"Eigentlich ist Teilen dumm"

19.09.2007
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Warum es trotzdem eine Erfolgsstrategie ist, erläutert Don Tapscott, Mitverfasser des Buchs "Wikinomics", im Gespräch mit CW-Redakteurin Karin Quack.

CW: In Ihrem Buch "Wikinomics" entwickeln Sie interessante Ideen (siehe Kasten "Die Grundidee"). Doch CIOs, mit denen ich darüber gesprochen habe, sagten: Unser Vorstand wird unternehmenskritische Prozesse keinesfalls irgendwelchen unkontrollierbaren Communities anvertrauen. Was entgegnen Sie darauf?

Die Grundidee der "Wikinomics"

In ihrem Buch "Wikinomics: How Mass Collaboration Changes Everything" (Penguin Group, 2006) beschreiben Don Tapscott, Gründer und CEO des in Ontario, Kanada, beheimateten Trendforschungs- und Beratungsunternehmens New Paradigm, sowie sein Kollege Anthony Williams, wie Web-2.0-Werkzeuge ein völlig neues ökonomisches Umfeld schaffen können: Sie ermöglichen es beispielsweise, Know-how-Pools außerhalb des eigenen Unternehmens anzuzapfen, weltweit verteilt an Entwicklungs- und Fertigungsaufgaben zu arbeiten, die Konsumenten direkt in die Produktgestaltung einzubinden und nicht zuletzt die internen Mitarbeiter besser miteinander zu vernetzen.

Wer auf diese Weise von interaktiven Web-Anwendungen wie Blogs, Wikis oder Social Software profitieren will, muss sich nach Auffassung der Autoren allerdings vier Prinzipien aneignen: Öffnung nach außen ("open"), Umgang mit externen Partnern auf Augenhöhe ("peer"), Teilen von Informationen und Ergebnissen ("share") sowie globales Handeln ("act globally"). Um diesen neuen Ansatz zu verdeutlichen, haben Tapscott und Williams das letzte Kapitel ihre Buchs als Blog ins Internet gestellt mit der Aufforderung: "Edit this book".

Tapscott: Diese Leute brauchen ein Aha-Erlebnis, beispielsweise einen Besuch bei Procter & Gamble. Dann werden sie einsehen, dass uns eine Art natürlicher Auswahl bevorsteht: Unternehmen, die die Prinzipien von Wikinomics befolgen, werden Erfolg haben, die anderen fallen zurück.

CW: Die kommerziellen Unternehmungen, die Sie in Ihrem Buch als Beispiele anführen, standen mit dem Rücken zur Wand. Ihre Informationskultur zu ändern war ihre letzte Option. Da fällt die Entscheidung relativ leicht.

Tapscott: Ja, sicher. Aber es ist besser, nicht zu warten, bis das Dach brennt, sondern proaktiv zu handeln. Ich will das wirklich nicht kleinreden. Diese Ideen bürsten alles gegen den Strich, was wir kennen. Sie sind keineswegs intuitiv. Auf den ersten Blick scheint es die dümmste Sache der Welt, geistiges Eigentum mit anderen zu teilen. Aber das Human-Genome-Projekt oder IBMs Linux-Strategie dienten jeweils dem Interesse der Unternehmung.

CW: Intelligente Unternehmen managen, so haben Sie geschrieben, ein Portfolio des geistigen Eigentums: Sie unterscheiden zwischen dem, was sie behalten, und dem, was sie herausgeben. Auf welcher Basis treffen sie die Unterscheidung?

Tapscott: Das hängt davon ab, wie sie ihre Innovationsfähigkeit orchestrieren. Sie müssen wissen: Wenn sie auf einen öffentlichen Know-how-Pool zugreifen, können sie die Ergebnisse nicht besitzen. Die Unternehmen sollten sich überlegen, auf welcher Ebene sie mit anderen konkurrieren wollen, denn teilweise müssen sie mit ihren Konkurrenten kooperieren. Wenn Procter & Gamble in einer Community wie Innocentive öffentlich nach einem Molekül sucht, dann gibt das Unternehmen geistiges Eigentum auf. Aber es zieht daraus einen Nutzen, der den Nachteil mehr als aufwiegt. Wenn Sie sich vor dem Wettbewerb verbarrikadieren, schließen Sie auch die Tore vor der Innovation.

CW: Aber diese Vorteile kann nur nutzen, wer deutlich schneller ist als die Konkurrenz.

Tapscott: Das ist ein guter Punkt. Es spielt keine Rolle, was unser Mitbewerber von uns weiß, so lange unser Innovationstempo hoch genug ist. Innovation ist nicht statisch. Sie ist wie eine Tretmühle: Man muss sich ständig bewegen, um schneller zu sein als die Konkurrenz. Procter & Gamble bezieht heute 50 Prozent seiner Innovationen von außerhalb des Unternehmens. Das Gegenbeispiel ist die Musikindustrie: Anstatt die Herausforderung anzunehmen und Musik als Service anzubieten, hat sie ihr altes Geschäftsmodell verteidigt und ihre Kunden verärgert. Folglich wird sie ersetzt durch Myspace, iTunes etc.

CW: Aus Ihrer Sicht sind wohl auch die großen Softwareunternehmen zum Sterben verurteilt: Microsoft, SAP und Apple.

Tapscott: Das hängt davon ab, ob sie in der Lage sein werden, ihr Business-Modell zu ändern. Microsoft beispielsweise muss von einer Software- zu einer Service-Company werden. Sie müssen Software als einen Service anbieten, teilweise sogar kostenlos, beispielsweise durch Werbung finanziert. Und Apple vergibt sich durch seine Politik viele Möglichkeiten. Sie sollten sich öffnen, beispielsweise die Schnittstellen des iPhone freigeben, damit andere Leute dessen Funktionalität erweitern können.

CW: Kommen wir zur Unternehmens-IT! Das Marktforschungsunternehmen IDC hat herausgefunden, dass nur ein Drittel der Web-2.0-Aktivitäten durch die CIO-Bereiche kontrolliert wird.

Tapscott: Die CIOs sollten hier überhaupt keine Kontrolle ausüben. Manche Aktivitäten sollte man einfach geschehen lassen. Vielleicht ist es ja nicht ganz so simpel. Vielleicht braucht man ja gemeinsame Standards für Wikis, beispielsweise derart, dass jeder Socialtext nutzen sollte.

CW: Da liegt wohl das Problem. Die Sache sollte nicht ganz aus dem Ruder laufen. Aber wie können die Unternehmen etwas kontrollieren, das sich ihrem Besitz entzieht?

Tapscott: Sie können keine volle Kontrolle ausüben, aber doch ein Umfeld herstellen, das Gutes hervorbringt. Sun Microsystems beispielsweise hat vor zwei Jahren alle seine Mitarbeiter zum Bloggen aufgefordert. Sie veröffentlichen seither Informationen, die von keiner Rechtsabteilung freigegeben wurden und es hat nie ein Problem gegeben. Wenn Sie im Unternehmen eine intakte und vertrauensvolle Umgebung schaffen, dann werden auch Ihre Mitarbeiter das Richtig tun.

CW: Was ist dazu notwendig?

Tapscott: Instrumente, mit denen sich die Transparenz fördern lässt. Sorgen Sie beispielsweise dafür, dass die Leute mit ihrem richtigen Namen am Informationsaustausch teilnehmen, also nicht anonym bleiben können.

CW: Die Web-2.0-Techniken werden oft von den Anwendern ins Unternehmen getragen. Daraus entsteht Reibung zwischen dem, was die Anwender wollen, und dem, was die IT-Governance vorschreibt.

Tapscott: Der Konflikt zwischen der IT und dem Rest des Business ist so alt wie die Unternehmens-IT. Aber jetzt hat der CIO eine einmalige Chance: Er kann das Business lehren, auf welche Weise es tatsächlich besser werden könnte.

CW: Aber viele CIOs verstehen noch nicht, worum es dabei geht. Sie müssen sich Rat bei ihren Töchtern und Söhnen holen.

Tapscott: Genau, das ist das erste Mal in der Geschichte, dass Kinder dem Business sagen, wo es langgeht.

CW: Bis derartige Ideen in den Köpfen der Mitarbeiter ankommen, ist es noch ein langer Weg. Sicher nicht ganz zu Unrecht fürchten die Angestellten die Konkurrenz durch externe, rein nach dem Ergebnis entlohnte Know-how-Träger. Das schafft Widerstände im Unternehmen.

Tapscott: Procter & Gamble ermutigt seine Forscher, hinauszugehen und Innovationen zu finden. Man möchte meinen, dass sich die Mitarbeiter dadurch bedroht fühlen. Aber es gibt da diese Sache, die Procter & Gamble PFE nennt proudly found elsewehre , quasi ein Gegenentwurf zum NIH-Syndrom (not invented here). Das Unternehmen hat ein Belohnungssystem aufgebaut, das es den Forschern erlaubt, von den Innovationen zu profitieren, auch wenn es nicht sie selbst waren, die daraufgekommen sind.

CW: Lässt sich eigentlich ein Business-Case für Investitionen in Wikinomics-Technik errechnen?

Tapscott: Solche Investitionen brauchen keine Business-Cases. Aber wer sie rechtfertigen muss, kann das mit folgenden drei "Gesetzen" tun. Erstens mit dem Bob-Dylan-Gesetz: "You don‚Äòt need a weatherman to know which way the wind is blowing". Zweitens mit dem Disreali-Gesetz: Der britische Premierminister Benjamin Disraeli (1804 - 1891, Anm. d. Red.) bemerkte einmal im Unterhaus, dass dessen ehrenwerte Mitglieder Statistiken nutzen würden wie Betrunkene die Straßenlaterne, also nur, um ihre Ansichten zu stützen, und nicht, um Tatsachen zu erhellen. Und drittens mit "Dons Gesetz": Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Business-Plan aufgeht, verhält sich proportional zu der Überzeugung des Topmanagements, dass die Sache auf jeden Fall eine gute Idee sei.