DV-Management begegnet Office Support System mit Skepsis:

Effizienzniveau und Control-Standard in Frage gestellt

15.10.1982

Als moderater Stratege erwies sich Professor Norbert Szyperski durch seinen Vortrag "Strategische Aspekte von Office Support Systemen (OSS)". Und so fand er zwar viel Beifall mit OSS-Definitionen, Status-Analysen und Zielvorstellungen, aber auch Kritik in Form einer ebenfalls moderaten Frage: Wie er denn seine Empfehlungen, eher "nachfragorientiert" und "mit bewußtem Verzicht auf jegliches Verordnen und Oktroyieren" Bürokommunikationssysteme einzuführen, überhaupt als Strategie bezeichnen könne.

Worum es im Einzelnen geht, ist im hier abgedruckten Abschnitt aus den Proceedings zum Referat Szysperkis zu lesen. Der Kölner Wirtschaftsprofessor ist Chef der Großforschungseinrichtung GMD (Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung) und einer der Direktoren des Bifoa (Betriebswirtschaftliches Institut für Organisation und Automation an der Universität zu Köln).

Bei den strategischen Festlegungen zur Implementation und Durchsetzung von Office Support Systemen sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung:

- die "Diffusionsrichtung" von Office Support Systemen und

- die Organisation des Anpassungsprozesses von Benutzern und Office Support System.

Zwischen der Implementierung eines Management Information Systems und der eines Office Support Systems besteht ein grundsätzlicher Unterschied. Es handelt sich um zwei Entwicklungsstrategien und -philosophien, die auf ihren jeweiligen Anwendungstyp zugeschnitten und nicht übertragbar sind. Bei der Implementierung des einen Management Information Systems einer Organisation, im Rahmen der "industriellen" Produktion von Daten und Informationen also, können die Aufgabenstellung und das Feld der Anforderung sorgfältig spezifiziert und die Systementwicklung systematisch durchgeführt werden. Sind die Systeme hingegen zur persönlichen Unterstützung vorgesehen und sollen sie als Kommunikationshilfe, als Notizbuch, Taschenrechner, Texthilfe oder als persönliches Archiv benutzt werden, so kann die spezielle Ausgestaltung der Systembenutzer kaum a priori fixiert und nach festgelegter Vorgehensweise umgesetzt werden.

Der Aspekt der Diffusionsrichtung impliziert die wichtige Frage, wo in der Organisation die Keimzelle für Verbreitung des OSS installiert werden soll. Als Alternativen bieten sich ein gezielter Anfang bei ausgesuchten Organisationsmitgliedern mit formeller oder informeller Macht und ein Start auf der Sachbearbeiterebene an. Beiden Ansätzen (top-down und bottom-down) ist gemeinsam, daß ausgehend von einer kritischen Gesamtheit als Integrationsinsel neue Interessenten überzeugt und angeregt werden sollen. Der angestrebte "Schneeball-Effekt" mit einem bewußten Verzicht auf jegliches Verordnen und Oktroyieren hebt sich damit von der traditionellen flächendeckenden Implementierung ab. Der Grund liegt in den besonderen Anwendungsbedingungen von OSS:

- OSS stellen ein Unterstützungspotential zur Verfügung, dessen Nutzungsmöglichkeiten nicht a priori fest geschrieben sind.

- Bedürfnisse und Anforderungen der Benutzer hängen von den zu unterstützenden Entscheidungssituationen und -aufgaben ab und verändern sich daher im Rahmen von Lernprozessen und wechselnden Entscheidungsbedingungen.

- Der intendierte Teilnehmerkreis erstreckt sich vornehmlich auf die "knowledge worker" und ihre Arbeitsumgebung. Eben jene, deren unstrukturierte Problemlösungsprozesse bislang nur unzureichend unterstützt wurden. Bei dieser Zielgruppe erscheint ein Menschenbild zweckmäßiger, das vom kompetenten kreativen und eigenmotivierten Experten beziehungsweise Manager ausgeht.

Diesen Fach- und Führungskräften wird die Phantasie und Kreativität unterstellt, den sich eröffnenden Spielraum zu nutzen und auszufüllen.

Beim Bottom-up-Ansatz soll sich das OSS als weitgehend standardisiertes System auf der Sachbearbeiterebene bewähren und sich tendenziell von unten nach oben in der Hierarchie durchsetzen. Dieses Vorgehen bedeutet eine Übertragung der typischen MIS-Implementierungsstrategie. Allzu leicht haftet dem OSS dann jedoch das Negativ-Image einer "Sachbearbeiter Technologie" an, die jeglicher Attraktivität und Freiräume zur kreativen Handhabung entbehrt.

Auch die Übertragbarkeit der Erfahrungen, die bei eventuell besser strukturierten Aufgabenstellungen gewonnen wurden, mag eingeschränkt sein. Beim Top-down-Ansatz hingegen konzentriert sich die Implementierungsaktivität auf Organisationsmitglieder, die mit hierarchischer Macht ausgestattet sind, oder auf jene, die Funktionen eines Opinionleaders oder Gatekeepers wahrnehmen. Bei einer Orientierung am hierarchischen Machtgefüge wird stets die Frage unbeantwortet bleiben, ob sich die neue informationstechnische Anwendung OSS durchgesetzt hat oder ob lediglich ein mächtiger Sender einen neuen Kommunikationskanal zur Norm erhoben hat. Der Vorteil eines Ansetzens beim Opinionleader einer abgegrenzten Gemeinschaft mit ausgeprägtem Gruppenzugehörigkeitsgefühl ist darin zu sehen, daß diese Schlüsselfigur zwar ihre anerkannte Fachkompetenz zur Protektion der neuen Anwendung in die Waagschale werfen kann, aber über keinerlei Weisungsbefugnis verfugt. Die Benennung gruppenspezifischer Promotoren wird sicherlich mit größerem Aufwand verbunden sein als ein Start im Top Management oder als die Bombenwurfstrategie.

Generell können Erfolgsaussichten, aber auch Risiken des Top-down-Ansatzes höher veranschlagt werden. Scheitert die Einführung von OSS bei Personen mit hierarchischer oder gruppenspezifischer Machtstellung, so dürften künftig Implementierungsversuche auf schwer überwindbare Barrieren stoßen.

Die zweite Strategiedimension erfaßt den intendierten Funktionsumfang und seine geplante Ausgestaltung in der Einführungsphase. Eine En bloc-Inplementierung eines Maximalkonzeptes mit allen möglichen Support Funktionen wäre mit hohem Schulungsaufwand und enormen Entwicklungskosten verbunden. Eine sinnvolle Alternative besteht in der anfänglichen Beschränkung auf wenige Werkzeuge für die Gruppenoperationen im Umgang mit Informationen (Erzeugen, Verändern, Vergleichen, Arbeiten, Speichern, Wiederfinden, Übermitteln). Über den Mindestvorrat an Funktionen hinausgehende Erweiterungen des Leistungsspektrums (neue Werkzeuge, existierende Werkzeuge für neue Aufgaben, Kombination von Werkzeugen) müssen auf den Lernfortschritt der Teilnehmer/Benutzer abgestimmt sein.

Für die Möglichkeiten, bestimmte Werkzeuge zu verändern oder neue Werkzeuge aufzubauen, sollte ein gleitender Übergang vom reinen "Bedienen" zum "Programmieren" vorgesehen sein. Ein sukzessiver Aufbau des Leistungsspektrums würde auch den Vorteil bieten, dem DV-unerfahrenen Benutzer unnötige Frustrationen zu ersparen und statt dessen Gelegenheit zu schnellen Erfolgserlebnissen zu geben.

Angestrebt wird ein "evolutionäres" Konzept, das es dem Benutzer-/Teilnehmer ermöglicht das neue Hilfsmittel für seine Aufgabenerfüllung zu "entdecken". Mit fortschreitender Übung und Erfahrung werden neue Anwendungsmöglichkeiten und Kommunikationsformen entstehen - sofern das System den nötigen Gestaltungsspielraum bietet -, so daß eine permanente Systempflege, - anpassung und vor allem

-entwicklung stattfindet.

Die stufenweise Anhebung des Unterstützungsniveaus unterliegt zwei gegenläufigen Tendenzen. Einerseits wächst die Attraktivität und potentielle Nutzenstiftung mit der Breite der Unterstützungsleistung andererseits steigen bei den gegebenen technischen Restriktionen gleichzeitig der Nutzungs- und Schulungsaufwand. Schulung bezeichnet hier keinen einmaligen Vorgang, sondern muß permanent vorgenommen werden. Die Einführung verlangt eine didaktische Vorbereitung, die auf die Zielgruppe zugeschnitten ist. Die Benutzer müssen ständig ermutigt werden, die Nutzung der technischen Potentiale in ihr Verhaltensrepertoire aufzunehmen. Ebenso wie die nötigen technischen Ressourcen auf die zu erwartende Systemnutzung abgestimmt sein müssen (Speicherbedarf, Antwortzeitverhalten), darf auch nicht die personelle Benutzerbetreuung zu gering dimensioniert werden, denn die Intensität und pädagogische Qualität von Anstoß-, Anregungs- und Betreuungsfunktionen hat für den Erfolg des OSS essentielle Bedeutung. Die angestrebte Individualität der Unterstützung - und folglich auch der Betreuung - sorgt für eine erhebliche Steigerung des dafür notwendigen Personalaufwandes.

Inwieweit OSS noch aufwendige Schulung und Systempflege erforderlich machen, hängt vom Stand der einsetzbaren Informationstechnik ab. Wesentliche Grundlagen scheinen vorhanden, doch komfortable Unterstützungsleistungen lassen erst künftige Weiterentwicklungen erwarten.

Die Frage, wie sich die technische Voraussetzungen für OSS in Relation zum Unterstützungsbedarf darstellen, sollte im Rahmen einer eingehenden State-of-the-art-Untersuchung aus den drei Blickrichtungen der wesentlichen Integrationstendenzen analysiert werden. Hier soll lediglich aus der verengten Perspektive der Datenverarbeitung exemplarisch der Weg zu einer integrierten Lösung aufgezeigt werden.

Das heutige, stark differenzierte Angebot an Produktion der Informationstechnik stellt sich als Ergebnis einer Entwicklung dar, die durch eine stufenweise Erweiterung des Funktions- und Fähigkeitsumfangs geprägt wurde. Während die bisher beobachtbaren Funktionsgenerationen die Grundlagen für eine informationstechnische Unterstützung der "knowledge worker" legten, bedarf es zur Realisierung anspruchsvoller Konzeptionen zusätzlicher Systembegabungen.

Ehemals isolierte Büroarbeitsplätze mit einzelnen Endgeräten wachsen zu einem integrierten Bürosystem zusammen. Für diese sich abzeichnende Entwicklung findet sich eine interessante parallele. Die Feuerstelle unsere Vorfahren erhielt im Laufe der Zeit mit der Küche eine eigene räumliche Umgebung. Die Ausstattung mit einzelnen Möbeln und Aggregaten wird nun zunehmend durch komplette oder gar integrierte Küchensysteme ersetzt. Einen ähnlichen Verlauf könnte der Bürobereich nehmen: von der Ausprägung einer eigenständigen Verwaltungsfunktion über "das Büro" mit einzelnen Unterstützungsinstrumenten bis zum integrierten Bürosystem.

Für die ökonomischen Perspektiven der Branche und die Verwertbarkeit von OSS-Konzepten in breiten Marktsegmenten interessiert vor allem, ob es in Analogie zum Küchenbereich eine divergierende Entwicklung von professionellen OSS und semi-professionellen integrierten Heim-Büros geben wird. So wie sich die Systemküchen von der Restaurant-Großküche unterscheiden, so könnten auch durch Standardisierung, Abmessungsverringerung und Preisreduzierung Office Support Systeme Einzug in private Büros finden.

Angestrebt wird ein evolutionäres Konzept, das dem Benutzer/Teilnehmer ermöglicht, das neue Hilfsmittel für seine Aufgabenerfüllung zu "entdecken".

Die Betrachtung des Entwicklungsstandes von OSS macht deutlich, daß für die nächsten 20 Jahre mit erheblichen Verbesserungen zu rechnen ist. Welche Haltung kann eine Unternehmung heute einnehmen, um die schon realisierbaren Potientiale zu nutzen und für künftige Chancen offen zu bleiben? Eine aufgeschlossene, aber gestufte strategische Haltung im informationstechnischen Wandel ist zu fordern!

Die informationstechnische Entwicklung bietet neue Gestaltungsoptionen. Zur Wahrnehmung potentieller Chancen und Risiken bedarf es zumindest einer gesteigerten Aufmerksamkeit, die sich nicht auf die Fachebene beschränken darf, sondern sich auch auf das Linienmanagement erstrecken muß.

Das etablierte DV-Management begegnet solchen wenig steuerbaren evolutorischen Prozessen mit begreiflicher Skepsis. Das mühsam erreichte Effizienzniveau und der Control-Standard werden in Frage gestellt. Auf der anderen Seite entzieht sich die Flut von Veröffentlichungen, Kongressen und Herstellerankündigungen zum Thema "Büro der Zukunft" einer kritischen Einschätzung durch das Linienmanagement. Mangelnde Fachkompetenz gepaart mit fehlender Sensibilität für informationstechnische Optionen verhindern potentielle Anwendungen schon im Vorfeld einer rationalen Entscheidung.

Überhaupt eine strategische Haltung gegenüber dem informationstechnischen Wandel einzunehmen, heißt hingegen, Planung und Steuerung der Informations-Infrastruktur bezogen auf die grundsätzlichen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten als Management-Aufgabe wahrzunehmen.

Als Grundlage einer strategischen Informationssystem-Planung dient eine verabschiedete Grundstrategie, die verschiedene Ausprägungen annehmen kann: Momentum-Strategie, aggressive, moderate sowie eine defensive oder gar destruktive Strategie. Erst auf dieser Basis lassen sich konkrete Maßnahmen planen.

Planung von Bürosystemen/OSS kann nicht ohne Vorgabe aus der zu unterstützenden Aufgabenstellung erfolgen, daher muß Bürosystemplanung genauso wie die Werkstattplanung in die Unternehmungsgesamtplanung integriert sein. Aufgeschlossenheit und Geschwindigkeit der Adaption an Neuentwicklungen im Bereich der OSS korrespondieren damit direkt mit der Umweltdynamik und der Reaktionsfähigkeit auf das Marktgeschehen. Nach dem Aufbrechen der Nivellieung der Wettbewerbsdimension der Reaktionsfähigkeit (Response-Konkurrenz), so wie sie im Telefon/Telex-Zeitalter bestand, wird der Zwang zur Nutzung neuer Inforamtionstechniken besonders dort anwachsen, wo die Fähigkeit zur frühzeitigen Rezeption, problemadäquaten Aufbereitung und schnellen Umsetzung von Informationen über Existenz und Verbleib am Markt entscheidet.

Bei der Entscheidung für eine der strategischen Grundhaltungen müssen die Besonderheiten der OSS-Forschung und Entwicklung Berücksichtigung finden. Eine aggressive Strategie als Anwender von leading-edge-technoloy mit eigenen FuE-Projekten stößt im OSS-Bereich auf die typischen Probleme eines jungen Forschungsgebiets. Zwar sind die Integrationsbemühungen von den verschiedenen technischen Ansatzpunkten her deutlich zu erkennen, doch die Entwicklungspfade, stabile Zwischenformen oder gar abgegrenzte alternative Konzepte des Büros der Zukunft sind kaum auszumachen. Jeder Frühstart in eine der denkbaren Richtungen kann früher oder später in eine der denkbaren Richtungen kann früher oder später in einer informationstechnologischen Sackgasse enden. Eine aufgeschlossene Haltung meint keinesfalls eine frühzeitige euphorische Festlegung auf eine technische Entwicklungslinie. Während die technische Implementierung durchaus von einem existenten Integrationsstartpunkt ausgehen kann, sollte der konzeptionelle Einstieg unabhängig von einer speziellen Technik erfolgen.

Aufgrund der Zeitabhängigkeit des Leistungspotentials von OSS spielt die Frage des Zeitpunktes einer Einführung eine entscheidende Rolle. Wer OSS auf dem heutigen Stand der Technik implementieren will, muß sich bewußt sein, daß er den früheren Nutzen mit einem sehr hohen Anpassungsaufwand erkaufen muß. Der hohe Lernaufwand muß stets gegen den erreichbaren Nutzen abgewogen werden. Ein späterer Einstieg senkt zwar den Anpassungsaufwand durch größere informationstechnische Unterstützung, aber auch der Nutzen fällt erst später an. Ein Wettbewerbsvorsprung kann in einem fortgeschrittenen Stadium eventuell nicht mehr erzielt werden. Als Anhaltspunkt für diese Entscheidung kann die strategische Bedeutung für die Unternehmung herangezogen werden.

Die ständige Beobachtung des Angebots und der vorgelagerten FuE-Aktivitäten muß um eine regelmäßige Kosten-Nutzung-Analyse ergänzt werden, wobei sicherlich die Nutzen-Komponente den größeren Freiraum für subjektive Schätzungen, aufweist und damit eine Fehlerquelle darstellt. Vor jeder Investition in eine der möglichen Integrationsrichtungen sollte geprüft werden, wie groß die Strafe (die Kosten) für eine Fehlentscheidung ist.

Euphorie scheint also ebenso wenig angebracht wie Pessimismus. Die vielfache Unsicherheit legt ein Plädoyer für eine moderate Entwicklungsstrategie nahe, die sich bewußt dem Entwicklungsproblem stellt. Eigene Pilotprojekte auf der Basis und in Begleitung von strategischen Analysen sowie von Wirkungs- und Implementierungsstudien sind Ausdruck einer aufgeschlossenen Einstellung.