EDV im Buchhandel:"Schleierhaft, wie das funktioniert"

26.05.1978

Im Buchhandel ist eine EDV-Seuche ausgebrochen. Eigentlich nicht erstaunlich, ist doch die MDT jetzt in die finanzielle Reichweite des Sortiments gerückt. Doch auch die Computerfirmen entdecken den Buchhandel, an dem das EDV-Zeitalter bisher weitgehend vorbeiging.

Allein in den jüngst vergangenen Monaten haben sich 5 Sortimenter für die EDV entschieden, rund 15 Buchhandlungen gehen mit der Datenverarbeitung schwanger.

Wilfried Weber, Distriktleiter Deutschland/Mitte der NCR, die zur Zeit sehr aktiv mit einer Telefonaktion den Sortimentsbuchhandel bearbeitet, gruppiert drei Buchhandelstypen:

- Sehr Aufgeschlossene, wenn es darum geht, organisatorische Probleme durch den Einsatz von Registrierkassen und/oder EDV-Systemen zu lösen.

- Unschlüssige, die nicht genau wissen, was sie wollen, oder sich von entschlußfreudigen Kollegen "leiten" lassen.

- Buchhändler, die gleich sagen: "kein Interesse, brauche ich nicht, bin zu klein dafür, habe meinen Laden voll im Griff".

Für welche Buchhandlungen es nun überhaupt sinnvoll ist, über eine eigene EDV nachzudenken, läßt sich am einfachsten mit einer Faustregel beantworten:

- Umsatz mindestens 1,5 Millionen Mark,

- Rechnungsanteil über 40 Prozent.

Schaut man sich die Umsatzsteuerstatistik (1974) an, kommen von den insgesamt knapp 3300 Sortimentsbuchhandlungen etwa 300, rechnet man großzügig, allerhöchstens 400 Betriebe über 1 Mill. Mark Umsatz, für die Verkaufsbemühungen der Datenverarbeiter in Frage. Daß es auch ganz anders geht, zeigen so umsatzstarke Sortimente wie Interbook in Trier, die auf eine eigene EDV verzichten und die Hauptprobleme durch ein gutes Kassensystem lösen, oder die Thalia-Buchhandlung in Hamburg. Bei Jürgen Könnecke blitzen alle EDV-Verkäufer ab: "Ich möchte den Ärger nicht im, sondern außer Haus haben." Die anfallenden Daten werden von einem Rechenzentrum verarbeitet, die unaufwendigen Buchhaltungsaufgaben laufen über einen "begabten" Adler-Buchungsautomaten.

Obwohl dieses Marktsegment schwer zu bearbeiten ist, scheinen sich einige EDV-Firmen Chancen im Buchhandelsbereich auszurechnen. Fragt man Buchhändler nach den Anbietern, werden immer wieder genannt:

- NCR

- CuS (Digitals Equipment)

- Nixdorf

- MAI

- Data General

- IBM

Am aktivsten die NCR, die ein Seminar für den Buchhandel plant und ihre Geräte bei der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Sortimente ausstellte. Doch auch die aus dem Apothekenbereich kommende Firma CuS hat sich voll auf den Buchhandel konzentriert: Um sich Buchhandelskenntnisse zu erarbeiten, hatte sich eine mehrköpfige Führungsriege monatelang bei der Buchhandlung Winkelmann in Recklinghausen eingenistet.

Doch ist das größte Problem aller Anbieter der Mangel an buchhandelserprobten Programmen: alle versprechen alles, fertige Programme gibt es so gut wie nicht, die Entwicklung ist kostenintensiv und für den Anwender risikoreich.

Besonders teuer kann es werden, wenn Hard- und Software nicht als Einheit gekauft werden. So "steht" seit zwei Jahren beim Verlag J. C.

B. Mohr in Tübingen eine Nixdorf-Anlage. Das Ding kam nie so richtig zum Laufen. Georg Siebeck (Mohr) gibt denn auch unumwunden zu: "Da sind wir ganz schön reingefallen."

Dabei schien die Idee glänzend: die Software-Firma wollte das im Großhandelsbereich erprobte "INVEST"-Programm auf Verlagsverhältnisse umschreiben, scheiterte allerdings am Problem, die dort vorgesehene Artikelnummer auf die 10stellige ISBN "aufzubohren". Nachdem nichts mehr lief wurde die Firma vor die Tür gesetzt und trifft sich seither vor dem Kadi wieder.

Glück hingegen hatte die Münchner Buchhandlung Rothacker, die kaltschnäuzig Nixdorf vor die Tür setzte, als das Programm zum Stichtag nicht funktionierte. Die mit der Programmschreibung beauftragte Softwarefirma war Pleite gegangen. Da man Funktionsfähigkeit des Programms mit dem Kaufvertrag gedoppelt hatte, kamen die cleveren Bayern ohne Schaden aus dem Vertrag 'raus.

So gut wie nichts auf dem Markt

Spezielle Buchhandelsprogramme sind teuer. Denn, so der Berliner EDV-Berater Rudolf Kinzer: "Da gibt es so gut wie nichts. Es sieht ziemlich beschissen aus." Er muß eigentlich wissen, war er doch acht Jahre Mitglied der Geschäftsleitung der Berliner Buchhandlung Frohberg. Er hat deren erste EDV-Anlage programmiert und schreibt jetzt auch das Programm für die neue Nixdorf-Anlage.

Neun Monate lang untersuchte Klaus Sigmund (J. Schweitzer Sortiment München) das Angebot, bevor er sich festlegte. Seit zwei Jahren arbeitet er jetzt mit einem bildschirmorientierten Dialogsystem NCR 8200, für das unterdessen 115 Programmteile fertig sind. Allein mehr als 150 000 Mark steckte Sigmund an firmeninternen Kosten in die Programmentwicklung, weitere 120 000 Mark kassierte die mit der Programmentwicklung beauftragte Softwarefirma GMD in München. Buchhandlungen, die dieses Programm modifiziert in ihrer Firma einsetzen, wie die Düsseldorfer Goethe-Buchhandlung, bekommen das Programm weit billiger: Kaufpreis rund 40 000 Mark.

"Computer von IBM - Programme von der Buchhandlung Hübscher", mit diesem Slogan wirbt die IBM für ihr System 32 und 34. Das "Programm Buch", von dem "bislang nur das Programm Lagerbestandsführung und automatisches Bestellwesen der Lagertitel" existieren, so Sigmund im Januar 1978 wird von den IBMern auch bei anderen Buchhandlungen gegen 15 000 Mark (für das Nutzungsrecht) feilgeboten.

Walter Torka, Buchhandlung Ziehank in Heidelberg, hat sich nicht auf das IBM-Programm der Buchhandlung Hübscher verlassen. Für 20 000 Mark erstellte ihm ein EDV-Berater ein eigenes Programm für seine IBM 32, das jetzt steht "und das ich gern auch Kollegenfirmen zur Übernahme anbiete".

Besonderheit: in Teilbereichen nutzt Torka noch seinen Hohner-Magnet(...)ten-Computer, mit dem er vor Jahren in die EDV einstieg.

Programm inbegriffen

Bis zum Herbst soll das Programm "Diabuch", eine Eigenentwicklung der Buchhandlung Karl Krämer, Stuttgart, abgeschlossen sein, "wenn wir auch noch Probleme haben", so Willy Noever aus dem Hause Krämer. Im Oktober 77 wurde ein Nixdorf-System 8870-4a installiert und mit der Programmierung begonnen. Um die Kosten im erträglichen Rahmen zu halten, wurde ein modulares System entwickelt, das möglichst auch für andere Unternehmen einsetzbar ist. Der Verlag J. C. B. Mohr in Tübingen hat schon angebissen.

Die Firma CuS, Rheurdt, hat als Ergebnis des monatelangen Lernprozesses in der Buchhandlung Winkelmann, Recklinghausen, das Buchhändlerische Informations-System (BINFOS) entwickelt. Bei der Buchhandlung Osthus in Gütersloh und in der Buchhandlung Winkelmann laufen Teile des Programms. Doch anders als die anderen Anbieter berechnet CuS quasi nichts für das Programm. CuS-Mann Langer: "Das ist bei uns im Preis (der Anlage) drin. Auch wir haben nichts zu verschenken." Winkelmann - der monatlich 4000 Mark Miete für die Anlage zahlen muß: "Die nächsten Wochen werden zeigen, ob sich unsere Erwartungen erfüllen. Sollte das nicht laufen, dann wird das natürlich teuer." Die komplette Organisation einer Buchhandlung abzuwickeln - einschließlich automatischer Lagerbestandsführung - wird die Anlage können, meint Winkelmann. Willy Noever von Krämer schüttelt den Kopf: "Mir ist schleierhaft, wie das alles zu dem Preis, mit einer solchen Anlage möglich sein soll."

*Werner Schroeder ist der Redakteur des Fachblatts "Buchmarkt".