EDV-Streik: Werden die DV-Leute sich jetzt ihrer Macht bewußt?

07.10.1979

Nach Deutschlands erstem EDV-Streik im Rechenzentrum der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz in Düsseldorf (siehe CW-Nummer 34 vom 24. 8. 79), beschäftigen sich erstmalig in der Geschichte der Datenverarbeitung Manager, Gewerkschaftler, Arbeitsrechtler und Öffentlichkeit mit dem Machtfaktor, der bislang zwischen Bits und Bytes unerkannt blieb. "Jede Abteilung eines Unternehmens ist heute direkt oder indirekt von der EDV abhängig", schreibt Pius Lecheler, DV-Chef bei den Gebrüdern Steinhart in Krumbach. Günther Brussmann vom EDV-Benutzer-Verband in Pfreimd sieht es krasser: "Ein umfassender Streik des EDV-Personals ist ein Alptraum und würde die Wurzeln unserer sozialen Marktwirtschaft erschüttern." Die COMPUTERWOCHE holte fünf Meinungen über die möglichen Auswirkungen eines EDV-Streiks ein. ha

Helmut Minta

Vizepräsident der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg

Die Arbeitsverwaltung, deren Aufgaben durch das AFG darauf fixiert sind, einen hohen Beschäftigungsgrad zu erzielen und aufrechtzuerhalten, kann und darf sich durch ihre Repräsentanten in Konfliktsituationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht hinter eine der beiden Marktseiten stellen. Die Auseinandersetzung, ob Arbeitnehmer aus dem DV-Bereich, sozusagen dem nervus rerum unserer heutigen von der Technik im hohen Maße abhängigen Gesellschaft, streiken dürfen oder nicht, ist von den zuständigen gesellschafts- und rechtspolitischen Institutionen zu führen.

Aus der Sicht der Arbeitsverwaltung lassen die halbjährlich erstellten Analysen über die Struktur der Arbeitslosen und der offenen Stellen für den Arbeitsmarkt der Datenverarbeitungsfachleute folgenden Schluß zu:

Seit der Höhepunkt der wirtschaftlichen Rezession Ende 1975 überschritten war, hat sich der Arbeitsmarkt für Datenverarbeitungsberufe im Zuge der konjunkturellen Erholung gegenüber anderen Berufen verhältnismäßig stark verbessert. Während Ende September 1976 2248 arbeitslosen Datenverarbeitungsfachleuten 765 offene Stellen gegenüberstanden, waren Ende September 1978 1536 offene Stellen und 1525 Arbeitslose gemeldet. Das heißt, rein rechnerisch bestand eine Relation von 1:1. Trendberechnungen bis 1985 von der Bundesanstalt für Arbeit gehen davon aus, daß die Spezialisierung und Qualifikation der DV-Fachkräfte weiter zunimmt. Allerdings wird die Anzahl dieser Fachkräfte nicht mehr mit den bisherigen Zuwachsraten steigen. Der zu erwartende wachsende Bestand an Computeranlagen sowie deren zukünftig breitere Nutzung lassen auch in Zukunft auf eine für Angehörige dieser Berufsordnung relativ hohe Arbeitsplatzsicherheit schließen.

Pius Lecheler

EDV-Leiter, Gebrüder Steinhart in Krumbach

Nach dem ersten echten EDV-Streik in Deutschland, werden sicherlich einige Geschäftsführer, Unternehmens- und Verwaltungsleiter erstmalig auf die tatsächliche Macht ihrer EDV-Abteilung aufmerksam. Manager, die nie in der EDV tätig waren, werden jedoch nach wie vor das bislang meist verkannte Durchsetzungsvermögen ihres DV-Personals verkennen. Jede Abteilung eines Unternehmens, ob Verwaltung, Vertrieb oder Produktion, ist heute direkt oder indirekt von der Datenverarbeitung abhängig.

Die Möglichkeit, daß sich EDV-Leute im großen Stil zusammenschließen könnten, wie zum Beispiel seinerzeit die Fluglotsen, halte ich für weitgehend ausgeschlossen. Möglich wäre allerdings, daß sich EDV'ler in einer bestimmten Branche absprechen. Der betroffene Wirtschaftszweig dürfte dann wahrscheinlich lahmgelegt sein. Dies betrifft eher kleinere Firmen als Großunternehmen. Da EDV-Leute im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen wesentlich besser bezahlt werden, wird der Weg auf die Barrikaden erheblich weiter sein.

Jürgen Pitschel, RZ-Leiter, Rechenzentrum der Universität Augsburg

In den Rechenzentren herrscht in der Regel ein gutes Betriebsklima. Etwas von dem Pioniergeist der Aufbaujahre dürfte wohl noch vorhanden sein. Die umfangreiche Unterstützung, die man den Fachabteilungen entgegenbringt, prägt das Selbstbewußtsein der EDV'ler und schafft ein Erfolgsgefühl.

So scheinen weder die EDV-Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber an einen Streik der EDV-Mitarbeiter zu denken. Entsprechend hilflos dürften dann jedoch die meisten Unternehmen oder Behörden einem Streik des EDV-Personals gegenüberstehen.

Gegen Erpressungsversuche oder Schwierigkeiten durch plötzliche Personalausfälle (Krankheit, Kündigung, Urlaub) einzelner kann man mit guter Organisation der Arbeit, vollständiger Dokumentation und Mitarbeiterschulung recht erfolgreich bestehen. Auch hat man für den Ausfall der EDV-Anlage und den Verlust von wichtigen Datenbeständen vorgesorgt. Doch wie soll man sich auf den plötzlichen Ausfall aller Mitarbeiter vorbereiten? So dürfte die durchschlagende Wirkung eines EDV-Streiks leicht abzusehen sein. Bei entsprechender Integration der EDV in den betrieblichen Ablauf sind Fertigung, Vertrieb und Verwaltung gleichermaßen betroffen. Der Fertigungsbereich kann ohne Stücklisten, Materialentnahmescheine, Akkordscheine nicht produzieren. Ebenso fehlen den anderen Bereichen wichtige Belege und Informationen. So ist der finanzielle Schaden bereits erheblich der allein dadurch entsteht, daß Eigangsrechnungen unpünktlich bezahlt (Skonto!) oder Ausgangsrechnungen zu spät erstellt werden.

Einen Notdienst im Falle eines Streiks mit ungeschultem Personal einzusetzen, halte ich für außerordentlich problematisch. Selbst bei ausgezeichneter Dokumentation und besten Operatoranweisungen ist der ohnehin auftretende Schaden schnell vervielfacht. Zu schnell ist eine Datei vernichtet. Auch dürfte in derartigen Situationen der Datenschutz zu kurz kommen, wodurch ebenfalls nicht zu übersehende Gefahrenquellen auftreten.

Es wird wohl noch einiger Streiks von EDV-Abteilungen bedürfen, bevor auf breiter Front Überlegungen zur Verringerung möglicher Streikschäden angestellt werden. Ist ein Unternehmen erst einmal durch einen Streik der EDV-Leute aufgeschreckt, wird man sofort versuchen, die Abhängigkeit vom EDV-Personal abzubauen.

Eine Konsequenz daraus wäre möglicherweise die Beschleunigung des Trends, den Computer dem Endbenutzer nahezubringen. Das heißt, daß die Fachabteilung gewisse Informationen nicht mehr vom Rechenzentrum anfordert, sondern den Rechner selbst bedient und die benötigte Information selbst abruft, was etwa mit einem Bildschirm geschehen kann.

Auch eine dezentralisierte EDV ist bei einem Streik besser weiterzubetreiben als eine zentralisierte. Kleinere Rechner, etwa in der Größenordnung der MDT, können meist auch vom Personal der Fachabteilungen betrieben werden, soweit sie eigene begrenzte Aufgabengebiete bearbeiten.

Die Gesellschaft wird neben Druckern und Fluglotsen einer weiteren Spezialistengruppe zugestehen müssen, daß sie die Wichtigkeit ihrer Funktion erkennt und zu nutzen weiß. Treten Streiks von EDV-Leuten zuerst branchenübergreifend auf, dürfte jedermann die Wirkung solcher Streiks in vielfältiger Art zu spüren bekommen.

So gesellt sich zur Angst vor der Arbeit des Computers, etwa bei der Verwaltung eigener personenbezogener Daten, noch die Angst vor dem totalen Stillstand der Computer, zum Beispiel bei Sparkassen und Stadtwerken. Das EDV-Personal könnte als "Großer Bruder" verkannt werden.

Aber vielleicht setzt sich bei einem größeren Stillstand der Rechner wegen der Arbeitsniederlegung der EDV-Leute einmal die Meinung durch, daß nicht der Computer die Menschen beherrscht, sondern immer noch vom Menschen beherrscht wird.

Günther P. Brussmann

Produktmanager, EDV-Benutzer-Verband, Pfreimd

Streik der Verantwortlichen in der Datenverarbeitung ist für viele noch mit Tabugesetzen behaftet - nur nicht daran rühren. Doch diese Zeiten dürften vorbei sein. Denn sollte der Fall eintreten, sind die Auswirkungen vielfältiger Natur. Betrieblich bedeutet EDV-Streik sehr oft Ausfall der Fertigungssteuerung. Mit Sicherheit aber einen großen Einbruch in der Verwaltung.

Gesamtwirtschaftlich betrachtet, bedeutet der Produktionsausfall weniger Bruttosozialprodukt, also weniger Investitionen mit den bekannten Folgeerscheinungen.

Längerer Streik des EDV-Personals würde also katastrophale Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft haben.

Selbst ein kurzfristiger Streik würde die Betriebsführung nach veralteten Daten notwendig machen und die Kollapsneigung der Wirtschaft verstärken.

Der Schaden, der durch langfristigen Streik in den EDV-Abteilungen entsteht, ist so schnell nicht wiedergutzumachen und würde in unserer angespannten Wirtschaftssituation als Konsequenz durch Verlust von Wettbewerbs- und Informationsvorteilen eigene Arbeitsplätze gefährden.

Ein Streik des EDV-Personals wird auch den alten Graben der Vorurteile zwischen Arbeitern und Angestellten, also zwischen Produktion und Verwaltung, wieder aufwerfen.

In kleineren Unternehmen, also im Bereiche der MDT, würde sich ein Streik nicht so stark auswirken wie in Konzernen, deren Forschungsabteilungen und Verwaltungen total abhängig von der Datenverarbeitung sind. Ein umfassender Streik des EDV-Personals

wäre ein Alptraum, würde Kafkaeske-Züge tragen und die Wurzeln

der sozialen Marktwirtschaft erschüttern.

Zur Zeit ist aber ein Streik mit volkswirtschaftlichen Auswirkungen unmöglich, da sich das EDV-Personal noch nicht in einer Standesorganisation beziehungsweise Gewerkschaft organisiert hat.

Natürlich werden betriebsbedingte und lokale Streiks der EDVler auch zukünftig möglich sein. Sozialverhalten kann nicht erzwungen werden, deshalb ist gerade in der DV-Branche Verantwortungsbewußtsein von Arbeitnehmer und Arbeitgeber notwendig.

Walter Hübner

Diener Steinhaus GmbH & Co. KG, München

Bevor es zu einem größeren EDV-Streik kommen kann, bedarf es vorab einer eigenen gesellschaftlichen Organisation der EDV-Leute. Ist diese nicht vorhanden, handelt es sich eindeutig um einen wilden Streik mit all seinen rechtlichen Folgen inklusive der Regreßansprüche.

Im Hinblick auf betriebliche Auswirkungen eines organisierten Streiks müssen die Unternehmen nach dem jeweiligen Systemeinsatz unterschieden werden. Die MDT-Anwender werden bei einem Streik sicherlich kaum Auswirkungen zu spüren bekommen. Voll betroffen dürfte allerdings der gesamte Arbeitsbereich Programmierung sein. Bei Betrieben mit Groß-EDV, dort wo arbeitsplatzbezogene Systeme im Einsatz sind, wird eine Aufrechterhaltung des normalen Tagesgeschäftes möglich sein. Starke Störungen treten jedoch bei Großunternehmen mit zentraler EDV auf. Hier könnte es zum totalen Stillstand der Datenverarbeitung kommen.

Sollte ein Streik tatsächlich zu einem Stillstand führen, werden die Unternehmensführungen schlagartig mit dem Bewußtsein der Abhängigkeit von einer betrieblichen Minderheit konfrontiert werden.

Spontan wird man folgende betriebliche Gegenmaßnahmen ergreifen:

1. Dezentralisierung durch ein neues System (zum Beispiel: arbeitsplatzbezogener Dialog);

2. Erstellung einer von Spezialisten unabhängigen Software (modulare Programme, Datenbank);

3. Aufbau einer reinen Programmierabteilung

4. Herstellerpflege

5. Einsatz eines freien Beraterbüros.

Durch diese Maßnahmen kann ein Unternehmen einem eventuellen Streik wirksam entgegentreten.

Gesellschaftspolitisch wäre ein Streik von EDV-Personal mit einem Luftlotsenstreik gleichzusetzen. Anstatt Verständnis in der Bevölkerung würden Agressionen gegen eine Minderheit provoziert werden.