Schwieriger Interessenausgleich

EG-Ministerrat will offene Schnittstellen

04.01.1991

MÜNCHEN (gs) - Die für den europäischen Binnenmarkt zuständigen EG-Minister haben sich auf eine gemeinsame Position zum Software-Copyright geeinigt. Bei der heftig umstrittenen Frage des "Reverse Engineering" wichen sie von den Vorschlägen des Europäischen Parlaments ab: Es soll nur zur Entwicklung interoperabler Produkte, nicht aber für Wartungszwecke zulässig sein.

Endgültig entschieden ist noch immer nichts, aber die Konturen des künftigen europaweiten Schutzes für die weiche Ware zeichnen sich allmählich ab. Daß Reverse Engineering, also die Decompilierung eines Programms, für bestimmte Zwecke und unter genau definierten Umständen zulässig sein wird, daran besteht nach der jüngsten Brüsseler Entscheidung kaum mehr ein Zweifel.

Ob es allerdings bei der Einschränkung bleibt, daß sie nur erlaubt ist, um Informationen zu gewinnen, die für die Entwicklung "interoperabler Systeme" unerläßlich und anders nicht zu erhalten sind, nicht aber für Anpassungen und Fehlerbeseitigungen, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird das Europäische Parlament eine entsprechende Änderung beantragen.

Das für die Freiheit der Schnittstellen kämpfende European Committee for Interoperable Systems (ECIS) erklärte sich denn auch grundsätzlich einverstanden mit dem vorliegenden Text, äußerte aber Enttäuschung über die seiner Meinung nach zu restriktive Haltung beim Reverse Engineering. Sollte es dabei bleiben, könnten unabhängige Serviceunternehmen Probleme bekommen, beispielsweise wenn es um spezielle Anpassungen auf Systemlevel geht. Damit könnte langfristig der Wettbewerb bei der Systemwartung zum Erliegen kommen.

Eine ähnliche Position vertrat BDU-Geschäftsführer Norbert Küster: "Wir begrüßen die jetzige Fassung des Entwurfs als einen Schritt in die richtige Richtung und sehen uns in unserem Anliegen, den Wettbewerb offen zu halten, bestätigt. Man darf allerdings nicht übersehen, daß er nur einen Teil unserer Vorstellungen - und das sind ja auch die Vorstellungen des Europäischen Parlaments wiedergibt."

Sehr zugeknöpft gaben sich die eigentlichen Verlierer der seit gut zwei Jahren tobenden Lobbyisten-Schlacht, die Aktivisten der Software Action Group for Europe (SAGE),. die sich den totalen Copyright-Schutz für Software auf die Fahnen geschrieben hatte: Von Siemens (SNI) war keine Stellungnahme zu erhalten; IBM zeigte sich in einer knappen Äußerung befriedigt, daß die Minister zu einer gemeinsamen Position gekommen seien, die alle Ausdrucksformen eines Programms unter gesetzlichen Schutz stelle, betonte jedoch, daß sie schon immer gegen eine Einschränkung der traditionellen Copyright-Bestimmungen gewesen sei, wie sie seit langem für literarische Werke gelten.

Allgemein verspricht man sich von der Direktive, die bis 1993 in nationale Gesetze umgesetzt werden soll, bessere Möglichkeiten, gegen Softwarepiraten und Plagiatoren vorzugehen. Innerhalb der EG gibt es derzeit nur in Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Deutschland einen Urheberrechtsschutz für Software, wobei die Bestimmungen zum Teil sehr weit voneinander abweichen.

In den vergangenen Wochen aufgetretene Meinungsverschiedenheiten über die Dauer des zu gewährenden Schutzes erwiesen sich angesichts des Entwicklungstempos in der Datenverarbeitung als eher akademischer Natur und bereiteten keine größeren Probleme. Man verständigte sich darauf, daß - bis zu einer endgültigen EG-weiten Harmonisierung der Vorschriften - die Schutzdauer in Deutschland 70 Jahre beträgt, in den anderen Ländern dagegen, wie im Entwurf vorgeschlagen, "lediglich 50 Jahre.

Als nächstes geht der Richtlinien-Entwurf jetzt zurück an das Europäische Parlament zu einer zweiten Lesung. Anschließend wird er zusammen mit den vom Parlament vorgeschlagenen Änderungen erneut dem Ministertat vorgelegt. Die endgültige Entscheidung wird für Frühjahr1991 erwartet.