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"Eigentlich sind wir immer noch ein kleines Unternehmen"

17.05.1996

CW: Angesichts der Möglichkeiten des Internets haben Marktbeobachter wie Forrester Research das von Ihnen mitentwickelte Groupware-Produkt "Notes" bereits für obsolet erklärt.

Ozzie: Ja, aber sie haben diese Einschätzung nachträglich revidiert. Forrester Research hatte zunächst geschrieben, Notes sei tot. Jetzt, nachdem sie das Produkt eine Zeitlang untersucht haben, räumen sie ein, daß Lotus verstehe, wie die Integration mit dem Internet zu bewerkstelligen sei. Sie haben einen neuen Report herausgebracht mit dem Tenor: Wenn Lotus das realisiert, was angekündigt wurde, dann gibt es meiner Ansicht nach gute Chancen für die Zukunft.

CW: Ein anderes Unternehmen, das sich von Forrester Research schlecht behandelt fühlt, ist SAP. Lotus hat auf der CeBIT eine Kooperation mit SAP angekündigt. Leider blieb dabei im dunkeln, inwieweit sich die Partnerschaft auch auf Notes bezieht. Können Sie da Licht hineinbringen?

Ozzie: Wir arbeiten mit SAP an . . . Diesen weißen Fleck müssen wir leider später ausfüllen (Lotus und SAP planen diesbezüglich eine gemeinsame Ankündigung, die in Kürze stattfinden soll, Anm. d. Red.). Aber grob gesprochen geht es um Verbindungen zu den Informationen und den Schnittstellen in den SAP-Anwendungen.

CW: Bis vor kurzem galt Notes als konkurrenzlos. Jetzt hat Microsoft endlich sein Messaging-System "Exchange" auf den Markt gebracht. Das wird Sie sicher ein paar Kunden kosten. Haben Sie Angst davor?

Ozzie: Nein, im Gegenteil: Ich bin froh, daß Microsoft sein Exchange endlich ausgeliefert hat. Denn jetzt können wir unseren Kunden zeigen, was es ist und was es tut. Notes ist das bessere Messaging-Produkt, und es macht eine Menge mehr als nur Messaging.

CW: Aber 60 Prozent der Anwender setzen Notes lediglich als E-Mail-System ein. Das hat Lotus selbst eingeräumt.

Ozzie: Ich kann nicht glauben, daß die Leute den Preis für Notes gezahlt haben, nur um E-Mail damit zu machen. Es gibt sicher einige Kunden, die das tun. Aber die von Ihnen genannte Prozentzahl scheint mir doch recht hoch gegriffen. Wir haben allerdings mit "Notes Mail" ein spezielles Produkt, das nichts anderes tut als E-Mailing. Das konkurriert zweifellos mit Microsofts Exchange.

CW: Sie sind der Gründer eines kleinen Unternehmens, das jetzt schon zum zweiten Mal von einem größeren übernommen worden ist. Was hat sich dadurch geändert?

Ozzie: Eigentlich sind wir immer noch ein kleines Unternehmen. Ich bin immer noch der President von Iris, und wir operieren immer noch unabhängig von Lotus. Wir haben eine eigene Kultur, die um bestimmte ingenieurmäßige Methoden herum entworfen wurde. Als Lotus uns übernahm, hatten Jim Manzi (damals CEO der Lotus Development Corp., Anm. d. Red.) und ich das vorher sehr sorgfältig geplant, damit es unsere Kultur nicht beeinträchtigte. Denn die Gründe für die Akquisition waren in den Finanzen und im Controlling zu suchen - nicht in der Notwendigkeit, die Prozesse zu verändern.

CW: Und wie war das, als IBM Lotus übernahm?

Ozzie: IBM hat mir ebenfalls versichert, daß wir weiter unabhängig operieren und die Zukunft des Produkts selbständig kontrollieren können.

CW: Jim Manzi hat das Unternehmen kurz nach der Übernahme durch IBM verlassen. Daher darf man wohl spekulieren, daß IBM die neue Softwaretochter nicht völlig frei schalten und walten läßt. Wie lange werden Sie noch dort bleiben?

Ozzie: So lange, wie ich eine schöne Zeit habe. Und derzeit macht mir meine Arbeit eine Menge Spaß.

CW: Haben Sie denn gar keine Lust, mal wieder etwas Neues anzufangen, nachdem Notes nun quasi auf den Weg gebracht ist? Sie könnten beispielsweise bei Industry.Net wieder mit Jim Manzi zusammenarbeiten.

Ozzie: Ich mag direkte Fragen - wirklich. Jim und ich sind Freunde, und wir haben lange zusammengearbeitet. Aber die Antwort ist nein. Mein Interesse gilt allein Notes. Tut mir leid, daß ich Ihnen da keine brandheißen Neuigkeiten mitteilen kann.

Ray Ozzie gilt als der geistige Vater des Groupware-Produkts Notes. Er fungiert als President von Iris Associates, einem etwa hundert Mitarbeiter zählenden Tochterunternehmen der Lotus Development Corp. Das Gespräch führte CW-Redakteurin Karin Quack.