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EDV-Englisch zum Mitreden 4. Kapitel, 2. Teil: Midas-Effekt, Hamlet-Hammer und Siegfried-Syndrom

15.05.1981

Computervokabeln kurzweilig verpackt und text-intern präsentiert von Heinzgünther Klaus.

Da lebte im alten Griechenland der sagenhafte König Midas von Phrygien, der sich bei dem Orgiengott Dionysos eingekratzt hatte, durch einen ersprießlichen Kuhhandel, wie es heißt. Gnädig gewährte der Unsterbliche seinem irdischen Partner einen Wunsch nach Art der guten Fee - und dem Midas fiel nichts Besseres ein, als zu verlangen, daß alles von ihm Berührte zu Gold werde: sehr bezeichnend für die damals bereits vorhandene Neigung, krisensichere Werte anzuhäufen.

Wie's weiter ging, wissen Sie: Der Unbedachte konnte weder essen noch trinken, weil Speisen und Trank, sobald sie seine Lippen berührten ebenfalls zu Gold gerannen, so daß er ungesättigt auf zwar edlen, jedoch wenig nahrhaften Plomben herumkaute. Am Ende befreite ihn der Olymp von seinem Fluch (Midas wäre sonst verhungert), allerdings um den Preis schlimmer Demütigung.

Konterproduktiver Teufel im ungeprüften Detail

Das Beispiel macht deutlich, wie ein Fortschrittswunder - bei Midas die Goldverwandlung, bei Managern das Organisationskonzept - den direkt Betroffenen so zu verwirren vermag daß er das "Backfiring" (den "Rohrkrepierer") seiner eigenen Anordnung nicht voraussieht. Wahrlich - wo menschlicher Ehrgeiz sich an der Innovation verschluckt, macht die Entwicklung ein heftiges Bäuerchen.

Soviel zum Midas-Effekt, dem Frustrator für Pseudo-Schlaue, dem konterproduktiven Teufel im ungeprüften Detail.

Noch grauslicher wütet der "Hamlet-Hammer", der vorsätzliche "overkill" zum guten (oder als gut definierten) Zweck. Unter dieser Fuchtel leiden ganze Völkerstämme, deren Medizinmänner als geübte Rundumschläger auch beim Ziehen ziepender Zähne bequemerweise seriell verfahren, in der berechtigten Annahme, die Beanstandung sei auf jeden Fall ausgeräumt, wenn alles weg ist.

Ein harmloser Fall sieht ungefähr so aus: "An alle! Es ist verboten, in der Kantine Kippen auf den Boden zu werfen. Benutzen Sie bitte die Ascher für Ihre Rauch-Reste!" Hintergrund des Aushangs: Einer ferkelt und jeder kennt den Schlumpf. Doch statt eines gezielten Vorwurfs ergeht ein universeller Anpfiff, worüber sich die rauchenden Nicht-Schlümpfe ärgern weil ihnen die Verwaltung sowas zutraut. Um der etablierten Maschinerie der anonymen Diskriminierung eins auszuwischen, brennen sie demnächst Löcher in die Gardinen: verständlicher Racheakt.

Er ist selbst das Problem, für dessen Lösung er sich hält

Wer nach der Hamlet-Methode vorgeht, ist selbst das Problem, für dessen Lösung er sich hält. Man darf ihm organisatorisch nur so weit trauen wie man einen Elefanten werfen kann. (Die Größe des Prozellanladens ist dabei mitentscheidend.)

Das Drama William Shakespeares vom weltschmerzlerischen Prinzen und dessen Lynchgelüsten in bezug auf den Oheim, den er als Mörder entlarvt, demonstriert, was ein subtiler Geist zuwege bringt, wenn er ein hohes Ziel (objective) verfolgt. Kombinatorische Fähigkeiten, detektivischer Scharfsinn, Kreativität, Affektstau (in der Planung) und kühle Untangiertheit (im "operating") halfen dem strebsamen Jungdänen schließlich zum erzwungenen Ableben des schurkischen Verwandten. Nur: Der weite Weg zum toten Onkel ist mit peripheren Leichen gepflastert, haufenweise, (Hamlet included). This kind of project management clearly defeats the purpose; it is dangerously out of control in several dimensions. Again, lack of common sense has produced a staggering overkill which must seem totally unwarranted, when viewed from the original concept. Die ursprüngliche Achse der Vernunft, die Hamlets Vorsatz mit dem "Erfolg" verknüpft, ist an mehreren Stellen durchgerostet, doch seine Hoheit bleiben davon unbeeindruckt. Sein Motto: Hauptsache die Richtung stimmt, egal wo's hingeht. Oder: Standen wir gestern am Rande des Abgrunds, so sind wir heute schon einen Schritt weiter.

In einem "edp environment" wird der fliegende Hamlet-Hammer vorzugsweise den unschuldigen Chips unter die Lötstellen geschoben, ob zwar die doch wirklich keinen Einfluß auf den Obermahnbuchhalter sowie auf dessen brillante Idee haben, allen säumigen Kunden (mehr als drei Monate überfällig) unterschiedslos den computergedruckten Schemabrief zu schicken: ". . . und werden wir uns weitere Schritte seitens unserer Rechtsabteilung vorbehalten . . ."

Auch der Referenzkunde, mit dem der Absender 25 Prozent seines Umsatzes macht, kriegt das Schreiben, auf seinem Konto standen 12 vergessene Pfennige im Debet. Tief getroffen vom Stein des Anstoßes geht der Gemahnte in die Knie - und ist sauer wie eine Senfgurke in Vitriol.

Sorry, sir, you received this deplorable letter due to an oversight of our edp department combined with a faulty program and the malfunction of the communication interface module. - Aber das hilft jetzt auch nichts mehr.

Der raffinierteste Frustrator für organisatorischen Ehrgeiz ist indes das Siegfried-Syndrom, es übertrifft mit Abstand jeglichen Reinfall ("flop"), der mit Midas- oder Hamlet-Methoden realisiert werden kann. Wir haben es in der Tat mit dem Edelzwicker der möglichen Fehlspekulationen zu tun, mit dem umweglosen Bumerang einer gradlinigen Bemühtheit.

Beim Siegfried-Syndrom triumphiert die lupenreine Konterproduktivität, weil die gute Absicht das haargenaue Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen soll. Ein kurzer Blick ins Nibelungenlied zeigt wie's läuft: Siegfrieds schwache Stelle lag bekanntlich in der oberen Rückenpartie, wo seine sagenhafte Hornhaut eine Lücke aufwies, was den Helden an diesem Punkt recht verwundbar machte.

Um ihren Mann gegen Jagdunfälle zu versichern, hatte Kriemhild, Siegfrieds besorgte Gattin, mit dem burgundischen Stabschef Hagen Tronje verabredet, daß sie heimlich ein Markierungszeichen auf Siegfrieds Wams sticken werde. Hagen möge dann so freundlich sein und in gefahrvollen Situationen seinen Schild über das Fadenkreuz auf Siegfrieds Schulterblatt halten, um herumfliegende spitze Gegenstände abzuwehren. Als dann der Tronjer, schlaugemacht durch die textile Stellenbeschreibung, seinen Speer zwischen die ungedeckten Bandscheiben des Schutzbefohlenen bohrte (for political reasons, as you probably know), war dies der makaberste Treppenwitz der Menschheitsgeschichte - eine Untat von wahrhaft ästhetischer Perversion. Siegfried verblich, getötet vom Prinzip der reziproken Wertigkeit einer verqueren Kausalbeziehung.

This classical malfunction of purpose is endemic among modern organizations where energies are focussed on managing a difficult and challenging specialty. Unless, and until, we develop a significant capability to produce pragmatic problem solvers, we shall continue to turn out politicians (for example) who try to fight inflation by adopting what they think are appropriate measures to counteract soaring prices. Gerade in der Inflationsbekämpfung, bei den Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit, Umweltbelastung, Bildungsmisere, Investitionsfaulheit, Ämterwillkür und so weiter erwiesen sich die Regierungen aller Länder meist als Profis der Siegfried-Masche, und das Wählervolk malt dazu millionenfach kleine Kreuzchen auf die Stimmzettel - Kriemhilds gutgemeintes Schutzzeichen (der typischste Fall von denkste seit Adams Apfelbiß) mutet dagegen harmlos an.

Harmlos auch die tägliche Zeitungsmeldung nach dem Muster ". . . entstand die Feuersbrunst durch einen Schmorkontakt im defekt verdrahteten Rauchmelder, der kurz zuvor zwecks Verminderung des Brandrisikos im Lagerhaus installiert worden war".

Im Umfeld maximaler Systemperfektion gerät jede Unvollkommenheit zur Tugend

We shall leave it to the imagination of our readers to figure out the effects of a computerized Siegfried Syndrom application. Aber eines muß an dieser Stelle mit Nachdruck wiederholt werden, daß nämlich die Prinzipien der Konterproduktivität durchweg archaischen Ursprungs sind und nicht eine Erfindung des EDV-Zeitalters (the age of edp). Daß der Computer einen Fehleffekt noch potenzieren kann bleibt unbestritten - doch diese Fähigkeit besitzt auch eine einfache Schlagbohrmaschine, wenn man sie ohne Ansehen der zu tapezierenden Wasserleitung, dübelnderweise gegen die Wand stemmt. It's human nature, not the chip, that makes things complicated.

Zum Abschluß der Betrachtung noch einmal eine Gegenüberstellung der Frustratoren Midas, Hamlet und Siegfried. Man sollte sich die "Klausschen Determinaten der abgestuften Reziprokwirkung" gut einprägen, um der verbreiteten Banalkritik am angeblich unberechenbaren Rechner jederzeit diskussionsreif entgegentreten zu können.

Nun werden feinsinnige Fortschritts-Fans vielleicht fragen ob es künftig mit eindringtiefen Spezialprogrammen nicht möglich sei, wenigstens einen Teil der hier geschilderten Frustratoren auszuschalten. Wer so denkt, überschätzt die Macht der Automaten, denn irgendwo verläuft stets die Grenze zum außerelektronischen Humanbereich. No kind of edp can change that game - the old simplicities are still the same!

Sinngemäß übersetzt: Es ist gewiß einfacher, drei Zentimeter freiliegende Zahnpasta in die Tube zurückzudrücken, als das Grundrecht auf menschliche Irrtümer abzuschaffen. Und überhaupt: Im Umfeld maximaler Systemperfektion gerät jede Unvollkommenheit zur Tugend.

(Fortsetzung folgt)

- Midas-Effekt (Prinzip der unerträglichen Nebenwirkung)

Eine Aktivität zielt auf einen bestimmten Erfolge, der aber seinerseits eine systemsprengende Begleiterscheinung hervorruft.

- Hamlet-Hammer (Prinzip der konfusen Extension)

Here again, a special activity aims at a specified result. But, by integrating further elements into the original concept of purpose and planning, the entire scheme takes a very wrong turn - causing damages beyond repair.

- Siegfried-Syndrom (Prinzip der direkten Erfolgsumkehrung)

Die anvisierte Wirkung kippt ins diametrale Gegenteil und verursacht oder verstärkt das Übel, das man mit Hilfe einer bestimmten Aktivität verhindern oder bekämpfen wollte.