprojekten arbeiten und dann wieder andere Aufgaben bekommen, sich in anderen Teams wiederfinden." Nur dass die Zeitarbeiter nicht in eine andere Unternehmensabteilung, sondern wieder zu ihrem Arbeitgeber, dem Verleiher, zurück-kehren.

International gibt es den Personaldienstleister Computer People schon seit rund 30 Jahren mit 60 Büros weltweit und rund 10 000 Mitarbeitern. In Deutschland haben gerade Computer People, Ajilon und Olsten IT-Consulting, alle drei Töchter des Zeitarbeitsriesen Adecco, fusioniert und werden unter den Namen Computer People Personaldienstleistungen für die Informationstechnologie anbieten. Ihr Ziel: vom lukrativen Kuchen ein großes Stück abzuschneiden. Denn Zeitarbeit ist eine Wachstumsbranche mit kräftig steigenden Zahlen. Allein in Deutschland sind rund 3000 Zeitarbeitsfirmen tätig, die sich den geschätzten Markt von rund 8,7 Milliarden Mark Umsatz teilen. 1999 waren nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit und des Instituts der Deutschen Wirtschaft 286 000 Arbeitnehmer bei einem Personaldienstleister beschäftigt und damit über 100 000 Menschen mehr als noch 1995.

Kein Unternehmen kann es sich leisten, hochqualifiziertes Personal auf Dauer zu halten und nicht zu beschäftigen. Hier will Computer People aushelfen. "Wir stellen freiberufliche Mitarbeiter als Consultants, Projekt-Manager oder technische Experten", zählt Lenker auf. "Mit eigenen Leuten als Spezialisten für die Integration, Implementierung und Installation realisieren wir den Abschluss von ganzen Projekten."

Ständige Abwerbeversuche

Das schätzen bislang vor allem Großkunden wie Banken oder Systemhäuser, für die sich der zeitlich befristete Einsatz auch dann rechnet, wenn sie die Arbeit des Dienstleisters honorieren müssen. Aber welchen Vorteil hat der Bewerber angesichts der scheinbar unerschöpflichen Fülle von Jobangeboten? "Bei uns bekommt auch der Studienabbrecher eine Chance oder jemand, der sich beruflich neu orientieren will." Lenker fordert allerdings mehr Realismus von den Bewerbern: "Gut verdienen kann jemand, der auch gut qualifiziert ist und vielfältige Kenntnisse mitbringt." Aber genau das hätten viele Quereinsteiger nicht oder nur teilweise. Umschüler ohne Berufserfahrung finden sich eher am unteren Ende der Gehaltsskala wieder, die bei Zeitarbeitsfirmen in einer weiten Spanne von 3500 bis 6500 Mark im Monat liegt.

Dagegen helfen Qualifizierungs- und Trainingsprogramme und die praktischen Einsätze beim Kunden, die schnell für die häufig geforderte Berufserfahrung sorgen. Dass nicht wenige Mitarbeiter von solchen "Einsätzen nicht zurückkommen", weil sie abgeworben wurden, sieht die Branche ohnehin mit einem lachenden und einem weinenden Auge. "Das ist für uns die beste Werbung", heißt es.

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.

Zeitarbeit

Als Zeitarbeiter stehen Sie auf der Gehaltsliste des "Verleihers" und sind dort mit allen Rechten und Pflichten beschäftigt. Das gilt auch für Urlaubs-, Krankheits-, Unfall- oder Kündigungsregelungen. Ihr Arbeitgeber darf Sie nur bis zu einem Jahr lang ununterbrochen an ein anderes Unternehmen "verleihen". Danach hat der Gesetzgeber eine Unterbrechung von drei Monaten vorgesehen. Auch bei Unterbrechungen zwischen den Kundeneinsätzen bleiben Sie bei Ihrem Arbeitgeber angestellt und verlieren keine Ansprüche. Abwerbung ist in der Zeitarbeit nichts Ungewöhnliches, außerdem betätigen sich fast alle Personaldienstleister auch als Arbeitsvermittler. Als Mitarbeiter vom Verleiher zum Entleiher zu wechseln stellt in der Regel kein Problem dar.